Intensivpatienten waschen und lagern, oder: „Pflege kann jeder“?

Ein Blog über die angebliche Leichtigkeit der speziellen Beatmungsform, die derzeit bei Coronapatienten angewandt wird von @Laura_Hippiemädchen, denn wieder erklären Fachfremde etwas, wovon sie ganz offensichtlich keinen blassen Dunst haben.

Die Coronakrise ist in Deutschland angekommen und jeden Tag kommen immer mehr Vorschläge, wie man das schon lange fehlende (Intensiv-)Pflegepersonal denn „beschaffen“kann.

Jetzt kommt Herr Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates mit der tollen Idee, fachfremdes Pflegepersonal doch mal schnell zu schulen, damit es auf Intensiv einsetzbar ist. Weil„Beatmungssteuerung und die Überwachung kann ich vielleicht nicht schnell lernen, aber wie man einen Intensivpatienten lagert oder wäscht, dagegen schon.“ (D.Ärzteblatt, 2020)

Ich kann da nur entgeistert mit dem Kopf schütteln. Covid_19 führt bei einem Teil der Erkrankten zu einem Zustand, in dem diese beatmet werden müssen und, wie auch die Bilder und Erfahrungsberichte aus Italien zeigen, in Bauchlage gelagert werden.

Bauchlage kennt jeder, aber Bauchlage bei einem intensivpflichtigen Patienten? Viele habennicht einmal eine Vorstellung, was so ein Patient „mitbringt“. Zunächst im Zweifel einezusätzliche chronische Erkrankung (z.B. COPD) und im Verlauf des Intensivaufenthaltes viele Zu- und Abgänge, bei Beatmung einen Endotrachealtubus, Überwachung usw.

In der Kinderintensivpflege ist die Bauchlage oft auch schon vorher gerne angewandtes Mittel zur bessren Belüftung von Lungenarealen oder zur Unterstützung der Verdauung z.B. bei Früh- oder Neugeborenen. Ein Früh- oder Neugeborenes auf den Bauch zu drehen istnatürlich „leichter“ als einen 90-150 kg erwachsenen Patienten, der auch noch beatmet und dann (hoffentlich ausreichend) sediert ist.

Die Bauchlage wird in der S3-Leitlinie „invasive Beatmung und Einsatz extrakorporalerVerfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ (2017) als eine „Umlagerung eines Patienten um 180° von der Rückenlage“ ausgehend beschrieben. Ziele, Indikationen usw. –darum soll es hier nicht gehen. Ich will nur klar machen, das „lagern“ eines Intensivpatienten nichts ist, was man ohne Beatmungssteuerung und Überwachung zu verstehen machen sollte!

Was bringt der Patient mit, worauf muss ich strukturell achten? Bsp. Aus der Kinderintensivpflege

ARDS bei 16 jährigem Patienten, zweite Woche Beatmung, Beatmung mit hohem PIP(35mmHg) & PEEP(15mmGH), 100% Sauerstoff und Versuch NO als inhalativer Bronchodilatator , Tubus oral

Sedierung Dauerinfusion und Einzelgaben, medikamentöse Kreislaufunterstützung, Parenterale Ernährung usw. über zwei dreilumigen ZVKs Handrücken (Femoralis und Subclavia) und PVK re., Arterieller Zugang li. Radialis, Magensonde nasal, Blasenkatheter

Das bedeutet sieben zusätzliche Zu- oder Abgänge plus die „normale“ Kreislaufüberwachungmit EKG, Sauerstoffsättigung und Temperaturmessung (über Blasenkatheter). Bis auf die Temperatursonde sind alle diese Kabel, Schläuche und Materialen unerlässlich für die Intensivtherapie und können nicht einfach für die Umlagerung in Bauchlage entfernt werden– alles bleibt dran und darf nicht im Zuge der Umlagerung „rausrutschen“, abklemmen oderso liegen, dass die Zufuhr/Ableitung unterbrochen wird.

Bei der Vorbereitung müssen alle äußeren Faktoren stimmen- sind die Kollegen gegebenenfalls greifbar? Habe ich alle Materialien? Ist der Patient stabil genug, letzte Nahrung ist wie lange her? Habe ich Material zum Lagern? Möglichkeiten weitere Eskalation der Sedierung, da die Beatmung kaum noch zu eskalieren ist?

Nach Rücksprache mit meinem ärztlichen Kollegen beginne ich mit der Versorgung des Patienten. Hierbei muss ich Vitalparameter im Auge behalten, Trachealsekret, Pupillenreaktion und vieles mehr kontrollieren und beobachten. Zugänge und Ausscheidungen kontrollieren, Hautinspektion, bei Veränderungen während meiner Pflege reagieren – Sedierung eskalieren, mit dem Patienten reden, Zuwendung über Hautkontakt (Hand auf Hand oder Schulter), klare Ansprache bei Tätigkeiten am Patienten, Alarme möglichst früh aus (Lärm).

Als der Patient versorgt ist und in Rückenlage liegt, bereite ich das Bettes auf Bauchlage vor, z.b. Decke zu einer Rolle formen, weiche Tücher als Unterlage- alles möglichste faltenfrei (Druckstellen!).

Zu Beginn der Lagerung bitte ich meine ärztliche Kollegin dazu, die Tubus und oberen ZVK sichern soll, ich bereite die Überwachung des EKGs über den Rücken vor, sortiere die Kabel – habe ich genug Spielraum/Bewegungsfreiheit, gebe noch mal einen Bolus Sedativa, spreche

kurz alles mit der ärztlichen Kollegin ab und starte die Umlagerungsaktion. Während der Umlagerung brauche ich gefühlt ca. 10 Arme und 15 Paar Augen, kein Kabel darf abgeklemmt oder abgeknickt werden, der Tubus sicher fixiert bleiben (Pflaster VOR Umlagerung kontrollieren!), die Bewegung darf nicht unphysiologisch am Patienten durchgeführt werde, nichts sollte unter Zug oder Spannung stehen- plötzlich Alarm, der Blutdruck geht runter, ist das jetzt ein Messfehler oder tatsächlicher Druck? Die Blutdruckkurve auf dem Monitor sieht gut aus- weiter Ursachen suchen – Ah, durch die Beugung des Beins ist der ZVK abgeklemmt- nach vorsichtiger Lösung der Beugung schießt der Blutdruck in die Höhe und pendelt sich dann wieder ein.

Patienten liegt in Seitenbauchlage und jetzt fängt das Sortieren an. Aber zuerst einmal Tubuskontrolle, auch mit dem Stethoskop. Lunge ist soweit gut belüftet, trotzdem ist die Sättigung schlecht. Wir beschließen einen Druckpunkt (PIP) hoch zu nehmen und dem Patienten etwas Zeit zu lassen, da jetzt die fraglich schlecht bis sehr schlecht belüfteten Lungenareale oben liegen. Jetzt übrige Kabel sortieren, gegebenenfalls abpolstern und ohne Zug sortieren. Ich checke die Unterlage auf Falten, ob alles spannungsfrei ist, keine Kabel unter dem Patienten liegen (Druckstellen!).

Versuche aufgrund von Faktoren wie Herzfrequenz, Gesichtsausdruck und Spannungen im Körper herausfinden, ob der Patient Schmerzen oder Unwohlsein „äußert“, decke den Patienten mit einer dünnen Decke bis zur Hüfte zu und beginne mit aufräumen und dokumentieren. Währenddessen checke ich mehrfach die Beatmung (AMV, VT) und die Lunge mittels Auskultation und über die abgeleiteten Parameter, stell die Beatmung wieder auf Ausgangswerte und hoffe, dass die Bauchlage die gewünschte Wirkung zeigt.

Das Ganze hat 45 Minuten und meine komplette Aufmerksamkeit gebraucht, ich habe viele Jahre Intensiverfahrung, trotzdem aber immer Respekt vor den möglichen Komplikationen und Fallstricken. Ich habe das Lagern von Intensivpatienten beigebracht bekommen und durfte es unter Anleitung viele Male“ probieren“. Es ist nicht nur lagern und waschen, es ist Krankenbeobachtung, Sicherheit, Prophylaxe, Therapie, Pflege, Zuwendung und so viel mehr, das kann ich nicht in der kurzen Schulung beibringen.

Was wäre, wenn der Tubus rausgerutscht wäre oder wenn der Blutdruck kein Messprobleme gewesen wäre, wenn ich ein Kabel übersehe und der Patient eine Druckstelle entwickelt? Ich

halte es für richtig die Intensivpflege zu unterstützen – aber Lagerung, waschen, pflegen versorgen, beobachten und dokumentieren sollten weiter die Fachkräfte, die mit Erfahrung, die mit Kompetenz eingesetzt werden. Wenn diese Gruppe, vorrangig Frauen, jetzt plötzlich systemrelevant uns allen den Arsch rettet, dann hoffe ich, dass das ein Effekt hat, der über Corona hinausgeht. Einen, der die Kompetenzen der Pflegekräfte adäquat widerspiegelt.

Aber ich glaube kaum daran

3 Kommentare zu „Intensivpatienten waschen und lagern, oder: „Pflege kann jeder“?

  1. Die Altenpflegs hat überhaupt keine Lobby.

    Bitte beziehe dazu mal Stellung!

    Ihr und eure easy Krankenhausjobs seit doch längst obenauf.

    Aber, all die Alten-Pflegendenden nicht!!!

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