Oh Du Schreckliche! Ein Rant auf Betriebsweihnachtsfeiern!

Zehn Jahre blieb ich verschont aber in diesem Jahr war es soweit. Mein Chef, sozial und auch sonst mega intelligent, sagte, dass wir die Weihnachtsfeier organisieren müssten. Mir lief es eiskalt den Rücken runter und ich fragte mich in einem ersten Impuls, was wir ihm getan hätten? Was würde geschehen? Würden wir, nach einem langen Tag, im Gemeinschaftsraum Kekse knabbern, während aus dem Radio Weihnachtslieder liefen? Würden wir die Bibliothek putzen? Ich stellte fest, dass ich nachhaltig traumatisiert bin von Weihnachtsfeiern und Teambuildingmaßnahmen aller Arten. Das kam so.

Mein erster Einsatz ever fand auf der Geriatrie statt. Auch dort wurde Weihnachten gefeiert. Mit den Bewohnern. Natürlich fand die Party am freien Tag der Schüler (!!) statt, die dann anzutanzen hatten. Das fand ich nicht fair, immerhin hatte ich nicht nur frei, sondern auch Familie. Naja, was solls und was tut man nicht alles für gute Noten? Wir karrten also alle, wirklich alle, auf den Gang, auf dem ein riesiges Tischensemble aufgebaut war. Dann saßen abwechselnd ein Bewohner und je einer „irgendwas mit Pflege“ nebeneinander, und wir sangen gruselige Weihnachtslieder. Der Kartoffelsalat war von der Öse selbstgemacht. Mit fetter Mayonnaise. Als das ungewohnt fette Essen seine Wirkung entfaltete und mir meine Tischnachbarin den Salat gleich auf meinen Teller mitkotzte, flog auch ihr Gebiss in hohem Bogen mit auf meinen lieblosen Pappteller. Mit der Weihnachtsstimmung war es dann endgültig Essig. Gottseidank hatte ich schon vorher keine gehabt.

Weihnachtsbäume gab es damals auf jeder Abteilung und jeder Station. Sie zu schmücken war Schülerinnenaufgabe. Natürlich in Überstunden, die nicht aufgeschrieben werden durften. Zwischendurch wurde man eifrig ausgeborgt. Bis zum 23. 12. hatte jede von uns also mindestens 10 Jubelfichten mit alten und wirklich hässlichen Glaskugeln aller Sorten behangen und Kilometer an Lichterketten entheddert. „Is das nicht wunderbar?“ Am Arsch die Waldfee! Ich konnte keine Tannen mehr sehen!

1989! Ich hatte mich endlich in die ZNA hochgearbeitet und war Schülerin. Wir waren viele Schüler dort. Ursel verstand das Weihnachtsfeiern und organisierte es. Es gab kein Entkommen. Wir hatten einen Restaurantplatz in einem wirklich üblem Einkaufszentrum, weil das nah an der Klinik war. (Seit damals habe ich das Clou in Reinickendorf aus Protest nicht mehr betreten). Und Ursel wusste, WANN man zu feiern hatte. Um genau 20:30! Warum? Weil dann die Nachtdienste noch mitessen konnten und die Späteste dazukommen konnten. Vier endlose Stunden! Damit das alles klappte, wurden wir Schüler in die Zwischendienste gesteckt. Eine geballte Ladung Schüler – sicher 6. Nicht etwa in die Zwischendienste bis 20:00 – ohne Nein! In die 10:00-18:00. Warum? Naja, um 18:00 lohnte das Heimfahren nicht mehr und so verfügte Ursel, dass wir in unserer Freizeit bis 20:00 die Medikamentenschränke putzen dürften! Dafür wurden wir dann auch in die Pizzeria gefahren und bekamen – Jauchzet! Frohlocket! – eine Pizza. Jeder eine eigene sogar. Ich glaube, so billig hat das Virchow nie wieder seine Schränke geputzt bekommen.

Die Zeiten wurden nach der Wende schlechter. Es kam die Privatisierung und aus war es mit schicken Restaurantbesuchen in Billigpizzerien. Juchu! Stattdessen war nun feiern im Gemeinschaftsraum in. Dort saßen wir alle geballt und geballt gelangweilt vor dem selben Kaffee wie am Morgen und knabberten mitgebrachte Spekulatius. Die Patienten freute es und sie störten uns eifrig. Man ahnt es. Alle am Kaffeetrinken, alle sitzen rum, warum nölen die eigentlich, dass sie Zuwenig seien? WEIL AUCH DAS MEINE FREIZEIT WAR, über die irgendein Wesen einfach verfügt hatte.

Mein eigener ZNA Chef feierte nicht. Genau aus diesem Grund. Zudem war er Weihnachtshasser. Aber in der Nikolausnacht lief er zur Höchstform auf. Unsere Umkleide war wie jede Umkleide. Chaotisch, Schuhe lagen überall rum und jeder von uns hatte mehrere Paare, die er irgendwann man wegwerfen würde. Während wir also ackerten wie besessen, weil die Hütte krachend voll war, schlich er, ohne, dass wir es wussten, durch die Abteilung. Als wir am Morgen abgelöst wurden, war große Verwunderung beim Frühdienst, der mit kleinen Nikoläusen und Päckchen aus der Umkleide kam. Ob wir das waren? Wir wussten nicht, wovon die redeten. Tatsächlich hatte jede von uns eine handgeschriebene Karte in ihren EIGENEN Schuhen (ein Wunder, wie er rausgefunden hatte, welcher Schuh zu wem gehörte, wir waren über 50 Leute!!) und einen Nikolaus und eine Kleinigkeit: Weihnachtssocken oder ein kleines Buch oder ne Haarpackung oder sonstwas. ❤ Ich erinnere mich so gut dran, denn es war mein verflixtes Scheidungsjahr und es sollte das einzige Geschenk in diesem Jahr für mich bleiben.

Das UKB schenkte uns riesige Weihnachtspäckchen mit Delikatessen, Großzügig War aber Geldwerte Zuwendung und wir mussten das Luxuszeug teuer versteuern. Das führte dazu, dass wir im knappen Januar noch weniger Geld als sonst hatten – dafür aber Kekse und Paté.

Auf Instagram laufen derzeit viele Bilder von Weihnachtsfeiern. Völlig fertige Menschen sitzen im Gemeinschaftsraum um trockene Kekse herum. Oh Du Fröhliche! Menschen, die durch die Krise dauernd einspringen. Menschen, die eigentlich oft viel lieber daheim wären – endlich – um dafür zu sorgen, dass es auch bei ihnen endlich weihnachtlich wird. Weihnachtsfeiern sind mittlerweile oft Teambuildingmaßnahmen. Das Team soll zusammenkommen. Dafür backt es oft noch selbst, putzt den Gemeinschaftsraum und sitzt dann völlig fertig vor den Keksen. Ich weiß nicht, welcher Grinch sich das als Wertschätzung ausgedacht hat. Vielleicht gibt es sogar Menschen, die das toll finden. Ich gehöre nicht dazu. Weihnachten ist das Fest der Liebe und wen ich liebe und für wen ich Plätzchen backe oder kaufe, das entscheide ich wenigstens zu Weihnachten selbst oder ich werde zum Grinch.

Am Schlimmsten waren die Tage, an denen die Chefetage Weihnachten feierte (Ärzte/Verwaltung) und wir das nur merkten, weil wir am späten Abend halbe belegte Brötchen, die ihre beste Zeit schon seit Stunden hinter sich hatten, deren Wurstränder sich wellten und deren Petersilie so trocken war wie unser Humor, von fremden Leuten auf unsere Abteilung geschleppt wurden. Das sei doch nett. Ja, sichi, Chefarzt Michi, voll nett, aus der Lieblingsabteilung den Schweineeimer der eigenen Party zu machen und sich das Aufräumen zu sparen, indem man die großzügige Essensspende aus der Hölle bei den Armen (Nurses) entsorgt. Nie waren Macht und Arroganz so nah beieinander.

Ich bin versöhnt mit allem. Wir haben weder die Bibliothek geputzt noch in der Bib gesessen. Unser Chef führte uns aus zum besten Restaurant der Stadt und lud uns ein, in dem Gourmettempel hemmungslos ein phantastisches Essen und guten Wein zu genießen. Wir fühlten uns wie die König*innen. Wir schlenderten über den Weihnachtsmarkt, schlurften Glühwein und Kakao. Niemand zwang uns zum Singen, niemand wollte eine Gratisleistung von uns. Wir haben einfach so gefeiert. Und er hat sich damit einfach so bei uns bedankt. Einfach so. Weil Weihnachten ist.

Ich wünsche Euch, dass Ihr mit Euren Teams zusammensein könnt, wenn ihr das wollt. Und ich wünsche Euch, dieses ritualhafte Keksessen im Gemeinschaftsraum absagen zu können, wenn Ihr das wolltet. Ihr werdet noch oft in Heimen und Kliniken Weihnachten feiern. Und zwar dann, wenn Ihr alt und krank seid. Geht, genießt Euer Leben! Und esst diese Brötchenspenden nicht.

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