„Was ist eine Frau?“ Über die vielleicht absurdeste Debatte aller Zeiten. Und weshalb sie gefährlich ist.

Auf Twitter debattierte man sich die Tage die Finger wund. Ok, das passiert auf Twitter jeden Tag, aber diesmal war es vergleichsweise abwegig. Unter dem Hashtag „Was ist eine Frau?“ warf jeder seine zwei Cents in den Ring. Der Grund? Die Frage war: Sind Transfrauen Frauen?

Und von vornherein: diese Debatte ist vermint, wird keinesfalls sachlich geführt und hat ihre Tücken.

Schon die Grundfrage, „was“ eine Frau ist, sollte jede Frau dazu bringen, einen Rundumschlag an virtuellen Backpfeifen auszuteilen. Was – das ist eher neutral und hat mit Person ja erstmal nichts zu tun. Die richtige Frage wäre also gewesen: WER ist eine Frau? Aber was weiß ich schon? Die Meinung darüber ist gespalten. Es gibt die Verfechter der Position, dass jeder Mensch, der sich als Frau identifiziert, eine Frau ist. Eine der bekanntesten Frauen, von der wir das derzeit wissen, ist Frau Tessa Gansener, Politikerin der Grünen und über die Frauenquote in den Bundestag gekommen. Die Debatte entzündet sich bei ihr oft daran, dass sie weder ihren Personenstand geändert haben soll, noch eine angleichende Operation erwägen soll. (Die Konjunktive sind beabsichtigt. Ich habe Freundinnen und Freunde, von denen ich weiß, dass sie diesen Weg gegangen sind. Ich weigere mich strikt, sie nach ihrem Perso zu fragen, oder in ihre Unterhosen als quasi Beweis zu gucken. Wer tut sowas?)

Dann gibt es die gegenteilige Position. Die nennt man TERF (Trans-ausschließender radikaler Feminismus). Das sind Frauen, die sagen: Naja, wir waren mit den Frauenrechten noch nicht so weit. Nun kommen Männer, die sich als Frauen ausgeben und die bedrohen unsere Rechte, weil sie sich quasi ungehindert unter uns mischen und über uns mitbestimmen können.

Zwischen diesen beiden Polen existiert NICHTS.

Spannend an dieser Debatte ist aber, wer dann die Deutungshoheit übernimmt. Und das sind (hier einen Tusch einfügen), Menschen (ich vermute meist Männer) mit einem derart rückständigen Frauenbild, dass es selbst unseren Uromas eiskalt den Rücken herabgelaufen wäre.

WTF?

Das Problem daran? Besonders rückständige Frauenbilder finden sich vermehrt in der rechten Szene. Ab da ist klar, dass diese Debatte sich keinesfalls einzig zwischen den Frauen abspielt, sondern dass da jeder seine zwei Cents in den Ring werfen möchte.

Was das mit Pflege zu tun hat? ABEDL 10 Krohwinkel hat die Identifikation als Frau und oder Mann zum Thema. Es ist also Aufgabe der Pflegenden, diesen Diskurs zu beherrschen und das nicht nur im Hinblick auf Rollen, die durch Krankheit beschädigt sein können und viel Fingerspitzengefühl bedürfen, wie beispielsweise Haarausfall, Krebs, Mammaamputation..etc. , sondern auch die Frage nach einer geschlechtsangleichenden Operation oder das Einleiten einer solchen bedürfen der Pflege. Gerade in der so vulnerablen Zeit, wenn der Personenstand noch nicht geändert wurde, oder der Name noch nicht offiziell geändert wurde, kann es schnell dazu führen, dass man die Personen mit ihrem Deadname anspricht. Das ist für die Patient*innen äußerst verletzend. Ähnlich verletzten ist es, sie mit dem falschen Pronomen anzusprechen. Nun wissen wir aber alle, wie hart der Zeitdruck wirkt. Was auf den Papieren steht, wird angenommen. Deshalb passieren solche Verletzungen immer wieder. Kliniken unter Hochdruck sind wahrlich kein Safespace dahingehend. (Gerne würde ich dazu ja mal ein Interview führen, seufz).

Aber je mehr Transpersonen gesellschaftlich unter Druck stehen, desto weniger werden sie darüber reden. Schon gar nicht mit Pflegenden unter Hochdruck. Ein Teufelskreis.

Was bei beiden Positionen völlig verlorengeht? Selbstverständlich steht der Annahme eines Menschen, der sich als Frau identifiziert nichts im Weg. Verloren geht aber bei „jede, die sich als Frau identifiziert, ist eine Frau!“ eine ganze Sparte der Medizin und Pflege, über die viel zu wenig gesprochen wird. Biologie und zwar die ganz schnöde Biologie, bestimmt sehr wohl über den medizinischen Werdegang eines Menschen. Jungs haben viel häufiger kindliches Asthma als Mädchen, Frauen haben andere Symptome beim Herzinfarkt als Frauen, weshalb der bei ihnen häufiger übersehen wird und sie häufiger daran sterben. Frauen werden anders medikamentiert als Männer, weil sie bestimmte Medikamente (Betablocker zum Beispiel) anders verstoffwechseln. Medikamente werden noch immer zumeist am männlichen Körper getestet. Diese Sparte der Medizin nennt sich Gendermedizin. Und sie ist total wichtig, um Menschen beiderlei Geschlechts eine gute Versorgung gewährleisten zu können. Frauen sind dabei viel zu häufig hintern runter gefallen.

Die Sprachregelung „jeder, der sich als Frau identifiziert, ist eine Frau“ ist also, medizinisch gesehen, schwierig. Reden die Beteiligten nicht darüber, dann kann es zu Fehldeutungen von Symptomen und schlechter Einstellung von Medikamenten kommen. Letztlich kann das den Tod der Betroffenen bedeuten. Wird aber zwischen den beiden Polen der geltenden Lager alles, aber auch alles ideologisch weggeblockt, ohne die Debatte zu versachlichen, dann wird dieses Thema zum Tabuthema. Auch das kann im schlechtesten Fall Leben kosten, Prävention unmöglich machen.

Schon nichtbetroffene Menschen haben den Anteil, den Pflege im gesellschaftlichen Leben hat, nicht auf dem Schirm. Gendermedizin und entsprechende -pflege kann nun also nicht mehr wertfrei angesprochen werden, ohne dass sie in den Geruch kommt, TERF zu sein, weil sie, obwohl das keine Rolle spielen soll, leider doch biologisch argumentieren muss, um eine gute Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. TERFS wiederum können diesen Part der Versorgung ideologisch instrumentalisieren. Das ist unendlich bedauernswert. Bedauernswert ist auch, dass auch Ärzte und Ärztinnen, Pflegende und ihre Anrainerberufe Gendermedizin selten im Blick haben.

Fakt ist, dass wir als Pflegende diese Pflegeproblematik offen ansprechen müssen. Ja, wer sich als Frau identifiziert, ist eine Frau. Im schlimmsten Fall hat das Negieren der Biologie offenbar Konsequenzen, an denen niemandem gelegen sein kann. Wie damit umgehen? Ich würde mich zu gerne einmal mit Betroffenen darüber unterhalten. Einfach, damit wir verstehen können, wie diese Gratwanderung gelingen kann.

Aber das ist in der Hitze der Debatte wohl derzeit nicht möglich.

Wenn wer mehr weiß… ich freue mich auf Infos.

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Ein Kommentar zu „„Was ist eine Frau?“ Über die vielleicht absurdeste Debatte aller Zeiten. Und weshalb sie gefährlich ist.

  1. Liebe Frau Schünemann,
    Sprache und auch der achtsame Umgang mit ihr, halte ich für sehr wichtig. Ihr Artikel hat mich umfänglich sehr begeistert.

    Ein Hinweis: In dem Abschnitt zum Herzinfarkt müsste einmal das Wort Frau durch das Wort Mann ersetzt werden.

    Erst gestern habe ich mit einer Mitarbeiterin in einem Kommunikationsunternehmen gesprochen und nebenbei den konstruktiven Vorschlag unterbreitet, entweder die persönliche, oder wenigstens eine gegenderte Ansprache zu verwenden.

    Wir sinnierten weiter und ich schlug vor, dass es doch längst an der Zeit wäre, einfach mal für die nächsten 2.000 Jahre die Sprache vorrangig mit weiblichen Begriffen zu verwenden; quasi so, wie es aktuell mit männlichen Begriffen praktiziert wird. Wir beide waren uns einig, dass es da wohl sehr bald – wahrscheinlich nicht nur von Seiten der Männer, Widerstand geben würde …

    Wenn das Sprachraum umfassend umgesetzt würde, was zum Beispiel bei der Vergabe von Projekten längst üblich ist (= Verwendung von Gender gerechter Sprache), wäre das zumindest ein guter Schritt. Genauso gut ließe sich wohl auch der Hinweis auf einer Behandlungskarte (z. B. das Anredepronomen, ergänzt um den Zusatz Frau oder Mann) in der Nähe des Vornamens platzieren.

    Es gibt weiterhin viel zu tun. Gute Ideen und ein Veränderungswille sind da.

    Liebe Grüße …
    Anna-Maria Penitzka

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