Die Selbstermächtigung einer Station, oder: was wir können, wenn wir an einem Strang ziehen

Ein Gastbeitrag von @sin_azucar

Ich hatte neulich einen Einsatz als Leasingkraft in einem Haus des Berlin-eigenen Vivantes Konzerns, dem Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Friedenau. Ich kannte das Haus nicht, musste mich erst zurecht finden, bis ich auf der 12 C, einer Station für Infektiologie und Onkologie ankam. Beide Bereiche sind mir recht fremd, so dass ich darauf angewiesen war, häufig bei den fest angestellten Kollegen nachzufragen. So kam ich ins Gespräch mit Rainer.

Rainer ist um die 50, trägt einen hochgestellten blauen Iro und ein echsenartiges Tattoo auf der linken Kopfhälfte. Er ist außerdem unfassbar fit im Bereich der Infektiologie, und ein wirklich freundlicher, souveräner Mensch. Überhaupt fiel mir bereits zu Beginn des Dienstes auf, dass diese Station anders ist: die Kollegen waren nicht die (Verzeihung) häufig anzutreffende Brathähnchenfraktion mit eher überschaubarem Horizont, sondern: professionell. Sie traten souverän auf, sie verfielen nicht in eine kindlich-süßliche Art des Umgangs miteinander, sie agierten (auch körpersprachlich) auf Augenhöhe und unter Wahrung gegenseitigen Respekts untereinander und den ärztlichen Kollegen gegenüber.

Zurück zu Rainer, mit dem ich irgendwann darüber sprach, dass die Privatisierung des Gesundheitswesens der Sündenfall…wir brauchten gar nicht weiter zu sprechen, sondern waren uns da sehr schnell einig. Und dann erzählte Rainer mir das Folgende:„Wir sind ja dann bald weg. Mal sehen wie‘s weitergeht, dann…“ – „Ach, haben viele gekündigt, oder wird die Station geschlossen?“ – „WIR haben gekündigt.“. Und auf meinen verwirrten Gesichtsausdruck: „Wir haben alle gekündigt. Die gesamte Stationsmannschaft. Inklusive der Ärzte.“

Das musste dann erstmal bei mir sacken. Kolleginnen, stellt Euch das vor!Und wie geht es dann weiter mit der Station?Nun, Rainer holte dann etwas aus: die Station, die ich gerade kennen gelernt hatte, war eine der ersten, die 1987 damit begonnen hatte, HIV-positive Menschen zu behandeln, und in den 90er Jahren die erste HIV-Schwerpunktstation bildete. Über die Jahre hatte sich ein Team zusammen gefunden, das offenbar enorm gut zusammen passte und aus sehr vielen sehr reflektierten Kolleginnen, auch ärztlichen, bestand. Dieses Team besteht in seiner Kern-Zusammensetzung seit rund 30 Jahren. Mit dem Aufgehen des Auguste Viktoria in den landeseigenen Vivantes-Konzern und der damit beginnenden Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs wurde die Situation allerdings unschön:Mehr Patienten, weniger Pflegende, allgemein schlechtere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlicher Druck. Missachtung der pflegerischen Leistung durch die euphemistisch „Arbeitsverdichtung“ genannte überbordende entmenschlichende Abfertigung von Kranken.

Die Kolleginnen taten alles, was man so tut, wenn man sich gegen die derzeit vorherrschende Situation wehren will: Beschwerden, Gefährdungsanzeigen, Gespräche, pipapo. Der Erfolg: gleich null. Und schließlich tat sich eine neue Möglichkeit auf.Über mir nicht bekannte Wege signalisierte ein anderes Krankenhaus Interesse daran, die „Station“ zu übernehmen. Ganz richtig, nicht nur hier einen, da einen, und vielleicht noch einen Arzt, sondern: alle.Es gab Gespräche, Treffen, man tauschte Vorstellungen aus und stellte Forderungen, und schließlichwar es soweit: die Kolleginnen kündigten geschlossen und werden im Laufe dieses Jahres gemeinsam ihre Station in Tempelhof neu eröffnen. Mit 10 Betten weniger bei gleicher personeller und ärztlicher Besetzung. Mit zusammen 500 Jahren an infektiologischer Expertise. Mit dem unbedingten Willen, ihre pflegerische Qualität aufrecht zu erhalten, WEIL ES DAS IST, WAS SIE VERDIENEN. Weil es das ist, was Patienten verdienen. Weil eine gute pflegerisch-medizinische Versorgung ein Menschenrecht ist.

Die Reaktion von Vivantes übrigens?Verwirrung, Schock, dann: ein bockiges „Na und? Dann geht doch. Wir können das auch ohne Euch.“ Und die Ansicht, dass diese Geschichte nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gehört.Tja. Hiermit misslungen.Und die Moral von der Geschicht: Kolleginnen, nehmt Euch ein Beispiel! Wir haben derzeit alle Karten und alle Macht in der Hand, WENN WIR SIE ANNEHMEN und an einem Strang ziehen. Lasst Euch nicht von den Luftpumpen aus der Wirtschaft belabern, die uns weis machen wollen, dass nur Zahlen und Bilanzen zählen – das stimmt nicht. Lasst Euch nicht von Hierarchiejunkies erzählen, dass wir keine Entscheidungsbefugnis haben – dasstimmt nicht.Lasst Euch nicht von Nonnenabkömmlingen erzählen, dass unsere Pflicht den Patienten gegenüber liegt – das stimmt am allerwenigsten. Unsere Pflicht besteht UNSEREM Leben, UNSERER Gesundheit, UNSEREM Wohlergehen gegenüber, niemand anderem!In diesem Sinne: bildet Banden.

12 Kommentare zu „Die Selbstermächtigung einer Station, oder: was wir können, wenn wir an einem Strang ziehen

  1. Krass. Konkret. Klar.

    Handgreifliches abstimmen mit den Füssen.
    Die effektivste Maßnahme um loyal Stellung zu beziehen zu Gunsten seiner eigene postheroisch gemanagete Pflegephilosphie.

    Souverän gemeistert im skizzierten Akteurskollektiv – jeder für sich und GOTT mit uns alle.

    So sollte Auftrittsmenschen in der Pflege autreten.

    Immer.

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  2. Endlich mal etwas Positives in Deutschland.

    Ich bin fasziniert von diesem Team und ich finde deren Handlung einfach genial.

    Ich selbst war im vergangenem Jahr alleine etwas höflich rebellisch, weil ich ließ nicht alles einfach so, weder mit mir, noch mit den Bewohnern machen. Mit dem Resultat, dass mein Vertrag nicht verlängert wurde.

    Durch den obigen Beitrag fand ich gestern zu Ihrem Blog, liebe Monja. Und dann las ich plötzlich einen Beitrag nach dem anderen und erst zum Schluss diesen.

    Ihr Blog erfreut mein Herz, Verstand und meine Seele. Es ist gut und schön, dass es Sie gibt. Danke.

    Übrigens, vor 11 Jahren hatte ich ein Praktikum als frische Pflegeassistentin in den Niederlande.
    Ich empfand schon damals die Zustände im Vergleich zu DL als einen Unterschied zwischen Tag und Nacht.
    Einen Kritikpunkt an mich hatten sie dort, und zwar war ich ihnen etwas zu hibbelig, weil ich immer was „richtiges“ tun wollte. Und: Die schwerste körperliche Arbeit war dort doch tatsächlich, die Stützstrümpfe einem Bewohner nach dem Duschen anziehen zu müssen.
    Aber ich erfuhr, auf mein Nachfragen hin, dass es auch bei ihnen nicht immer so war und dass für diese menschlichen Bedingungen auch erst ordentlich gekämpft werden musste, um diese zu erreichen.

    Und dafür braucht es bei uns in DL erst einmal überhaupt eine verstärkt öffentliche und ehrliche Kommunikation.
    Ich habe mich jedenfalls bisher mit meinen Gedanken und Gefühlen, bezüglich dieser Thematik Pflege an sich, sehr alleine gelassen gefühlt. Bis gestern. Da keimte ein Hoffnungsschimmer in mir auf.

    Möge die Saat aufgehen.

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    1. Ich danke Ihnen sehr für das Lob. Die Kollegen der Station lesen mit.
      Heute berichtete die Presse und wir haben ganz andere Möglichkeiten. Wir müssen unseren Beruf zurückerobern. Zu lange sagten Andere, was Pflege sei. Wir leben in einer guten Zeit, um selbst die Bedingungen zu bestimmen.
      Danke fürs Lesen. Ich bin nur ein kleiner Blog. Jedes bisschen Mut das ich verbreiten kann, macht mich froh!

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  3. Ein mutiger Schritt für den ich Verständnis habe. Aber so lange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, bringt er nicht viel mehr als eine kurze Aufmerksamkeit in den Medien. Und die Bedingungen werden sich erst ändern, wenn sich die Pflege organiert.

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  4. Viel Glück den Kolleg*Innen. Wir selbst in Gießen mit unserer Infektionsstation haben es leider nicht geschafft, sondern sind im Rahmen der Privatisierung der Uniklinik in einer gemischten Station aufgegangen. Praktisch alle vom alten Team sind inzwischen weg

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  5. Wie lange wird es wohl dauern , bis das St. Joseph die Betten aufstockt und die Arbeitsbedingungen die gleichen sind ? Ein mutiger und wichtiger Schritt … hoffentlich nicht umsonst !

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    1. Ich verstehe das Konstrukt des „könnte, hätte, wollte“ und „das bringt alles nichts“ immer als Ausdruck einer German Angst.
      Dieses „nichts kann was ändern“ hat genau zu DER Lethargie geführt, die diese Zustände ermöglicht haben.

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  6. Liebes Team,
    ich hoffe, Sie lesen noch immer mit. Ich bin Journalistin bei einem privaten Fernsehsender und habe wie viele Medien Interesse an einer Berichterstattung über Ihre beeindruckende Entscheidung. Wenn auch von Ihrer Seite Interesse besteht, freue ich mich über eine Rückmeldung.
    Herzliche Grüße,
    Cathleen Bergholz

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  7. Die Crux an der geschilderten Strategie ist, dass sie sich nicht verallgemeinern lässt. Versteht mich nicht falsch: Ich kenne die Scheißsituation, in der Ihr Euch befindet, zwar nicht aus Eurer Perspektive, aber aus der des Patienten, und wer als Patient Augen zu sehen und Ohren zu hören hat, weiß, wie unhaltbar Eure Arbeitsbedingungen sind und welche politischen Ausbeutungsstrategien dahinterstehen. Vielleicht bin ich ja schlecht informiert, aber was mich immer wieder erstaunt, wenn ich mich ab und an auf Webseiten wie der Deinen/Euren herumtreibe, ist, dass eine Strategie, die Eure französischen Kolleginnen und Kollegen schon seit Jahrzehnten anwenden (das erste Mal erfuhr ich davon in den 80er Jahren), in der hiesigen Diskussion offenbar keine Rolle spielt (zumindest ist mir nichts davon bekannt): Streiken ohne dass die Patienten darunter leiden müssen. Wie das gehen soll? Verblüffend einfach: Die Patienten werden weiterhin versorgt, aber die Verwaltung kriegt keine Dokumentation mehr, der ganze Qualitätsmanagementquatsch, der nicht nur Euch das Leben versauert, wird einfach unterlaufen. In Frankreich zumindest hat dieses Vorgehen, das die staatlichen oder privaten Betreiber gehörig unter Druck setzt, immer wieder Erfolg gehabt. Vielleicht wäre diese Strategie ja auch hierzulande einen Gedanken wert. Falls das bereits der Fall ist und ich nur zu dösig bin, es zur Kenntnis zu nehmen, dann vergesst diesen Einwurf einfach.

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    1. Das geht hier leider nicht, weil die Dokus hier gesetzlich verankert sind. Es gilt: nicht dokumentiert, nicht gemacht. Schaden? Pflegekraft haftet! Bei dem Durchlauf nicht zu riskieren. Und die abrechnungsrelevanten Dinge macht nicht ohne Grund der Arzt. Die haben 1995 mitgedacht

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