Alte und Kranke quälen und vorführen für Likes. Jeden kann es treffen

Haben Sie auch einen Verwandten im Pflegeheim, für das Sie jeden Monat viel, viel Geld bezahlen und sich ärgern, dass trotzdem die Versorgung nicht immer gewährleistet ist? Ja, Pflegenotstand ist übel, aber der ist jetzt noch Ihre geringste Sorge: Denn während wir hier plaudern, gehen Hunderte Videos online, in denen Alte und Kranke übel behandelt werden. Das soll lustig sein, so die Pflegeszene, und überhaupt: wir können die alle mal.

Nicht ganz 1, 5 Jahre ist es her, da warnte ich vor Pflegevideos auf TikTok. Dort wurden, und das ganz offiziell, Gewaltszenen an Patienten imitiert, zu gewaltvollen Songs mit Behandlungen gedroht, Schäferhunden Pillen verabreicht und davon geträumt, die einmal so den Patienten in die Schnauze schubsen zu können, wie einem Hund. Ekelhaft.

Der Befund kam rasch. Das Problem war ich. Ich habe nämlich überhaupt keinen Humor und kann das alles nicht mehr richtig einschätzen. Ich warnte, es dauere im Netz gar nicht lange, dann brauche es eine neue Steigerungsform – und die sei der Patient selbst. Kaum hatte ich das geschrieben, wurden auch schon zwei Pflegekräfte verurteilt. Die hatten eine Frau mit Demenz sexuell gequält und das Ganze gefilmt. Weil das so lustig ist, sagten sie. Und seitdem geht es rund im Netz – und keinen interessiert es.

Der neueste heiße Scheiß ist, einfach heimlich bei der Versorgung eine Kamera mitlaufen lassen, ohne, dass der Patient es weiß. Besonders „funny“ ist das angeblich, wenn der Patient nicht Herr seiner Sinne ist, also dementiell erkrankt ist oder anderweitig mental Sorgen hat. Es gilt als lustig. Tragisch ist, dass die Menschen meist nichtmal mitbekommen, was da geschieht, dass sie vorgeführt werden, dass sie sich nicht wehren können – und die gesetzlichen Betreuer sind meist genauso überlastet, wie das System. Wo kein Kläger, da kein Richter. Dementiell Erkrankte werden so zum Freiwild.

Doch wofür eigentlich? Likes sind Wertschätzung und Zustimmung. Je mehr Follower man hat, desto einfacher kann man lukrative Werbeaufträge an Land ziehen. Konkret bedeutet das: je krasser der Content, je fieser und abartiger, desto mehr Follower. Desto besser das Geschäft.

Heime und andere Einrichtungen nehmen das Problem nicht ernst. es interessiert sie einfach nicht.

Auch total beliebt: nicht mehr arbeiten, sondern eine Liveschaltung aus dem Dienst machen. Da kann man schonmal dementiell erkrankte Menschen um Hilfe rufen hören. Aber die rufen halt umsonst und man macht sich über die Hilfslosen noch lustig. „Die demente Wilma, ey, die schreit den ganzen Tag.“ Auf Konsequenzen angesprochen, sagt man ganz offen: „Yalla, sollen die mich doch kündigen, mir doch egal!“ Ja, das kann Pflegenotstand leisten, man muss jeden Mitarbeiter halten, mag der auch unterlassene Hilfeleistung filmen, oder die Privatsphäre preisgeben, es ist einfach alles scheißegal. Der Rubel rollt.

Statt seine Arbeit zu machen, kann man auch einfach die Dienstkleidung als Verkleidung nutzen. Und sich vollends selbst zum Sepp machen. DAs ist noch die harmloseste Variante. Da verletzt man, neben dem Berufsbild, wenigstens nur sich selbst.

Bloggerschwester ist nicht der Creator, sie prangert das lediglich an!

Warum da keiner was macht?

Das ist ganz einfach. Die Szene hält das für Humor. Wer etwas dagegen sagt, der ist ein Arsch. Wer auf Ethik besteht, der „gönnt nicht“.

Extra viel Humor, das ist, wenn man imitiert, wie man nach Alten tritt oder sie ersticken oder sonst einen Fehler macht. Das ist lustig.

Die Player, die so agieren, haben viele Follower, so scheint es, deshalb legt man sich mit ihnen nicht an.

Witziger Funfact: Die meisten der Follower sind gekauft, also Fakeprofile, was sich einfach mit Social Blade überprüfen lässt. Man tut also nur so, als wäre man total Social Media mächtig und vermeint, man könne sich alles erlauben.

Andererseits ist es natürlich IN, auf der richtigen Seite zu sein. Also gibt es Accounts, die einen dermaßen gequirlten Dreck raushauen, dass es einem die Schuhe auszieht, die kritische Frauen misogyn beschimpfen und dann kleine Kinder aus ihren Intensivbettchen nehmen, und schwupp, ab ins Internet mit ihnen.

Niemand und nichts ist sicher. Keine Privatsphäre, keine Handlung, kein Gesicht.

Und hinter der vermeintlichen Anonymität geht die Kaskade weiter. Es muss laufend neu und krasser produziert werden, sonst schafft man es nicht in den Pflegeinfluencerhimmel.

Tragisch: Presse und die Politik juckt das wenig bis gar nicht.

In deren Welten ist Pflege immer nett und lieb. Für Angela Merkel war das Internet noch Neuland. Dass im Neuland der menschenverachtendste Mist mit Hilfslosen und Wehrlosen abgeht, das ist denen völlig egal.

Iris Klein hat man bei Instagram und TikTok gerade noch auf dem Schirm. Dass es allerdings bereits eine Subkultur dort gibt, wo eh niemand hinschaut, nämlich hinter den Klinikmauern, die eh alles unsichtbar machen, das will man nicht wahrhaben.

Coolout und Burnout sind die Regel in dem Beruf, der angeblich immer Zeitnot hat aber nie zu wenig Zeit, um noch ein Reel zur drehen, heimlich eine Kamera aufzustellen, Patientendaten in die Kamera zu halten und NICHt zu arbeiten.

Teilweise rohe und durch den Beruf geschädigte Gestalten also vergnügen sich auf nicht minder rohe und drastische Weise mit denen, die sich in deren Obhut wähnen.

Und das Üble: im Schlimmsten Fall bekommen die Content-Creators dafür noch richtig Geld.

Um auch daheim nicht auf den Dreh zu verzichten, wird schonmal die versiffte Dienstkleidung mitgenommen. Obwohl man weiß, dass im Jahr 10k Menschen ihr Leben durch Personalnot bei unzureichender Händedesinfektion verlieren: Das Smartphone darf an keiner Ecke fehlen. Wie viele Keime da hin- und herumschleppt werden, interessiert dabei ebensowenig.

Und dafür zahlt der, der so derbe vorgeführt und misshandelt wird, auch noch tausende Euro im Monat.

Gute Besserung.

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2 Kommentare zu „Alte und Kranke quälen und vorführen für Likes. Jeden kann es treffen

  1. Danke für die Berichterstattung darüber! Einfach nur ekelhaft! Zumal ich meinen Arsch verwette, dass diese TikTok Nurses und Pfleger sowieso nicht arbeiten! Habe selber 10 Jahre im Heim auf Station gearbeitet! Ich hatte schon in der Ausbildung keine Nerven und Kraft gehabt, da irgendwelche Clips zu drehen! Und mal ehrlich, bevor ich so ein Video drehe, trinke ich lieber Wasser oder Kaffee oder lege im Stationszimmer mal 5 Minuten die Füße hoch! Und wenn Feierabend ist, so schnell wie möglich raus aus dem Heim, nicht dass irgendjemand noch mit irgendeiner Bitte oder Gefallen kommt! Aber die bleiben noch da um Filme zu drehen? Und selbst ein 20 Sekunden Tanzvideo ist nicht in dieser Zeit beim Ersten Mal im Kasten….

    Die arbeiten nicht, die laufen nur mit und lassen die echten Kräfte die echte Arbeit machen, meine Meinung dazu! 😡😡

    Die Heimleitungen müssten da auch viel sensibler und härter vorgehen, aber manche unterstützen sowas ja offen oder tolerieren es zumindest!

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