Die Dildofee im Altenheim oder : eine wahre Geschichte zum Nachdenken

von: Donna

Beitragsbild: Logo einer sehr guten und bekannten Firma, für die wir hier nicht werben. Symbolbild.

Wer jetzt einen reißerischen Blogartikel über GILFs und wüste Orgien erwartet, liest am besten gar nicht weiter. Hier geht es nicht um Pornofantasien oder irgendwelche pseudolustigen Andeutungen von Wegen „Ha Ha. Alte Menschen sind lächerlich“.

Es geht um die subjektive Auseinandersetzung damit, wie Bewohnerinnen mit dem Bedürfnis nach Beratung und dem Wunsch nach sexueller Autonomie an mich herangetreten sind.  Meine erste Berührung mit dem Thema „Sexuelle Bedürfnisse im Alter“ hatte ich schon während der Ausbildung und es waren ausnahmslos alte Männer, die mich belästigten. Bei manchen hatte ich das Gefühl, dass sie nicht im Krankenhaus lagen, um gesund zu werden, sondern jedem weiblichen Wesen, das den Raum betrat, ihre Genitalien förmlich ins Gesicht zu drücken (Wer das für übertrieben hält, kann unter #respectnurses bei Twitter nachlesen, dass solche Verhaltensweisen Alltag sind). Ekelhaft und so gar kein Ansporn, sich über Möglichkeiten der Gegenwehr hinaus damit zu beschäftigen.

Andere Facetten habe ich erst kennengelernt, als ich viel später in einem großen Altenheim gearbeitet habe. Genau genommen hat es damit angefangen, dass eine Bewohnerin mit hochrotem Kopf gefragt hat, wie sie wohl ihre Intimbehaarung loswerden könnte, ohne Pickel zu bekommen. Ich solle bitte nicht schlecht von ihr denken, sie habe sie nur loswerden wollen, wie sie in Verbindung mit Einlagen unangenehm riechen und ihre Selbstversuche seien schiefgegangen. Da sie sich unglaublich geschämt hat und sonst völlig selbstständig war, habe ich sie – auf ihre Dringende Bitte hin- ohne Akteneintrag entsprechend beraten und an eine geeignete Ärztin verwiesen (Ja, dafür hätte man mich wohl rausschmeißen können, aber die Bew. Brauchte keine Hilfe und hatte noch nicht einmal eine Akte- also keine Gefahr, selbst wenn der MDK vor der Tür gestanden hätte)

Was noch lange nachhallte, war der Gedanke daran, dass sie sich so sehr geschämt hat, dass sie mir mehrfach mein Versprechen abnahm, auf keinen Fall meinen Kollegen davon zu erzählen. So wie die meisten anderen, habe ich vorher NIEMALS auch nur einen Gedanken darauf verwendet, dass Frauen im Alter sich überhaupt noch Gedanken über ihren Intimbereich machen.

Das diese Art der Gedanken wahrhaftig nicht die einzigen sind, wurde über die nächsten Wochen klar. Dame A hatte Dame B anvertraut, dass ich ihr sehr geholfen hatte und Dame B dann Dame C etc. So Avancierte ich zur Beraterin für Intimfragen, die sich bald auch um Themen drehten, die die Sexualität betrafen. Immer mit sehr roten Gesichtern, immer sehr respektvoll, immer bereit, sich sofort wieder in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen. So erfuhr ich auch von unsensiblen bis rücksichtslose Ehemänner und letztendlich auch davon, dass etwa fünf der Damen gerne „modernes Spielzeug“ ausprobieren würden. Bei allen anderen drehte sich alles um die richtige Intimpflege und andere Fragen, die man allesamt so erwarten würde.

UFF. Die Frage nach Vibratoren hat mich erst einmal überfordert und ein paar Tage schwer beschäftigt und zwar auf ganz persönlicher Ebene. Wie sollte ich damit umgehen? Wie sollte ich den Damen erklären, dass mich ihr Vertrauen sehr ehrt, sie mir da aber womöglich zu viel zutrauen… besonders auch wegen der Einblicke in das Eheleben in Zeiten, in denen Man(n) Frauen ein natürliches Bedürfnis devot zu sein angedichtet hat (ja, gibt es- ist aber gerade nicht Thema), die ich hier nicht wiedergeben werde. Den Damen helfen wollte ich schon, aber im Internet wollten die Damen nicht einfach kaufen, weil man nicht weiß, was man da kauft und das Handling auch nicht erklärt wird- was für mich definitiv ausfiel.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Man kann sich, wie für einer Tupperparty, eine Beraterin buchen, die eine Auswahl des Portfolios mitbringt, alles erklärt und auch verkauft. Bei der Party selber war ich nicht dabei, aber den Erzählungen nach gab es viel Sekt und viel Gelächter. 

Vorher gab es aber einige Schwierigkeiten, denn aus Furcht vor Gerede musste nicht einfach ein Termin gefunden werden, sondern auch dafür gesorgt dass er zu einer Zeit stattfand, in der keine der Damen gesucht würde ( nicht alle waren komplett unabhängig), keine Verwandten vor der Tür stünden und auch sonst keiner Mitbekommen konnte, was da genau gefeiert wird. Die Beraterin musste ihr Auto mit der riesigen Firmenaufschrift weiter weg parken, sich unauffällig kleiden und durch einen Seiteneingang kommen, weil der Pförtner sofort gefragt hätte, wo sie hingehöre (zwei Koffer sind auffällig, besonders wenn die Besucherin fremd ist).

So viel Theater wegen ein bisschen Plastik und dem Bedürfnis nach Sexualität im Alter. Warum eigentlich? Von dem Bild der „gütigen Oma“ im Schaukelstuhl mit karierter Decke auf den Beinen haben wir uns doch schon lange verabschiedet. Warum konnten die Damen nicht einfach machen was sie wollen, ohne dafür so einen Aufwand zu betreiben? Imho gilt, dass jeder Mensch- ob Altenheim oder nicht, schamfrei dafür sorgen können sollte, dass es (ihm/ihr) gut geht. Das ist schon mit einer einzigen Voraussetzung machbar: das alte Menschen nicht dafür stigmatisiert werden.

Auf der einen Seite wird gerne betont, dass Sexualität ein menschliches Grundbedürfnis ist, aber auf der anderen regen sich Menschen (besonders gerne Angehörige) auf, wenn alte Menschen dieses Bedürfnis zum Ausdruck bringen. Übrigens. Mit „Zum Ausdruck bringen“ meine ich keineswegs Formen von sexueller Belästigung! Ich spreche davon, dass es schon reicht, wenn eine Dame und ein Herr um die 80 sich im Altenheim zusammenfinden und mehr tun, als „soooo niedlich Händchen zu halten“. Heftige emotionale Reaktionen, sogar Eifersucht der ca. 60 Jährigen Kinder auf den neuen Partner ( nicht selten aus Furcht um das Erbe), wüste Beschimpfungen der Mutter und erstattete Anzeigen gegen den neuen Partner- alles schon erlebt. Wenn Sexualität ein Grundbedürfnis ist, müssen wir uns definitiv damit auseinandersetzen. Ganz besonders auch damit, wo wir die Grenze ziehen.

Für mich gilt: Sexual Assistentinnen buchen- meinetwegen.

                        Selber handeln: Nein. 

Vermutlich das Gleiche, was die Meisten dazu sagen würden. 

Was mich aber zurzeit beschäftig sind eher Fragen wie: Was tun, wenn ein/e EhepartnerIn sich aufdrängt? Schließlich bedeutet es Einmischung in eine Ehe.

Wenn ein dementer Mensch sehr offensichtlich Bedürfnisse hat und immer wieder MA und BewohnerInnen belästigt?

Wenn Angehörige eine Partnerschaft nicht akzeptieren wollen und sich einmischen?

Was tun, wenn Belästigung oder gar Vergewaltigung aufgedeckt werden? Wie tritt man den Behörden gegenüber?

Wie respektiert man die Grenzen der MA die sich davon überfordert fühlen? Wie unterstützt man sie?

Ich denke, dass man sich mit diesem Thema durchaus beschäftigen sollte. Wenn Sexualität ein Grundbedürfnis ist, benötigen wir die Auseinandersetzung mit Sexualität im Alter besonders jetzt, wo wir allen Voraussagen nach besonders viele alte Menschen teilweise an Demenz erkrankt, aber körperlich noch relativ fit, versorgen müssen.

Sie alle mit Medikamenten ruhig zu stellen, finde ich weder ethisch angemessen, noch dem Anspruch an einen angenehmen Lebensabend gerecht werdend. Just Sayin.

Wie immer: Alle Ansichten subjektiv und nicht unbedingt Massentauglich. Ich wollte niemandem auf die Füße treten, außer er/sie/es hat es verdient.

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