Mutter, äh, Schwester Teresa – ein Covidmärchen

Gestern veröffentlichte die „Brigitte“ einen Artikel von einer Krankenschwester. Nun, es gibt ja keine Krankenschwestern mehr, sie heißen Pflegefachfrauen. Aber das ist Teresa, die uns ihren Namen nicht nennt, wohl entgangen. Ja, die Teresa. Teresa ist bestürzt. Schockiert gar. Verzweifelt!

Nicht nur, dass sie jetzt durch Corona viel, viel mehr arbeiten muss, nein. Da wollen die auch noch eine LOHNERHÖHUNG für sie! Doch Teresa, deren Mutter offenbar Mutter Teresa war, ist damit nicht einverstanden. Theatralisch hängt sie über einem Geländer, legt das Gesicht in ihre Hände und stöhnt dem drohenden Lohn entgegen (hier ein Hauchen): „Lasst uns bitte erst nach der Krise um Gehalt kämpfen!“

Wir fühlen mit ihr. Es ist ein schweres, hartes Los, für Arbeit Geld zu bekommen. Zumal es ja keine richtige Schutzausrüstung gibt. Doch obwohl Teresa nicht mehr kann, ja, verzweifelt ob der Normallöhne ist, hat sie Zeit, die ganzen Beiträge in Facebook und die Petitionen zu lesen. „Wir brauchen unsere Energie jetzt woanders!“ Sie bittet „den Zeitpunkt der Kämpfe zu verschieben“.

5% ungefähr der Pflegenden sind organisiert. Wie Teresa da auf einen drohenden „Arbeitskampf“ kommt, bleibt völlig unklar. Vorher, ja VOR Corona habe sie auch mit der Presse geredet.

Ich persönlich habe gesucht und nichts gefunden von einer Teresa. Außer dem Artikel von Brigitte. Für den Teresa aber Zeit hatte?? Echt jetzt? Löllerchen

„Wir müssen uns in diesen Zeiten nicht brüsten, nichts fordern, nicht beschweren!“ sagt Teresa.

Leute, ich habe das schonmal genauso gelesen! Das war 1924! „Sie fragt nicht nach Lohn, nicht nach Danke, nicht nach dem 8 Stunden-Tag! Ihr Herz ist ihr Tarifvertrag gewesen, den sie getreu bis in den Tod gehalten hat!“ (Krankendienst! ich habe sogar einen. Historikartikel dazu verfasst!“ Und da wurde mir leicht übel. Übel, weil die Botschaft seit 100 Jahren unverändert „jetzt nicht! Es ist nicht die moralische Zeit dazu!“ lautet.

Leute, es ist klar, Teresa ist ein Fake. Ein Fake dieses Blattes! Das Zitat aus der Zeitschrift vor 100 Jahren aber ist echt.

Teresa ist das Märchen vom lieben Schwesternmädchen. Wir haben uns erlaubt, das Märchen weiterzuschreiten. Mit Alternativenden. Sie dürfen sich eins aussuchen.

„Teresa übernahm in der Krise am Stück 40 Doppeldienste! Je 16 Stunden hielt sie die Hände unzähliger Coronainfizierter, wischte und tupfte ihnen die Stirn und streichelte mit ihren kühlen Händen über die Wangen der fiebrigen Menschen. Tränen rannten ihr über die Wange, angesichts so unendlichen Leids. Wenn es doch bloß eine Schutzausrüstung gegeben hätte! Doch was zählte schon ihr eigenes Leben? Bis zum bittren Ende würde sie durchhalten! Das war sie diesen Menschen als treusorgende Seele doch schuldig!“

Variable Enden:

  • Die La Traviata Variante: alles Hoffen war vergeblich. Die Schutzausrüstung kam nicht. Und als auch die bayerischen Brötchen ausblieben, da wusste sie nicht ein noch aus. Eines Morgens bekam sie Kopfschmerzen. Und Husten. Für die weißen Lilien war Wochen später kein Geld vom Klinikverbund da. Doch ihr Name kam auf eine Liste auf dem städtischen Marktplatz. Leider fing ihr Nachname mit Z an. Und wurde nie gelesen.
  • Die Arztroman Variante: Doch da kam Doktor Stephan Frank um die Ecke! Sie sah ihm tief in die Augen. „Doktor, Doktor! Wir verlieren ihn!“ hörte sie sich noch rufen. Dann trug er sie auf seinen starken Armen aus dem Zimmer, ritt mit ihr auf seinem weißen Schimmel in sein Landhaus. Sie heirateten, bekamen vier Kinder. Er wurde Oberarzt und lernte letztlich eine Schwesternschülerin kennen. Teresa wurde geschieden und starb in Altersarmut. „Hätte ich doch damals nur für mehr Lohn gekämpft“ weinte sie, als sie ihren Rentenbescheid sah, von dem nach den Kindererziehungszeiten und Teilzeit nichts mehr übrig war.
  • Die Krasse-Feministin_Variante: Teresa riss sich zusammen und dachte: „Scheiss doch drauf! Ich habe jetzt besseres zu tun und während ich hier arbeite, können sich ja die, die darauf Bock haben, für mehr Gehalt einsetzen.“ Teresa bekam einen Crashkurs in Intensivpflege. Nach der Krise studierte sie A und I Pflege, machte einen Master und einen Doktor, wurde echt gut bezahlt, schrieb viele coole Bücher über Beatmungssituationen bei Pandemien. Ihre Rente war so üppig, dass sie am Ende ihres Lebens immer genug zu essen hatte. Und Pflege konnte sie sich auch leisten. Das war geil. Nur das Motorradfahren hat sie mit 80 Jahren aufgegeben.

Ich bin für C. Aber was weiß ich schon?

6 Kommentare zu „Mutter, äh, Schwester Teresa – ein Covidmärchen

  1. Brillant geschrieben – brillant erfasst – brillant auf den Punkt gebracht!

    Aktuell gibt Pflege das größte Sozialkredit der Welt. Ihr Kapital: implizites Wissen, eingebunden in Manpower mit ein professionelle Feeling i.S. einer Capability_approach. Beste Zeit Wandel und Handel zu verknüpfen!

    Das Vermögen, das gelingende Pflege ermöglicht, sofern sie sich als Sozialbroker versteht (was sie UNBEDINGT sollte) sollte Pflege sich auch verzinsen lassen. Wuchern mit ihre Gaben und Talente!

    Sonst wird Care, das Core von Cure nicht als Zukunftsgestalter wahrgenommen: wenn sie sich selbst nicht ernst nimmt.

    Mit Selbstopfer auf den Altar einer vergötterte Funktionaliät vergeudet sie bloß ihre Ressourcen: Das ist sinnlos.Das ist zwecklos. Das ist nutzlos und ein Affront gegen aufgeklärter, gut gepflegter Ratio.

    Iphigenia auf Taurs Opfer hört sich bei Gluck fantastisch an – Händel bringt das Opfer vonJephtas Tochter aufs feinste zum erklingen aber Theresas Opfer bleibt unerhört – stumm – also: unerhört!

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