The [Real!] Odor of Disgust

In meinem Beruf gibt es Dinge, die sind relativ leicht zu rekonstruieren. Zum Beispiel ist es einfach, rauszufinden, wann die Sissi den Franzl geheiratet hat und so Dinge. Aber es gibt sehr sehr flüchtige Phänomene, wie Geräusche und Gerüche, die eben schon 1000 Jahre verklungen sind und die sich nicht so einfach wiederfinden und beweisen lassen. Um das einigermaßen hinzubekommen, gibt es den Zweig der Emotionshistoriker, die sehr einfühlsam rekonstruieren, wie sich Dinge und Situationen angefühlt haben. Ich hatte das große Glück, eine lange Zeit bei einer von ihnen zu arbeiten.

Zu den großen Ehrungen gehört es, wenn Dich ein Kollege (in dem Fall meine ehemalige Chefin) einen Text von sich probeweise lesen lässt. Das hat sehr verschiedene Gründe. Zum einen möchtest Du verstanden werden, zum anderen ist das natürlich das pure Vertrauen in ehrliche Reaktion und kritisches Lesen. Und so bekam ich vor ein paar Wochen die große Ehre, in einen Artikel schauen zu dürfen, der sich mit dem Geruch von Krebs auseinandersetzt. Meine Chefin schreibt großartig. Ich erwartete, dass mir sogleich die Gänsehaut den Rücken hoch und runterlaufen würde. Aber… das passierte nicht. Und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass mein Ekel an der Stelle leider bereits kaputtgegangen war. Das machte wiederum ein anderes Problem, denn ich sitze gerade an einem Kapitel, das mir aufgibt, mich sehr genau mit dem historischen Geruch von Fäkalien auseinanderzusetzen.

Krankenschwestern und Fäkalien. Ich kam mir ja vor, wie frisch in die Klischeeschublade aus der Hölle eingesperrt. Natürlich. Rufen Sie eine Krankenschwester und Fäkalien sind Lappalien. Ich nörgelte. Warum ausgerechnet ich? Was ist zu beweisen? Shigellenenteritis riecht nicht lecker. Kam mir einfach vor. Auf gings. Zu meinen Großtaten auf der ZNA gehörte es, einmal ein Pärchen mit Knollenblätterpilzvergiftung betreut zu haben. Was soll ich sagen? Es dauerte 10 Minuten und wir haben die komplette ZNA evakuiert, weil der Gestank so erbärmlich war. Alle raus. Alle..naja, fast alle, außer natürlich ich, die ich, bewaffnet mit einem sehr persönlichen Kotzeimer und ohne Hoffnung, im Schockraum stehenbleiben musste. Das Leben kann gemein sein. Ich vergesse das nie. Was also soll an dieser Recherche jetzt so schwierig sein? Zack, sprachs und schlug die Bücher auf.

Wisst Ihr was? Da steht nichts über Gerüche. Unfassbar, aber wahr. Nichts! Das ist bis zu einem gewissen Grad logisch, denn was beweist der Geruch schon? Aber Nichts? Dig deeper? Tagelang also schaute ich in alle möglichen Bücher und fand keine Ruhe. Hier eine Auswahl:

Erstmal suchte ich in alten Hebammenbüchern. „Der Stuhlgang des Säuglings ist in den ersten Tagen durch die Ausscheidung des Kindspechs schwarzbraun, später wird er so wie Rührei.“.. Das hat mir mein Frühstück versaut, aber nicht weitergeholfen.

„Während des fieberhaften Krankseins hat der Kranke täglich 3-6 übelriechende erbsbreifarbige Ausleerungen.“ (1941), Hurra, wenigstens rechts jetzt mal übel bei Typhus.

„Die Träger des Contagiums sind die Darmausleerungen Typhöser; die Intensität des Contagiums steigert sich mit der Zersetzung der Dejecte [Ausscheidungen]. Ein mit in Zersetzung übergegangenen typhösen Dejecten gefüllter Nachtstuhl in warmen Krankenzimmern ist daher eine sehr gefährliche Sache, zumal auch die dunstförmigen Exhalationen der Dejecta das Krankheitsgift enthalten. Die übeln [sic] Gerüche der Dejecta sind jedoch keineswegs identisch mit dem Typhusgifte und selbst wenig übelriechende Stuhlgänge können sehr verderbliche Exhalationen verbreiten.“ (1870), ja das ist schon nicht übel….. diese verderblichen Exahalationen.

„Die Entleerungen beim Stuhlgange sind dünn, gelblich, sehr übelriechend.“ wollte man Leuten auf Kauffahrtsschiffen mitgeben. Und am Ende schrieb ich das alles zusammen und war sehr unzufrieden, weil es mir einfach nicht eklig genug vorkam. Dazu kam, dass in der Zeit, in der ich mich bewege, nicht gut riechen noch gefühlte 10000 andere Dinge bedeuten kann. Die schrieb ich auch auf. Alles!

Aber vom Stuhl (hahahaha) gehauen hat es mich nicht. Der Text musste also raus zum Probelesen. Ging er. Er ging an meine Lieblingskollegin, die den Vormittag damit zubrachte, ihn sich vor dem Mittag reinzuziehen. Ich bekam ihn zurück mit den Worten: „Es war wie in der Kindheit. Eklig, aber irgendwie auch spannend!“ Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet.

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