Gute Pflege nur für Weiße? Wie gut sind unsere skills außerhalb des weißen Spektrums? #blackskinmatters

Die Präambel des ICN Ethikkodex ist eindeutig. „Pflege wird mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur […]durchgeführt.“ Und wenn wir diesen Satz lesen und hören, dann nicken wir alle. Es scheint selbstverständlich. Doch ist es das?

Natürlich kann ich Hautveränderungen beobachten, Dekubiti beurteilen, Schwellungen deuten, Gangräne sehen, Mykosen, Wundheilung beurteilen, schon den kleinsten Schorf entdecken, Hautbeläge erspähen, Venen punktieren, Blässe deuten, Zyanose erkennen.

Das Problem? Ich kann all das wirklich nur anhand weißer Haut. Alle Waschpuppen, alle Demonstrationstafeln, alle Bildwerke, alle Anschauung zu Dermatologie, Chirurgie, Prophylaxe und was Pflege sonst so ausmacht, habe ich anhand Weißer gelernt. Was in mir Alarme auslöst, der Kontrast zwischen weiß und rot als Zeichen für Entzündung, oder weiß und schwarz als Zeichen für Nekrose, ist eine antrainierte Sehgewohnheit, die ihren Zweck komplett verfehlt, wenn ich sie ohne diesen Kontrast denken muss. Wie alarmiert bin ich bei schwarzem Belag neben schwarzer intakter Haut? Wie sieht Zyanose bei dunklen Lippen aus? Wie ein Schockzeichen? Und wie erkenne ich den ersten Grad eines Dekubitus, also eine Rötung, wenn die Hautumgebung dunkel ist und ich nicht durch den Kontrast gewarnt bin?

Kontraste als Sehgewohnheit. Wie sieht das an schwarzer Haut aus?

Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Niemand hat es mir je gezeigt, es gibt keine Tafeln, keine App, die mir helfen könnte. Mit dem Problem bin ich nicht alleine. Vor vielen Jahren gab es einmal Pockenalarm in Deutschland. Es waren schon Pocken… Windpocken auf schwarzer Haut. Doch gelernt haben wir seitdem nichts darüber, die Anekdote wurde mir Ende der 1980er in der Ausbildung erzählt, aber gehandelt wurde nicht.

Es gibt keine Waschdummies, keine Skalen, keine Hilfe. Und damit gibt es schlicht und ergreifend eine Lücke in der Qualität der Versorgung von Menschen mit farbiger Haut. Damit ist das, was dort passiert, schon im Ansatz nicht mit dem Ethikkodex vereinbar. Alle Menschen sollten, nein müssen, die gleiche Chance darauf haben, dass Pflege Symptome richtig deuten kann. Das darf keinesfalls eine Frage der Hautfarbe sein. Wie groß unser blinder Fleck ist, zeigte sich, als ich vor ein paar Tagen einen Hinweis zum Fehlen von entsprechenden Lehrbüchern postete. Jemand war der Meinung, mit Bildern von Menschen mit schwarzer Hautfarbe würde ich Kollegen meinen. Doch das meinte ich eben nicht, sondern zu Pflegende mit nicht-weißer Hautfarbe.

In England ist zumindest die Medizin einen Schritt weiter. Der Student M. Mukwende hat in mühevoller Arbeit einen Symptomatlas erstellt, der im Netz frei zugänglich ist. (https://www.blackandbrownskin.co.uk/mindthegap )

Doch Pflege ist ein Beruf mit „special needs“. Immerhin sehen wir viele Symptome weit vor der ärztlichen Begutachtung, haben eigene Skalen, beurteilen andere Veränderungen. Dort klafft nicht nur eine Lücke, sondern eine riesige Kluft. Denn das Problem zieht sich weiter, auch in die verschiedenen Altersstufen. Wie ist es in der Pädiatrie? Wie sieht alte Haut aus? Wie trockene Haut? Wo ist de Grenze zwischen Norm im Senium und Alarm? Wie können wir all das unterscheiden lernen, was wir uns im Praxisalltag durch jahrelanges Anschauen, Visualisieren und bildliches Merken antrainiert haben? Noch gibt es keine Antwort darauf.

Das größte Problem dabei ist die Beschaffung von Bildmaterial. (Also wenn Ihr je über die Möglichkeit stolpert, ein klinisches Bild mit Erlaubnis von Patient und Haus zu machen.. bitte, immer her damit). Aber damit ist es nicht getan, denn unsere weißen Sehgewohnheiten müssen übersetzt werden, damit wir eine ethische Versorgung auf diesem Gebiet gewährleisten können. Deshalb versuchen wir, uns auf dem Gebiet der #blackskinmatters Bewegung zu engagieren.

Wir, das sind wie gewohnt Donna Rabiata, das Hörnchen und ich, würden uns über Unterstützung freuen. Damit wir die Lücke schnell auch für die Pflege schließen können.

Gerne würden wir von Euren Erfahrungen auf dem Gebiet hören.

Habt einen schönen Sonntag.

6 Kommentare zu „Gute Pflege nur für Weiße? Wie gut sind unsere skills außerhalb des weißen Spektrums? #blackskinmatters

  1. Erstmal herzlichen Dank für die freundliche Erwähnung.
    Das Mißverständnis beruhte eher nicht auf mangelndem Problembewußtsein, sondern darauf,daß ich, wenn ich wissen möchte, wie ein Dekubitus oder Pocken auf schwarzer Haut aussehen, einfach bei der Google Bildersuche die entsprechenden Suchworte eingeben, zB „Afro American“ und „smallpox“ bzw „chickenpox“. Und schon habe ich hunderte von Bildern, die mir den Unterschied zwischen Windpocken und Pocken auf schwarzer Haut zeigen.

    Schones Wochenende weiterhin,
    Peter

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  2. Ich habe mir ehrlich gesagt, dazu noch nie Gedanken gemacht, dass ist mir gerade beim lesen bewusst geworden. Ich bin automatisch davon ausgegangen, dass es auch entsprechende Lehrbücher in den Ländern gibt für farbige Menschen.
    Danke für den Denkanstoß!

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