Da war er wieder, dieser Twitter-Moment, bei dem ich und andere Pflegende aus der Haut fahren könnten.“Die Leserin 1982“ fotografierte ihr Krankenhausfrühstück. Ein Brötchen, ein Vollkornbrot, Käse, Marmelade. Und alle, alle kamen und empörten sich. 2101 Twitterer waren geradezu schockiert vom Anblick.
Eine Frechheit sei das! Der GESUNDHEITSMINISTER solle sich das ansehen.
Krankenhaus- und Altenheimessen zu posten, ist in. Im Gegensatz zum Insta-Foodporn ist das gepostete Essen dabei immer das Symbol für kulinarische Impotenz des Gesundheitswesens, eine Vorwegnahme des eigenen Verhungerns, ein Symbol dafür, dass – ja, diese Kommentare sind reichlich – man den Ukrainern alles gönnt (besondere Kommentare unterlegen das mit Bildern von Hotelbuffets, die den Unterschied kontrastieren sollen), und die armen Deutschen verhungern, also klassistischer und rassisticher Kackscheisse und anderem Gedöns.
EPISCH war der Fall eines Kartoffelsalattoasts, den frecherweise eine ambulante Pflegende gemacht hatte (weil nichts anderes im Haus war). Die, so die Meinung, könne doch von ihrem privaten Geld der armen Omi mal ein Essen spendieren (so weit kommts noch!).
Was diese Bilder sagen? Sie sagen: „Oh je, ich wusste von Privatisierung der Kliniken und von Pflegemangel, aber es war mir am Arsch egal, solange ich nicht diesen Scheiblettenkäse fressen musste. Nun aber betrifft es mich und ich bin nahezu schockiert!“ Was das ist? Wohlstandverwahrlosung.
Jeder Hans und Franz weiß, dass der Tagessatz in Kliniken um 3, 80 Euro liegt. Zum Vergleich? 4,77 Euro beträgt der Tagessatz unter Hartz IV. Man muss nicht ausgesprochen gut rechnen können, um sofort zu verstehen, dass man in Kliniken also noch ärmer ernährt wird, als der Ärmste im Land. Und so, meine Damen und Herren, sieht das dann halt aus. Was habt Ihr gedacht? Dass da jetzt pochierter Lachs kommt?
Was die Empörungsposter nie erwähnen? Sie erwähnen nie, dass sie sich genau diesen Krempel ausgesucht haben, als der Service zur Abfrage durchs Zimmer kam. Was da also auf ihrem Tablett gelandet ist, ist genau das, was sie bestellt haben. Und was mich am Wütendsten macht?
Wer in der Lage ist, seinen Klinikfraß zu posten, der hat ein Smartphone, kann Arme und Beine bewegen (die Arme auf jeden Fall) und sollte, wenn ihm was nicht passt, einfach Lieferando anklicken und sich was bestellen. Die andere Möglichkeit wäre, sich vom Besuch ein Obst oder selbstgemachtes Essen mitbringen zu lassen. Aber nein, Dekaden lang hat man dem AOK-Versicherungskartenbesitzer eingetrichtert, dass eine Riesenklinik im Grunde nichts weiter ist, als das Alanya-Ressort auf Krankenkasse. Das, meine lieben Freunde, ist aber leider eine kleine Werbelüge. Wer nicht ausgesprochen dummbeutelig ist, der wäre da alleine drauf gekommen.
Es gibt akkurat zwei Dinge, an denen man in Kliniken sparen kann. Das Essen und das Personal.
Während es die Gesellschaft zutiefst erschüttert, dass sie nun die knappe Verweildauer lang ein Vollkornbrot zum Frühstück essen muss, ist es ihr weiterhin egal und völlig mumpe, dass, DAMIT sie dieses Essen überhaupt noch mit Joghurt und Kaffee und Wasser kriegen, draußen auf dem Gang die raren Pflegenden Polka tanzen, um den Marathon durch den Dienst zu stemmen. Davon macht aber keiner ein Bild, denn das interessiert genau keinen.
Die Schrippe, die Dir da nicht passt, hast Du aber trotz Pflegenotstand bekommen. Was das bedeutet? Das bedeutet, dass Du trotzdem alle Verbände bekommen hast, Dir bei der Körperpflege geholfen wurde, Dein Bett gemacht, Deine Pillen gestellt und Deine Vitalzeichen überwacht. UND DAS IST EIN WUNDER! Also weine nicht über drei Tage Vollkorn, sei dankbar, das so viel Kapazität da war, dass sie Dir den Krempel überhaupt noch gebracht haben.
Mich regt dieses ignorante Getue nur noch auf. Da sitzt Du mipm Arsch in einer Streikwelle und heulst über Dein 3, 80 Essen und neidest Geflüchteten den Sozialsatz. Ich drücke das mal so aus. Wärst Du mit Deinem damals noch gesunden Körper auf die Straße gegangen und hättest zusammen mit anderen für eine bessere Gesundheitsversorgung demonstriert, müsstest Du jetzt nicht denen, die nichts mehr haben, für drei Verweiltage die Summe von 80 Cents neiden. Was läuft bei Euch nur im Kopf schief?
Seit Jahren sagen Pflegende, dass sie die Versorgung nicht mehr aufrechterhalten können. In Altenheimen rühren sie die Pampen nur noch mit Wasser an, um Milchpulver zu sparen, und Du weinst jetzt echt darüber, dass Dir die Scheiblette nicht passt? Lord, ich sage Dir: es kommt der Tag, da ist diese Scheiblette der Himmel für Dich! Weil?
Hey! Surprise! Noch schlechter, weil noch gewinnmaximierter, wird Dein Essen im Alter aussehen, wenn Du erst in einer der Ketten Dein Dasein fristest. Aber das interressiert Dich nicht. Nur: dann haste keine Chance, Dir auch noch das kleinste Marmeladeglas zuzukaufen.
Ich habe ne gute Idee. Statt Dich zu empören, schäme Dich einfach. Schäm Dich, dass Dir das Debakel erst aufgegangen ist, als es Dich selbst betroffen hat. Schäm Dich, dass Du noch nie darüber nachgedacht hast. Preise den Herrn, dass Du kauen kannst und nicht via Magensonde am Nutritropf hängst. Zeitgleich nämlich schreiben Journalisten, dass es gemein wäre, dass Pflegende für DEIN BESSERES ESSEN UND FÜR DEINE VERSORGUNG auf die Straße gehen, weil Du keinen Bock darauf hast. Schäm Dich einfach.
Oder iss es einfach nicht. Aber tu nicht so empört, denn das zeigt nur, dass Du einfach nicht verstanden hast, worum es geht.
Ach ja, den Gesundheitsminister juckt das nicht. Dass Du nichtmal das weißt, ist spätestens schämenswert. Kliniken sind privatisiert. Nicht mehr staatlich. Dazu habt Ihr alle um 2000 rum gevoted. Mit JAAAAAA! Was haste gedacht, kommt dabei raus, wenn man staatliche Einrichtungen gewinnmaximiert? Biogemüse und frisches Spiegelei? Lol.
Während Du da feist rumknipst, denk an all die, die das nicht mehr können und nie tun konnten. Die, die den Murks jeden Tag essen müssen. Und – auch wichtig – denk dran: Auch Du wirst demnächst dazugehören. Ob da noch jemanden da ist, der Dir wenigstens das bringt, steht allerdings in den Sternen. In Asien zum Beispiel kochen die Angehörigen, wenn man was essen möchte und sie waschen einen auch, wenn man gewaschen werden will. Das ist da nämlich keinesfalls Pflege. Du hast genau zwei Möglichkeiten: geh auf die Straße und kämpfe für Deine Gesundheitsversorgung oder: Löffel dir Suppe aus, die Du Dir (durch politisches Nichtstun) selbst eingebrockt hast. Im wahrsten Sinne.
Danke, Danke, Danke für diesen wahnsinnig tollen Text.
Lg von einer Pflegekraft !
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Super Kommentar,
Genau so sieht aus.
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Der Text beinhaltet sehr viel Wahrheit! Ist schon krass, wie manche Leute ein Krankenhaus mit einem 4 Sterne Hotel verwechseln!
Und auch von den Mitarbeitern in der Pflege kommt viel zu wenig! Warum nichtmal die stinkenden Mülltüten mit Windeln versehentlich im Büro der der Klinikleitung entsorgen? Warum nicht mal mit das Gesundheitsministerium „Besuchen“ und so den Forderungen Nachdruck verschaffen? Warum nichtmal die Zentrale eines Privaten Pflegeheimbetreibers „besuchen“ oder sich zufällig auf nen Plausch vor dem Haus des Managers dieses Betreibers zusammen finden?
Ist radikal kann man jetzt sagen, ja mag sein, aber wenn man die ganze Zeit nur Blogs schreibt, Bücher schreibt und twittert, tja dann ändert sich gar nix! Kein Politiker oder Klinikchef und erst recht kein Manager einer Privaten Klinikkette interssiert das! Die sitzen das alles gekonnt aus! Und wenn man mal ein paar Stunden streikt, schöne Bilder für Fernsehen und Zeitung, aber juckt auch keinen in der Chefetage! Also, entweder man zieht es richtig brutal auf wie es der Schwarze Block macht ( ich finde den übrigens scheiße!) und schafft sich so Gehör oder man jammert weiter in Talkshows, Medien und Twitter rum und NICHTS ändert sich! Der Gegner hat unendlich viel Geld, kann sich Anwälte, Journalisten und sogar Politiker „kaufen“, also müssen da auch andere Methoden im Kampf gewählt werden als bisher, wenn es ne Veränderung geben sollte! Der Gegner ist nicht am Gemeinwohl interessiert sondern an Geld und Renditen, dem kann man nicht mit „Nächstenliebe“ und „Patientenwohl“ kommen! Wer immernoch glaubt mit Talkshowterminen, Twittern, Büchern und Veranstaltungen auf irgendwelchen Marktplätzen für einen Systemwechsel in der Pflege sorgen zu können, dem ist endgültig nicht mehr zu helfen!
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Also ehrlich gesagt, ist das Buch das Beste, was ich bislang gemacht hab 🙂
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Klasse wie Sie die Probleme herausschälen! Ich liebe euch (D), wie ihr direkt zur Sache kommt. Bei uns (CH) ist es ein ewiges Entschuldigen und „Verstehen“ von allen Seiten. Aber die Tatsachen sind dieselben. Gewinnmaximierung von „oben“ und ignorantes Gekläffe von „unten“.
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Diese konzise Sprache ist rein gar nicht typisch für D. Wir sind noch Liebesdienst und ich bin gar nicht lieb
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O. K. Aber es gibt doch einige und eine vor allem(n)
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