#proudtobeanurse?

Freunde, nicht nur gratis Lavendel steht uns nun allen zur Verfügung, nein! Eine neue Gratissau wird durchs Dorf getrieben und ich muss gestehen, DAS könnte die Lösung sein. Oh..wait!

Stolz sollt Ihr sein. Berufsstolz. Es gibt ganze Seiten, die sich damit befassen! Es gibt auch gute Argumente, sich diesen neuen Stolz anzuschaffen. Es wurde sogar ein Verein gegründet: Berufsstolz-Pflege. Und die fahren Gründe auf, da kannste nicht nein sagen. Florence ist nämlich 200 geworden, ja. Und die WHO hat das Jahr 2020 zum Jahr der Pflegenden ausgerufen. Yihhaaaaaaa!

Die neueste Ausgabe der DBFK Zeitschrift propagiert es auch: das NEUE Selbstbewusstsein, für das es ZEIT wird. Endlich. Aber was ist das eigentlich, dieser „Stolz“? Und warum ist das eine solche berufsinterne Verhohnepiepelung, das die Schwarte kracht?

Stolz ist ein Gefühl. Der Stolz ist die Freude, die der Gewissheit entspringt, etwas Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben. Dabei kann der Maßstab, aus dem sich diese Gewissheit ableitet, sowohl innerhalb eines eigenen differenzierten Wertehorizonts herausgebildet als auch gesellschaftlich tradiert sein. Im ersten Fall fühlt man sich selbst bestätigt und in seiner Weltanschauung bestärkt („Ich bin stolz auf mich“), im anderen Fall sonnt man sich in der gesellschaftlichen Anerkennung („Ich bin stolz, etwas für meine Stadt geleistet zu haben“). (Ja, das ist Wiki, ich war faul)

Soso. Überprüfen wir mal den Wertehorizont. Nurseseattheiryoung. Mobbing, Coolout, Burnout, Krankschreibungen, ein ganzer Berufsstand veräppelt von einem Land in der Pandemie. Menschen, die stundenlang in ihrem IKM liegen. Menschen, die auf Twitter täglich schreiben, dass sie nicht mehr können, mediale Aufmerksamkeit, weil alles am Ende ist und nichts funktioniert. Das Jahr der Pflegenden ist im Nichts verrauscht. Wer hoffte, für seine außerordentliche Leistung im Jahr der Pflegenden noch einen Bonus zu bekommen, der schaut ins Leere, das Bundesgesundheitsministerium verkauft den Beruf als Schneeball-Ramsch und Knuddeljob. Pflexit und rette sich, wer kann.

Ich habe nur eine Frage: WORAUF THE HECK soll ich stolz sein?

Ich weiß nicht, wie man in einem klimatisierten Büro darauf kommen kann, dass Pflege zu wenig Selbstbewusstsein habe. Es ist nicht die Pflege, die zu wenig Selbstbewusstsein hat. Es ist eine Gesellschaft und Politik, die eben dieses Selbstbewusstsein unterdrückt. Wie bitte, Herr Westerfellhaus, kann man sich monatelang nicht melden und dann in einer Zeitung etwas vom Selbstbewusstsein der Pflege salbadern? Um DAS auszuhalten, braucht es tatsächlich stolz. Hätten wir einen Coronabonus, würde ich mir glatt einen Hering kaufen, um den mit diesen Seiten einzuwickeln. Da aber immer noch PSA fehlt, 70 Pflegekräfte gestorben sind und es sogar die eigenen Reihen – Stolz hin und her- einen [zensiert] schert, frage ich mich, wie Ihr darauf kommt, es gäbe irgendetwas, worauf ich oder irgendwer stolz sein könnte.

Überlegen wir noch mal grundsätzlich, wie das mit dem Stolz läuft. Sobald ein Kleinkind Pipi in sein Töpfchen macht, ist ein großes Bohei. Alles freut sich, es gibt Aufmerksamkeit und alle sind zufrieden. Das Kind freut sich: Pipi in das Töpfchen.
Wie das mit dem Stolz nicht läuft: Herr X liegt seit 12 Stunden in seinem IKM und es besteht keine Möglichkeit, es ihm zu wechseln. Es gibt deshalb nichtmal ein Bohei. Es gibt keinen Grund, stolz zu sein, weil das System es weder mir noch Herrn X ermöglicht, auf ein verdammtes wie auch immer geartetes Töpfchen zu gehen.

Stolz sein? Dass ich es heute geschafft habe, in einen Supermarkt zu gehen, ohne rausgeworfen zu werden? Stolz, dass seit 12 Stunden niemand mehr eine sexualisierte Gewalt gemeldet hat oder laterale Gewalt wie vom Erdboden verschollen ist? Schade, dem ist nicht so.

Was ist das für eine Parallelwelt, in der Nurses wie ein WKII Soldat aus den Trümmern ihres Berufsfundaments die verbeulten Köpfe stecken sollen und ächzen sollen: „Ich bin stolz, eine Nurse zu sein!“, bevor sie für 8 Stunden todmüde ins Bett fallen?

Stolz können die Länder sein, deren Opfer wenigstens einen Staatsakt bekommen haben. Was haben wir bekommen? Lavendel.

Stolz können die Länder sein, die einen neuen Studiengang bekommen haben. Was haben wir bekommen? Die neue 120h Kraft ohne Schulabschluss.

Stolz können Länder mit ANP sein. Was haben wir bekommen? Delegationsarbeiten. Yay. Um „unseren Beruf auszuwerten“, der ganz ehrlich, auch ohne die zusätzliche Arbeit, die man dem Doc abnimmt, schon gut genug gewesen wäre. Wozu? Damit der Behandelnde tiefer hinter seinen Akten verschwinden kann.

Stolz können Länder mit funktionieren Beratungseinheiten sein. Was haben wir bekommen? Eine Pflegebratungsstelle, in der Sozialarbeiter sitzen.

Stolz ist, wenn Laien und Beruf sich deutlich voneinander abgrenzen. Wie das bei uns läuft? Angehörige sind der größte Pflegedienst und der Profi Handlanger.

Ich habe keine Ahnung, was Ihr da in den Kaffee kippt, aber hört schnell auf, Ayahuaska-Lianen auszupressen und kommt zurück zur guten, alten Kafeesahne.

Es gibt niemanden, der in diesen Beruf REIN will, alle wollen raus. Es redet sich leicht vom Schreibtisch aus. Und ich will da nicht Eure Leistungen schmälern, aber das Salbadern ist wie der Gap von Arm und Reich. Die, die nicht am Patienten arbeiten, werden immer abgehobener, die die am Patienten arbeiten, immer wütender. Das ist auch eine Grundemotion. Nur mit Stolz hat sie nichts zu tun.

Diese Billigmasche, jetzt irgendeinen PR Jargon anzuziehen, der natürlich, genau, wie die lustigen Kärtchen, die man zum Jahr der Pflegenden als Erwachsener ausmalen sollte, gar nicht kostet, sie verfängt nicht. Kein #proudtobeanurse Button vor einem Profilbild kann das Problem verdecken. Ihr erschafft einen Hypertext, unter dem nichts als heiße Luft ist. Emotionen, die durch mangelnde Resonanz nicht da sind, kann man nicht implantieren, wie einen Silikonbusen. Es gibt keinen Emoschönheitschirurgen für das, was eine ganze Gesellschaft über fast 100 Jahre vergeigt hat.

Sie wollen, dass wir stolz sind? Bieten Sie was, das man stolz sein kann. Sogar die eigene Resonanz sollen wir noch aus dem Nichts erzeugen. Finden Sie nicht, dass das das jämmerlichste Armutszeugnis seit 1850 ist? Weit ist das von der Petroleumlampe im Krimkrieg alles nicht entfernt.

3 Kommentare zu „#proudtobeanurse?

      1. Supi – lebenslang Urlaub. Plus ein Faible für temporäre Einsätze als Quartierpfleger (freiberufliche Pflege vor Ort). Zukunftsmusik.

        Ehrenamtlich für Nippes: aber gerne (sagen „Alle“). Professionell jenseits institutionären Netzen fischen: Das ist so nicht vorgesehen (meint man allenthalben).

        Die Geschichte der Pflege hängt in der Zeitschleife vor Agnes Karll fest – irgendwie. Macht Spass, dieses Möbiusband aufzudröseln und daraus ein Boromäusgeflecht zu konstruieren. Deine Beiträge sind dabei vorzüglich geeignet, den geeigneten Kurs zu finden, wenn ich sportlich, frisch, fromm fröhlich auf den Wellen des Chaos surfe. LG.

        Gefällt 1 Person

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