Die Hintern schön sauber, der Anstand im Arsch. Von Heldengelaber, ambulanten Pflegediensten und wie man 200 Euro pro Stunde verdienen kann, wenn man ein Ohrenstäbchen halten kann.

„Ich war Pflegekraft bei Corona 2020 und alles, was ich bekam, war diese scheiß T-Shirt!“. Was zynisch und bitter klingt, ist genau so gemeint. Es ist verrückt. Niedersachsen ist da etwas Heißem auf der Spur. Sie wollen ein Coronazentrum und brauchen dafür Ärzte und Pflegekräfte. Die Ärzte sollen dabei 200 Euro pro Stunde bekommen. Die Pflegekräfte 30 Euro. Das Absurde? Nicht nur, dass niemand nachvollziehen kann, weshalb ein Arzt das Sechsfache verdienen soll, auch die Verteilung der Arbeit scheint mir hinterfragenswert. Es handelt sich um Coronatestung.

Diese Tests verlaufen mittels eines Watteträgers, mit dem ein Rachenabstrich genommen wird. Dieser wird in ein dazugehöriges, mit Gelee gefülltes Röhrchen gesteckt. Und wissen Sie, wer diese Arbeit seit Jahr und Tag auf den Stationen dieser Welt macht? Pflege! Aber hier wird eine Unterschrift benötigt und die kann nur ein Arzt leisten. Deshalb also 200 Euro pro Stunde.

Pflege ist nur 30 Wert. Ja, so hab ich auch geguckt. Um mal mit realen Zahlen zu operieren: das sind 32.000 Euro pro Monat! Pflege beschwert sich zurecht. Wer sich jetzt empört? Ärzte. Missverstehen Sie mich nicht. Nicht alle Ärzte. Überwiegend Ärzte, die darauf pochen, das sei eine Neiddebatte. Sie hätten ja Abitur und studiert.

Nun, das Witzige ist, dass überall woanders auf der Welt Pflege ein Studium ist. Wissen Sie, wer das seit Jahren für Deutschland konterkariert? Ärzte. Und wissen Sie, weshalb? Weil hier Besitzstandswahrung das Motto ist. Es geht nicht darum, dass die dann weniger kriegen würden. Es geht darum, dass sie laut aufschreien, weil Pflege mehr kriegen soll.

Dabei kommt es zu absurden Reaktionen. So maulte mich tatsächlich jemand an, wir würden nicht auf der gleichen Ebene kommunizieren. Aha, Ich soll mich da raushalten. Spannend. Besagter Typ meinte, jetzt wäre keine Zeit für solche Debatten. er habe schließlich Angst um seine Mitbürger. WIR müssten jetzt ran. Reden könne man später.

Ich habe mich umgesehen. Die Vögel zwitscherten. Die Sonne schien. Ich habe also alle Zeit der Welt. Ein Klick auf das Profil offenbarte mir, wer mir da den Mund verbot. Ein „soon-to-be-physician“ EIN MEDIZINSTUDENT! Typen, die noch den Wind der Unitür im Rücken haben, erklären mir, was ich sagen darf. Habe ihm erklärt, er soll erstmal sein Studium fertigmachen und gefälligst nicht so mit einer Graduierten reden. Sobald er 30 Jahre lang gerettet habe, wie ich, dürfe er gerne höflich guten Tag zu mir sagen. Idiots everywhere.

Besonders hart trifft es die ambulanten Pflegedienste. Sie bekommen keine Abstriche, bewegen sich den ganzen Tag zwischen Haushalten mit ungezählten Fremdkontakten. Mundschutz? Alle! In ihrer Verzweiflung nähen sie welche. Was die bringen? Wohl nichts, aber es gibt keine Alternative.

Selbstgemacht, aber nicht dicht

Natürlich gelten in Haushalten keine Besuchsverbote. Wer da mit wem Kontakt hat, wer ein und ausgeht? Niemand weiß es. Und wir kriegen die Kurve einfach nicht runter. Es wird berichtet, dass positiv getestete Menschen (!!!!!) für ihre pflegebedürftigen Angehörigen kochen! Ohne Schutz bringen sie den gefährdeten Patientengruppen das Essen. Bei aller Hysterie und gekauftem Mundschutz wird hier sichtbar: Es gibt kein Bewusstsein für Keimverbreitung. Pflege kann nicht jeder. Natürlich kann man nicht ohne Mundschutz kochen und über die Hände verbreiten sich Erreger ebenso. Der Bevölkerung sind die Unterschiede von Isolation und Quarantäne nicht bekannt!!!

In Altenheimen mussten Pflegende jetzt einziehen!!! Nicht, dass da Corona grassieren würde. DAs erwarten die jetzt einfach so. Kinder, die die Mitarbeiter haben MÜSSEN mitgebracht werden!!! Sorry, das ist verrückt.

Ich habe den Eindruck, dass auf dem Rücken der Krise jetzt die Ausbeutungstube für Pflegekräfte mal wieder so richtig ausgequetscht wird. Wer zahlt diese Überstunden? Wer zahlt, wenn sich eine Pflegekraft ansteckt? Wer zahlt, wenn sich Kinder anstecken?

Die Frage, wie denn die Pflege jetzt monetär und mit Material unterstützt würde, beantwortete das Bundesgesundheitsministerium so:

Danke. Heldengesabbel. Helden arbeiten umsonst. Aber wir sind keine Helden. Wir sind Menschen mit einem Beruf. Was wir nicht sind:

Pic: Klausis Stricklädchen

Wir fassen zusammen. Die Gesellschaft möchte jetzt ihr Leben gerettet haben. Schön billig soll es sein. Material stellen sie Pflege nicht zur Verfügung und wenn Pflege nach angemessener Bezahlung fragt, dann kommt ein Danke. Nach mehr Geld zu fragen, wenn schon die Bedingungen noch mieser sind, als sie sonst schon mies sind, ist unmoralisch und neidisch. Aber nur bei Pflege. Bei anderen Berufsgruppen nicht. Die PPUG sind ausgesetzt. Mehr Arbeit für das gleiche Geld. Die Beatmungsuhren ticken, das bedeutet Geld für die Häuser. Pflegende werden in Einrichtungen kaserniert. Und jetzt noch der Hammer: das Arbeitszeitgesetz soll ausgehebelt werden. DAS forderte der BPA. Es soll schön unbürokratisch gehen, NOCH mehr Zeit aus Pflegenden zu pressen.

Zeitgleich klauen Menschen Desinfektionsmittel und auf Instagram posten sie Bilder davon, wie sie Klopapier bunkern.

DER HINTERN SCHÖN SAUBER, DER ANSTAND IM ARSCH!

Und diese Leute möchten, dass wir es schön billig halten?

Ich habe da eine Idee. Haben nicht Unternehmensberater eines riesigen Autoherstellers die Zeitvorgaben der Pflege mitgestaltet? Holen Sie die rein, die kennen sich ja offenbar mit Pflege aus!

3 Kommentare zu „Die Hintern schön sauber, der Anstand im Arsch. Von Heldengelaber, ambulanten Pflegediensten und wie man 200 Euro pro Stunde verdienen kann, wenn man ein Ohrenstäbchen halten kann.

  1. Super! Vielen Dank, dass auch mal die Ambulante Pflege erwähnt wird – wir haben kaum Material, Desinfektionsmittel werden weggesperrt (wohlgemerkt auf Arbeit, bei Bedarf muss jemand mit Schlüssel da sein, was auch nicht imme der Fall ist), und die Patienten verlangen, dass wir Mundschutze tragen, obwohl wir keine haben. Mal ganz davon abgesehen, dass wir zwischen immunsuppremierten und infektiösen Patienten hin- und herfahren.

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  2. Ich verbringe die Tage in freiwilliger Quarantäne, nachdem letzte Woche erste Symptome, oder eigentlich nur ein Symptom, bei mir auftraten. Pro forma rief ich meine Hausärztin an und einigte mich mit ihr darauf, dass ich zu Hause bleibe, mich nicht testen lasse, da das örtliche Testzentrum geradezu überrannt wird (die Leute stehen stundenlang dicht an dicht in einer Schlange und stecken sich erst recht gegenseitig an) und sie mich erstmal krankschreibt.

    Jetzt sitze ich also zu Hause, huste so vor mich hin und verspüre nichts als grenzenlose Erleichterung darüber, nicht mehr in der Pflege zu arbeiten. Vor zweieinhalb Jahren schloss ich die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft ab. Schon während der Ausbildung war die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, respektive die Umsetzung der Theorie IN der Praxis derart ausgeprägt, dass man fast nur noch in einem Zustand beständiger kognitiver Dissonanz über die Flure gehetzt ist.

    Schleichend wurde man nachlässiger in den grundlegenden Hygienestandards („Für schulisches Arbeiten haben wir hier keine Zeit!“), schwarz-humoriger im eigenen Zweck-Sarkasmus und mauliger gegenüber seinem Praxisanleiter, der diese Wesensverwandlung aber als klassische „Verpuppung“ einzuordnen wusste und meinte, dass meine Transformation vom motivierten Anfänger hin zum zynischen Routinier mittlerweile doch fast im Zeitplan sei, und seine anfängliche Sorge, ich könne mir meine Begeisterung für meinen zukünftigen Beruf auf ungesund hohem Niveau beibehalten, wohl doch unbegründet war.

    Dieser Praxisanleiter, gekennzeichnet durch hohe Professionalität und großem Fachwissen, hatte also seine ganz eigenen Methoden und Eigenarten, um mit dem Zustand in der Pflege im Allgemeinen, und der Ausbildungssituation im Besonderen umzugehen. Er kündigte erst, als er die klare Ansage von Heim- und Pflegedienstleitung bekam, dass weniger die Ausbildung, als vielmehr die Arbeitskraft der Azubis im Vordergrund stünde.

    Da ich die letzten zwei Jahre meiner Ausbildung auch zugleich Betriebsratsvorsitzender war und unser Gremium das erste war, dass sich auch mal traute, mehrfach das Arbeitsgericht zu bemühen, wollte man mich, trotz klarer Rechtslage, im Anschluss nicht übernehmen. Ich ließ mich abfinden, machte ein Dreivierteljahr Urlaub und wechselte in eine völlig andere Branche, in der ich eine ungelernte Tätigkeit ausübe, die nur geringfügig schlechter bezahlt wird, wie die Pflege.

    Von der Ausbildung direkt in den Pflexit. Ich hatte das weder geplant, noch direkt forciert. Es hat sich einfach so ergeben.

    Und trotzdem fühle ich jetzt neben dieser Erleichterung große Sorge um meine ehemaligen KollegInnen. Und ein klein wenig schäme ich mich dafür, nicht an deren Seite an den Betten zu kämpfen, schäme mich ob meiner Erleichterung.

    Es wurde schon viel über die mangelnde, bzw. gänzlich fehlende Wertschätzung dieses so unfassbar wichtigen Berufsstandes geschrieben und gesagt. Alles richtig, und wichtig zu erwähnen. Aber trotzdem möchte an dieser Stelle auch die Pflegekräfte, ganz explizit die in der Altenpflege, ansprechen. Denn bei allen systemischen Fehler, bei aller Geringschätzung und unfassbaren Zumutungen, ist auch das eigene Handeln, bzw. Nicht-Handeln, Teil der Gesamtgleichung.

    Ich habe es bei unseren Betriebsversammlungen erleben müssen, wie wir geradezu niedergebrüllt wurden, wenn wir es wagten, darauf hinzuweisen, dass wir es mit unserem Hang zur Selbstausbeutung dem System auch verdammt einfach machen, die Dinge so laufen zu lassen, wie sie laufen. Ständige Erreichbarkeit, ständiges Einspringen, das sich Einspannenlassen für faktisch systematische Dokumentenfälschungen (Trinkprotokolle, Verbandswechsel, Schmerzermittlungsbögen, Evaluierungen der Pflegeplanungen etc…).

    Mein Hinweis, dass die Leibeigenschaft auf deutschem Boden zuletzt im Jahre 1833 im Königreich Hannover abgeschafft wurde, dies aber offenkundig nichts gebracht habe, da heutzutage, zumindest in der Altenpflege, die Menschen völlig unreflektiert diese sich selbst überstülpen würden, wurde als reine polemische Provokation abgetan. Natürlich war es das auch, aber was ich damit ausdrücken wollte, der Subtext, interessierte kaum jemanden.

    Von daher, liebe Pflegekräfte: Wehrt euch, organisiert euch und solidarisiert euch. Hört auf mit dem Buckeln vor einer Obrigkeit und einer Gesellschaft, der es scheißegal ist, was ihr tagtäglich leistet und durchstehen müsst. Steht endlich auch mal für euch ein!

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