Meine Kollegin ist rechts und ich kann nichts dagegen tun. Ich weiß an der Stelle nicht, ob „rechts“ noch ausreicht, um das Problem zu beschreiben, aber was ich ganz sicher glaube ist, dass ich verstehe, wo wir beide so unterschiedlich abgebogen sind und ich möchte versuchen, das zu beschreiben.
Ich habe mich in meinem (neuen) Beruf sehr bewusst dafür entschieden, mich mit der Zeit zwischen 1933-45 nicht zu befassen. Ich weiß trotzdem sehr viel darüber, aber ich halte, im Gegensatz zu manchen anderen Kollegen, diese Quellen nicht aus. Ich habe einmal den Verbleib von 400 Ärzten recherchieren müssen und ihre Biografien. Witzige, kluge, junge Menschen. Ich durfte hinter ihr Leben gucken, wie sie sich verliebten und wie sie lebten… und das war schön zu sehen. Ich habe dann viele der Spuren verloren, und am Ende nur noch Stolpersteine gegoogelt und mit Yad Vashem kommuniziert. Ich halte das nicht aus. Einer der Professoren, bei denen ich gelernt habe, hat diese Zeit erlebt. Wie er es aushält, darüber wieder und wieder zu lesen, ertrage ich kaum. Bei den Berichten ekele ich mich, nicht vor dem, was da medizinisch oder faktisch steht, sondern vor der Kaltblütigkeit, der Verrohung, dieser … Widerwärtigkeit, dieser Stumpfheit im Kopf. Dieser Stein im Magen, acht Stunden am Tag und am Abend geht es nicht weg. Hannah Arendt nannte es „empörende Dummheit“, aber das reicht gar nicht aus. Diese Zeit macht mich krank. Ich möchte das nicht. Ich könnte die ganze Zeit wütend betroffen heulen oder kotzen…Ich arbeite in vielen Ländern Europas, ich kann mit Nationalismus wenig anfangen. Ich steh auf mein Land, es ist im europäischen Kontext sehr bemüht. Aber ich habe versprochen, alle Menschen zu versorgen, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder politischen Einstellung. Und daran habe ich mich gehalten.
Dreißig Jahre hat meine Kollegin auf dem im Buckel und in der Zeit hat sie nach Kräften versucht, die Situation zu ändern. Sie hat Menschenleben gerettet, mehr, als Deine Stadt vermutlich Einwohner hat. Sie hat Gewalt erfahren, im Beruf. Durch einen narzisstisch gestörten Pflegedierektor, der solche Menschen demütigte bis sie zerbrachen. Durch Patienten, denen es nicht schnell genug ging und die auch mal zuschlugen. Durch ein Gesundheitssystem, dem es am Arsch vorbeiging, ob ihre Kraft noch reichte. Sie war so fertig, dass sie Stunden reduziert hat. Auch, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Ihre Rente ist deshalb demnächst ein Witz. Für nichts war Geld da. Nicht für mehr Personal, nicht für ein bisschen mehr Gehalt. Die 90er. Da hast Du gemachten was man sagte, auch in der Pflege, sonst standest Du auf der Straße. So einfach war das.
Eine Brennpunktklinik . Maximalversorgung. Im Bezirk hoher Anteil von Menschen mit Migratonshintergrund. Es gab und gibt Probleme. Diese Probleme waren schwer zu kommunizieren. Auf der einen Seite muss man beim Lebensretter unheimlich schnell sein, sehr konzentriert. Auf der anderen Seite sind da kulturspezifische Situationen, wenn eine Familienmama mit zwanzig Angehörigen gemeinsam die Rettungsstelle betritt, niemand spricht Deutsch, alles ist in Aufruhr, obwohl eigentlich nichts ist und die Familie sprengt Dir alle Möglichkeiten der räumlichen und zeitlichen Koordination, für einen Fleck am Bein, obwohl drei Meter weiter ein Kind alleine ist, sich das Bein gebrochen hat und weint und Angst hast. Dann hast Du keine Zeit. Einfach keine Zeit. Die Gewalt, pure körperliche Gewalt mit Anspucken, Beschimpfen und Schlagen der Pflegenden nahm zu. Nein, nicht nur durch migrantenstämmige Menschen, auch von anderen. Darüber wurde nie geredet. Man hatte kein Geld, aber man baute eine Wand mit einer Schleuse. Draußen sitzt jetzt jemand, der die Mengen abhält, der Eintritt ist verboten. Die einzige Art, das Team zu schützen. Kultursensibel haben sie das genannt, aber vor der Kultursensibilität stünde vor allem, dass die die meiste Hilfe erfahren, die mit dem Leben ringen, also eine Menschensensibilität. An einem Ort, wo pinkeln gehen ein zeitlicher Luxus ist, ist die Frage nach Kultursensibilität fast ein Hohn. Es gäbe da nämlich noch eine Arbeitskultursensibilität… aber die kostet Geld. Stattdessen ist die Gewalt jetzt auch auf Feuerwehrleute und Sanitäter übergesprungen. Manchmal berichtet eine Zeitung.
Niemand kam, um ihr zu helfen. Auch nicht, als sie zwei Kinder alleine großzog. Niemand kam, um diese Arbeitsbedingungen zu verbessern, diese Gewalt abzustellen, institutionell und strukturell. Sie hat sich den Arsch aufgerissen, aber es interessierte niemanden. Dass sie mehr Leben gerettet hat, als in Deinem Ort Leute leben, das war völlig normal. Für einen Hungerlohn. Der Kampf gegen Windmühlen zermürbt. Irgendwann ist da Gleichgültigkeit und man denkt nicht mehr nach und wann auch? Bei den 9,5 Stunden Pause zwischen den Schichten? Kein Geld.
Mit 2015 kam die Wut. Eigentlich berechtigte Wut. Der Staat, der ihr dreißig Jahre lang erklärt hat, dass kein Geld da sei, um ihr ein vernünftiges Leben zu ermöglichen, ihren Kindern funktionierende Toiletten in der Schule, Kinderbetreuung und ein kleines bisschen Wertschätzung, der ballerte nach ihren Maßstäben nun Geld raus. Diese Menschen, für die es ausgegeben wurde, hatten nicht, wie sie, Zigtausenden das Leben unter Einsatz ihres Eigenen gerettet. Sie kamen einfach und bekamen, und auch das muss man bereden, für sich ungefähr das an Hilfe, wofür sie 70 Stunden in der Woche unter kranken Bedingungen knüppelt. „Wutbürger“ witzelten diejenigen, denen es auch sonst egal war, wie sie ihr Leben bestreitet und was sie einbringt, um die dekadenten Ärsche der Verwandten dieser hochbezahlten Ökolaberer zu retten. Die, die in ihrer Freizeit Klamotten austeilten und nun in der Presse bejubelt wurden für das, was sie seit 30 Jahren tut. Ihre Wut, ihr ganzes Leben, wurde zum Witz. Demütigung.
Seitdem guckt sie besser hin. Teilt wütend populistische Memes von Vergleichen zwischen Renten einer Friseuse und der Hilfe eines Asyslsuchenden. Und während ihr alle erklären, das sei Populismus, weil auch diese Partei, die sie jetzt wählt, ja nicht vorhabe, diese Dinge besser zu machen und der Friseuse mehr Rente oder Gehalt zu geben, und darüber labern, wie dumm sie sei, geht völlig unter, dass diese populistisch instrumentalisierte Friseuse und sie das selbe Schicksal teilen. Sie können mit allem, was sie gesellschaftlich einbringen, mit all ihrer Arbeit, ihr Leben nicht machen. Egal, was sie tun.
„Aber Du kannst doch nicht..!“ und dann wird sie als Nazi beschimpft. Und an einem Punkt hat sie sich gedacht, ok… wenn es das ist, dass ich Nazi bin, weil ich doch nur im Job nicht auf die Fresse kriegen will und meinen Kindern bis zum Monatsende was zu Essen kaufen möchte, dann scheiss doch drauf, dann bin ich Nazi. Und dann and sie es unfair, weil die Politik über Ampelmännchen und Ampelweibchen redet, während sie selbst nicht ein noch aus weiß. Wut Wut, diese riesige Wut. Die Hoffnung, dass irgendwer etwas tut, egal um welchen Preis.
Das machen nur Abgehängte, haben sie gesagt und ja, abgehängt hat sie sich gefühlt. Als ihre Ehe wegen der Schichtbelastung zerbrach, hat sie als Alleinerziehende mehr Steuern gezahlt, als das Pärchen nebenan, das keine Leben rettet, sondern nur im Supermarkt arbeitet.
Meine Kollegin hat mehr Leben gerettet, als in Deinem Ort Menschen wohnen. Das hat sie geschafft mit dem, was wir spöttelnd sekundäre Deutsche Tugenden nennen. Mit Fleiß, Engagement, Disziplin, Pünktlichkeit und Sauberkeit. Und Du hast darüber gelacht. Nun sagst Du, man rede nicht mit Nazis. Man müsse anderen Menschen helfen. Und sie, die ihr Leben lang anderen Menschen geholfen hat, sie kann das nicht verstehen. Was sie verstanden hat:
Man darf, denn das ist ihr passiert, Wehrlose schlagen, bespucken, verprügeln und demütigen und dann bekommt man Hilfe. Nun ist sie bereit, genau DAS zu tun. Und DU, der Du nie ein Leben gerettet hast, hast die Frechheit, und lachst sie aus.
Wir sind unterschiedlich abgebogen. Ich habe einfach die Tür zugemacht. Das hat meinen Humanismus gerettet. Ich habe 35.000 Leben pro Jahr gerettet. Seit 7 Jahren habe ich also 245.000 <-!!! Patienten nicht gerettet. Und Du sagst, meine Moral sei höher, als ihre. Meine Kollegin ist rechts.
Der strategische Gegner ist der Faschismus […] in uns allen, in unseren Köpfen u. in unserem Alltagsverhalten, […] der uns dazu bringt, die Macht zu lieben, genau das zu begehren, was uns beherrscht und ausbeutet. – Foucault
Es wäre so einfach gewesen….