#nurseseattheiryoung

Die 15 jährige Marguerite Maria Alacocque, Salesianerin in Frankreich aus dem 17. Jahrhundert und, man rät es, Heilige, erzählt in ihrer Autobiographie von der Krankenpflege. Keinesfalls möchte ich Euch das vorenthalten.

„Ich war so empfindlich, dass die geringste Unsauberkeit meinen Ekel erregte. So war es auch, als einmal eine Kranke sich erbrochen hatte und ich den Boden reinigen sollte. Da tadelte er [Jesus] mich so streng dass ich nicht widerstehen konnte und die Reinigung mit der Zunge vornahm und den Auswurf aß. […] Von diesem Augenblick an bereitete mir diese Handlung so große Freude, dass ich gewünscht hätte, alle Tage ähnliche Gelegenheiten zu haben, damit ich lernte, mich zu überwinden und Gott allein dabei zum Zeugen zu haben. […] Auf diese Weise spielt die göttliche Liebe mit ihrer unwürdigen Sklavin. Als ich einmal eine Kranke versorgte, die an Dysenterie litt, spürte ich mehrmals starken Brechreiz, deshalb tadelte er mich so streng, dass ich mich gezwungen sah, als ich ihre Ausscheidungen hinausbrachte, einige Zeit meine Zunge hineinzustecken und alles in den Mund zu nehmen, um den Fehler gutzumachen. Ich hätte es auch geschluckt, wenn mich mein Herr nicht an den Gehorsam gemahnt hätte, wonach ich nichts ohne Erlaubnis essen durfte.“

Umberto Eco, der anhand des Berichts der jungen Frau über den erotischen Umgang mit dem Gottesbild spricht, der hier eindeutig vorhanden ist (wenngleich auf eine eher masochistische Art und Weise), machte sich Gedanken über den Umgang mit dem Heiligen. Demut, die hier dargestellte Tugend und Unterwerfung, mögen wichtig sein, um über das Heilige zu reden. Aber die Unterdrückung von Ekel, die von einer 15 jährigen geforderte Selbstkasteiung, die völlig außen vor stehende self awareness und geradezu passionierte Devotheit sind gar nicht so historisch, wie man meinen könnte. Als ich den Auszug las, kam mir sofort ein sehr modernes Phänomen in den Sinn: #nurseseattheiryoung.

Bei dem Hashtag geht es darum, wie junge Auszubildende und junge Kollegen, die neu im Team ankommen, in den Teams behandelt werden. Nicht, dass das Phänomen nicht bekannt wäre. Schon im Arbeitsbericht der Bundesregierung aus dem 1970ern stehen Protokolle, die davon künden, wie Auszubildende entrechtet, niedergeschrien, gemobbt und zum Putzen abgestellt wurden. Man könnte meinen, es hätte sich etwas getan in den letzten Jahren, aber das ist ein Trugschluss. So trat vor Kurzem eine Auszubildendengruppe zum Waschtag an (man kennt das, grau ist alle Theorie, und dann geht es los), Sie schafften es weder mental, noch in der vorgegebenen Zeit (wen wundert das?). Ermutigt wurden sie dann so: Sie seien sich wohl zu fein zum Waschen, aus ihnen würde nie etwas werden. Sprachs und ließ die Kolleginnen weinend stehen.

Wie man bekanntlich weiß, bin ich nicht für das Läuten der Empathieglocke bekannt, aber mal ganz ehrlich, liebe Kollegen in überall: habt Ihr ein Ding an der Marmel? Man könnte doch meinen, dass ein Beruf, der zur Sorgearbeit befähigt, irgendeine soziale Komponente beinhalten würde, die eine Interaktion möglich machen würde. Eine Erinnerung, wie das war, das erste Mal, als ganz junger Mensch, einen fremden, alten, kranken Körper anzufassen. Es kann doch niemandem neu sein, dass dieses stete mentale Einprügeln auf junge Kollegen die krank macht. Wie kann es zur Ersterfahrung des fremden Körperkontakts das erste Stresstrauma gratis dazugeben?

Nein, das sind keine Einzelfälle. Es berichten Azubis, dass nicht mit ihnen gesprochen würde. Sie wurden einfach stehengelassen. Pause wird getrennt gemacht, man hat am Examenstisch nichts verloren. Die Aufgabe? Putzen, bis der Arzt kommt. Sich ekeln? Ein Zeichen von Unfähigkeit. Was dagegen hilft? Noch mehr putzen und ein bisschen Häme einstecken. Und wer ab da die Parallelen nicht sieht, dem kann ich leider nicht helfen.

Da werden Kollegen angebrüllt, es wird ihnen Hilfe verweigert, wenn sie sich beschweren, wird das Ganze zum „Konflikt“ runtergebrochen. Mobbing? Ist längst tief in der Pflegekultur verwurzelt. Woran man das sieht? Am Whataboutsim, der darauf folgt. Die Riten sind nämlich einzuhalten. Wer sich als junger Mensch nicht traut, in eine Übergabe mit 10 Kollegen zu platzen und sich vorzustellen, der hat das Ritual der demütigen Unterwerfung vollends versaut und bleibt halt vor der Kanzel stehen, bis er festwächst. „So war das bei uns auch!“ – ja, fällt mir nichts zu ein, Ursula, wenn Du das selbst nicht als absolut inakzeptabel verstanden hast, stimmt vielleicht was mit Deiner Psyche nicht. Es gäbe, so eine junge Kollegin, einen ganz bestimmten Ort in der Hölle für Altschwestern, so hoffe sie. Die Hoffnung ist alt, ich befürchte, der Ort ist überfüllt.

Als absolute Unverschämtheit wird dann gebrandmarkt, wenn der junge Mensch das macht, was ihm zusteht: nämlich die Kursleitung einschalten. Dann wird gelogen, bis die Schwarte kracht. Über die Unfähigkeit des jungen Menschen. Der überhaupt keine Ahnung hat, wie sich Fähigkeit und Unfähigkeit in der Schlangengrube bemisst. Jüngst las ich die Stellenanzeige einer Klinik, die verzweifelt eine Direktion sucht und nicht findet. Ich habe in die Bewertungen geschaut. Weshalb da niemand arbeiten möchte? Nurses eat their Young. Und mit Young bezeichnen die dort alles, was beim Urknall nicht volljährig gewesen ist.

Das Phänomen ist ein weltweites. Was absolut keine Ausrede darstellt, es weiter zu kultivieren. Der Notstand öffnet Arschkrampen, die sich auf Kosten junger Mitarbeiter die Seele putzen, Tür und Tor. Azubis berichten, wie in den Schwesternzimmern abgelästert wird über alles und jeden. Das geht über Psychohygiene weit hinaus, das ist bösartiger Mist und gehört geahndet. Kannste aber knicken, wenn Du weiter niemanden hast, der die Stelle der Megäre einnehmen könnte.

Nurses eat their Young ist der Hauptgrund für Kündigungen der Auszubildenden in den ersten 6 Monaten. Das habt Ihr ja fein hingekriegt. „aber die haben…. aber die können heute nicht mehr….“ NEIN! Die bringen mit, was sie haben und ihr tretet das Fundament kaputt, statt darauf aufzubauen.

Wen das nicht interessiert? Den BGM mit seinen zuckersüßen Schneeballphantastien. Zu Nurses eat their Young gehören übrigens auch sexuelle Gewalterfahrungen mit Patienten.

Das Ganze ist kein lustiges Spiel, sondern gehört zur lateralen Gewalt. Mich würde ja einmal das Argument derer interessieren, die so agieren und das ganz normal finden. Aber auch das kennen wir ja letztlich: es ist ganz bestimmt niemand gewesen.

Warum nur will niemand diesen herzigen Beruf ergreifen und sein Leben mit herzig empathsichen Kollegen teilen, die nicht nur auf der Station, sondern auch in Foren geifern wie die Boxerhunde. Wehalb nur gibt es Krankheiten und diese riesige Fluktuation? Wer zur Seite austritt, weil er zu feige ist, nach oben zu argumentieren, der ist schon ein verdammt, armes Würstchen Mensch und nichts, nichts rechtfertigt das.

Es muss heute niemand devot sein, im Team eingeordnet werden, damit das sich bloß nicht mit Neuerungen auseinandersetzen muss, und niemand will am Ende heiliggesprochen werden. Es ist ein Beruf.

3 Kommentare zu „#nurseseattheiryoung

  1. Von der erste Zeile an wünschte ich sehr, sehnlichst, schmerzlichst: Schünemann wäre eine Schindermännin.

    Eine die mit Stephen Kings Füllfederhalter Horrorhistörchen zum besten gäbe.

    Pustekuchen: teils noch mit wattewolkenweiche Sprache wird die Lage einer mehr malträtierende wie medizinialisierte Nursing beschrieben: pathologische Strukturen auf der pflegerische Arbeitsbühne, die methodisch meilenweit davon entfernt ist Pflege selbst und selbstbestimmt als Caring-Profis zu definieren.

    Selbstbeschreibende Selbsterkenntnis sei selbstredend der erste Weg zur selbstverständlich ständiger Verbesserung.

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  2. Super Beitrag.

    Regt mich auch schon seit langem auf. Nach meiner Einschätzung hat das was mit (fehlendem) professionellen Selbstverständnis und Wertschätzung zu tun, und ich hätte bisher gedacht, dass das vor allem ein deutsches Phänomen ist (die Ausbildung, die Ordenshistorie, die Hierarchie, „wir mussten da auch durch, warum sollst du es besser haben als wir“, „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, „pflegen kann jeder“…..).
    Kurze Anfrage bei Google bestätigt, dass das keineswegs so ist.

    Was ist es, das in einem Beruf, der eigentlich „heil“ machen soll (heilen eben), so destruktive Verhaltensmuster gedeihen lässt? Es geht um Macht. Das lässt sich übrigens sehr schön bei Patch Adams beobachten, wobei es da zwar um die Medizin geht, aber Patch Adams vekörpert eben alles das, was diese Macht in Frage stellt. Und wenn da jetzt die Neulinge kommen, muss man ihnen gleich zeigen, wo der Hammer hängt. Berufliche Sozialisation und so.

    Aber wo sind die Positivbeispiele? Die gibt’s ja auch, bei all dem Übel, was einem so begegnet. Und die zeigen, dass wir sehr wohl was bewegen können!

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