Jens Spahn ist da etwas Heißem auf der Spur! „Wir brauchen mehr Personal und auch mehr Assistenzkräfte. Für die Attraktivität des Berufes ist eine 100-Prozent-Fachkraftquote nicht das Beste.“ Ja und nun weiß ich auch nicht und habe Fragen.
Ich weiß ja nicht, von welchem Beruf die Leute da die ganze Zeit reden, aber Pflege kann das nicht sein. Der Beruf, den ich gelernt habe, bedingt 100% Fachkraftquote, weil:
Schon immer, immer, immer galt Grundpflege in Kliniken als besonders niedere Tätigkeit. Früher waren es zumeist die Schüler, die losmussten zum Waschen. Cool war für die meisten die Behandlungspflege. Spritzen geben, Verbände machen, Delegationsarbeiten, Blut abnehmen. Diese Sichtweise hat sich in der Gesellschaft auch durchgesetzt. Pflege, das ist ein bisschen waschen, das ist Ärschewischen. Mit dem Beruf, den ich gelernt habe, hat diese Teilung in Grund- und Behandlungspflege nichts zu tun. Das Problem: den Beruf, den meine Generation gelernt hat, haben wir nie ausgeübt.
Das geht schon zu Beginn los. Ich kenne Pflege noch mit Pflegeanamnesegespräch, mit einer körperlichen Untersuchung. Na, wer von Euch hat das je gemacht? Ich kenne noch die Ressourceneinschätzung. Was wird im Klinikaufenthalt passieren? Welche Ressourcen sind gefährdet? Wie kann ich sie erhalten? Ich kenne noch Pflegeplanung mit Reden. Wir haben sie früher mit den Patienten besprochen.
Ich kenne es noch, beim Waschen auch einfach mal dabeizustehen und zu beobachten. Und was es da alles zu sehen gab. Wie sieht die Haut aus? Schwellen die Füße beim Aufsitzen? Wie mobilisiert sich mein Patient? Mit welchen Einschränkungen kommt er zu uns? Was habe ich für ein Zeitfenster und was kann ich in dieser Zeit beheben oder dafür sorgen, dass es draußen weiter behoben wird? Welche Handgriffe kann ich meinem Patienten mitgeben? Wo wollen wir alle lang? All das konnte waschen. Aber der Lappen ist zum Jammerlappen verkommen, den jeder schwingen kann. Für Menschen, die sich mit Pflege nicht auskennen, ist waschen nur waschen. Es ist nicht Training, es ist nicht Fordern. Und um die Zeit zu schonen, waschen und schrubben täglich alle einfach, was es zu schrubben gibt. Training? Beobachtung? Keine Zeit.
Ich habe nie verstanden, wofür es Betreuungskräfte gibt. Was es in dieser Zeit alles zu beobachten gäbe. Pflege ist Beziehungsarbeit. Was bleibt davon übrig, wenn ich die Beziehung outsource? Wie tief kann meine eigene Anamnese dann gehen? Ich habe nie verstanden, weshalb ich dafür Tabletten im Blister ausgeben soll. Das kann wirklich jeder. Aber Beobachtung und den Pflegeprozess gestalten? Das kann eben nicht jeder. Verkehrte Welt.
Therapeutische Pflege. Auch mal auf die Rückseite eines Pflegematerials gucken, etwas empfehlen, wirklich auf ein Problem eingehen, sich selbst zum Versorgen anleiten und die Leute nicht ratlos zurücklassen. Das eben kann nur, wer es gelernt hat.
Die volle Fachkraftquote ist also nicht gut, ja? Also weiter outsourcen. Weg von den Lappen, ran an die Doku. Ran an die Supervision von geringfügig Qualifizierten. Statt die Ressourcen meiner Patienten gucken wir nun auf die Ressourcen derer, die wir beobachten.. Am Ende beobachtet jeder jeden und keiner etwas. Diese Aufteilung in Verrichtung hat mit holistischer Versorgung schon lange nichts mehr zu tun. Aber gerade das war es, was Pflege wollte. Was Pflege will, interessiert aber derzeit niemanden.
Doch, wer das möchte, soll das gerne lernen. Aber es kann nicht sein, dass der Beruf zum Sammelbecken derer wird, die das eigentlich nicht lernen wollten (das hatten wir in den 1970ern schonmal), dass es ein Beruf für gering Qualifizierte wird, wo andere Länder selbstbewusst Abitur fordern.
Es ist nicht nur waschen. Es geht schon los damit, zu wissen, was zu waschen ist und was ich von meinem Patienten noch abfordern kann. Und wie zu waschen ist. Und was jede Bewegung mit dem (Jammer)Lappen mit Durchblutung macht. Und was Zusätze mit der Haut machen. Und was einen Lappen halten können über Greifkraft sagt. Und was das Haltenkönnen eines Glases mit der Schulter macht. Das Anheben der Arme mit der Atmung. Das Abhusten mit der Lunge. Das Gehenkönnen mit der Rumpfstabilität und dem Sitzen. Die Beobachtung von abzutrocknenden Füßen mit dem Status der Hüfte. Kinästhethik, Basale Stimulation, Bobath? Aber nichts. Einfach waschen. Einfach Augen zu und alles vergessen, was wir gelernt haben.
Wieder therapeutisch pflegen. Das wärs.
Griffig und zupackend geschrieben.
Selbstentwertung in der Pflege kommt auf Taubenfüsse daher.
Hilflose Helfer werfen wahre Schattenbilder an der Wand, die wahre Pflege zu Pflegeware umbiegen.
Wirklich ein Jammer, wie gute Pflege rasend schnell durch den Lappen gehen kann.
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Wooooow
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Gott im Himmel.. da spricht mir einer aus der Seele.
Zumindest zu 99%
Ich kann es auch nicht verstehen, dass Grundpflege als „niedere“ Tätigkeit angesehen wird. Selbst Essen austeilen.
Das waren immer genau die Momente ich denen ich mit den Patienten „schnacken“ und nebenbei „gucken“ konnte.
Aus diesen Tätigkeiten hat sich zu großen Teil der individuelle Pflegebedarf herauskristallisiert.
Danke für diesen Beitrag.
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Ich würde mir eine ganzheitliche, individuelle Pflege wünschen wie es in diesem Text beschrieben ist, aber leider „verwalte“ ich meine Patienten nur noch, statt sie zu pflegen .
Dafür habe ich meinen Beruf ( den ich eigentlich sehr gerne mache, wenn ich ihn nach meinen Vorstellungen ausüben kann) nicht gelernt .
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Mal schnell waschen?! .. und sich dann zu Zweit auf den Patienten stürzen?!
Wer bis dahin noch nicht desorientiert war, der ist es spätestens dann.
Wahrnehmungsförderung nach dem Konzept der basalen Stimulation, Bewegungsförderung nach Kinästhetics, Biographiearbeit mit Angehörigen, lösungsorientierte Gesprächsführung mit Patienten oder eben einfach nur mal über Ängste, Sorgen und Nöte der Patienten mit den Patienten reden.
So Vieles wäre möglich! So vieles bleibt auf der Strecke bei all dem Outsourcing ala primary nursing. Fakt ist dass PN ein Modell ist, das die Mortalitätsrate erhöht hat.
Es hatte seinen Grund warum im den 80ern die Funktionspflege abgeschafft wurde und der war u.a. Das Ziel der ganzheitlichen, Ressourcen fördernden Pflege. Es hatte seinen Grund das Stationen Kleiner wurden und Bettensääle abgeschafft wurden.
All die Erkenntnisse aber sind verpufft, aufgefressen von Profitorientierung, selbst geschaffenem Personalmangel und der reinen Gier.
Wo das Geld den Kurs angibt, ist der Verlust von Gesundheit und Menschenleben eine zu akzeptierende Begleiterscheinung.
Das Schiff ist unsinkbar dachten die Konstrukteure der Titanic und liessen sich feiern. Auch die Pflege steuert, hart am Wind, auf den Eisberg zu und hinterlässt dabei eine Spur von Opfern.
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