Weshalb „Nein“ im Job so oft Empörung hervorruft – und trotzdem so wichtig ist!Nein zu Nein-Shaming!

Es gibt „Neins“, die fallen mir persönlich leicht. Zum Beispiel auf die Frage, ob ich schon aufstehen möchte? (NEIN!) Oder ob ich weiß, wo die Schokokekse geblieben sind (BEIM! *kauend gesendet*)? Oder ob ich Lust habe, im Regen die Gassirunde zu gehen (NEIN!)?

Nein ist ein so wichtiges Wort, das wir alle mal wie Gewehrfeuersalven beherrscht haben. Das war, als wir so ungefähr zwei Jahre alt waren und bemerkten, dass das Wort eine unfassbare Dynamik auslösen kann. (NEIN! NEIN! NEIN!) Diese Dynamik ist so irritierend, dass sie Kleinkinder oft selbst irritiert. Aber dann ist irgendwas passiert und die Dynamik des Wortes geriet in Vergessenheit.

Findige PR-Werbefuzzies wissen das und so manche Flasche Kosmetik und Parfum wurde schon verkauft, weil der netten Verkäuferin, die fragt, ob sie uns mal eben das Neueste vom Neuen zeigen (und letztlich dann einpacken) darf, kaum wer ein entschiedenes NEIN entgegnet. Wer will denn kleinlich sein? Das Nein wird zum Peinlichkeitsmoment und man fragt sich, wie man da wieder rauskommt. Die Antwort ist ganz einfach: NEIN!

Nein ist das Wort der Ablehnung, aber auch der Entscheidung. Nein bedeutet, dass ich etwas anders entschieden hatte, weil es eine Wahl gab. Und so ist nahezu jedes Nein legitim. Gerade das Nein von Frauen aber wird nicht grundsätzlich ernstgenommen. Nicht ohne Grund ist der Slogan gegen die sexualisierte Gewalt „Nein heißt NEIN!“.

Im Beruf, der ja von der Gesellschaft (und manchmal auch vom Team selbst) als ein Hort der Selbstaufopferung gesehen wird, kann man sich auch entscheiden. Aber merkwürdigerweise fällt ein Nein, das mit Helfen konnotiert ist, vielen schwer.

„Möchtest oder kannst Du an Deinem einzigen freien Tag einspringen, weil die Not gar so groß ist?“ wird fast immer zur moralischen Gratwanderung, denn es hat sich eingeschlichen, dass, wer NEIN sagt, das Team alleine lässt, die Patienten unversorgt lässt und überhaupt ein ganz schrecklicher Mensch ist. Das löst Gruppendynamik aus. Und macht das NEIN, das eine Selbstverständlichkeit ist, so für so manchen unmöglich. Da schnappt die Falle dann zu, denn so so oft werden dann Selbstpflege, der freie Tag, die wichtigen Termine mit der Familie gecancelt, um bloß nicht wie der letzte Arsch dazustehen. Gut, man steht dann im Privatleben da wie der letzte Arsch, aber das scheint dem Team nicht ganz so wichtig zu sein.

Die Tatsache, dass nach mehreren Jahren Beruf ein Nein wie eine Unverschämtheit daherkommt, haben nicht nur die einzelnen Teammitglieder gelernt, sondern auch das Management. So kommt es, dass oft genug plötzlich Tätigkeiten angeordnet werden, die gar nicht mit dem Vertrag vereinbart sind. Besonders bei pflegefremden Tätigkeiten scheiden sich die Geister, die da oben werden es schon wissen. So packen Pflegende oft genug Kisten aus, räumen Schränke auf und putzen Zimmer. Auch der Patient per se wird seltenst mit einem Nein konfrontiert. So kommt es, dass auch dem mobilsten Kandidaten noch der Tee gekocht und serviert wird – oft genug von Anfängern, die sich noch nicht trauen, ABEDL durchzusetzen.

Nein ist also eine der Auswahlmöglichkeiten auf eine Frage. Aber NEIN wird in der Pflege oft nicht akzeptiert. Das führt dazu, das man meint, seine Entscheidung noch begründen zu müssen. Diese, oft an den Haaren herbeigezogenen Begründungen (es haben wegen des NEINS des Nichteinspringend-Wollens mehr Großmütter Geburtstag, als überhaupt existieren!), können in Notlügen münden, weil das NEIN einfach keine Konjunktur hat und man hofft, so dem Shaming zu entgehen.

Gleichzeitig behaupten Teams, in denen genau diese Dynamik herrscht, oft, dass sie doch ein TEAM seien. Wie gut kann ein Team sein, dass meine Entscheidungen nicht respektiert? Genau!

So habe ich dieser Tage höchst interessiert einen Tweet verfolgt, in dem eine Ärztin eine Hebamme shamete, die Nein zu der Frage gesagt hatte, ob sie der Operateurin einfach mal den Kittel zur Sectio zumachen könne. NÖ! Das sei nicht ihre Aufgabe.

Die Empörung schlug hoch und zwar mit den altbekannten Mustern. Ja, man dürfe schon noch NEIN sagen, aber nicht IN DIESEM FALL! Es war keine Notsectio und die Springer anbei. Das nämlich sei GEGEN den TEAMGEDANKEN! Und ich fand das weird. Denn die Hebamme hatte recht: es IST nicht ihre Aufgabe. Sie konnte sich entscheiden. Sie hat sich entschieden. Aber zig Kollegen stimmten zu: SO EIN NEIN GEHE GAR NICHT!

Ich finde es spannend, weil die Dynamik so offen zutage tritt. Die ganze Toxizität der Situation liegt darin, dass auf der einen Seite behauptet wird, man sei ein Team, aber auf der anderen Seite spekuliert wurde, was denn die Hebamme dazu verleitet habe, NEIN zu sagen.

Ob sie sich zu fein sei? Ob ihr ein Zacken aus der Krone fallen würde? Ob sie hochmütig oder gar nicht teamfähig sei? Ob sie Menschen sterben lassen würde? Ob sie Ärzte hasst? Nein! Sie hatte ihre Entscheidung einfach sachlich begründet: mit: „Es ist nicht meine Aufgabe!“

Das Gegenargument war, dass die Ärztin ihr auch schonmal den Kittel geschlossen habe. Nun, da hat die Ärztin anders entschieden als die Hebamme und mir ist völlig unklar, weshalb das nun Role-Model sein soll. Noch spannender: Wer der Ärztin beipflichtete, der wurde gelobt. Wer sachlich dagegenargumentierte, wurde auf dem übelsten Niveau rundgemacht, das sich denken lässt.

Beispiel: „Mit so jemandem möchte ich nicht arbeiten müssen!“ Nun, Fakt ist, mit jemandem, der meine Entscheidungen nicht akzeptiert und im Netz dann beifallsheischend nach Legitimierung seiner eigenen Toxizität sucht, möchte ICH nicht arbeiten müssen. Man muss sich fragen, ob da auch der Hierarchiegedanke eine Rolle spielt. Ob gar der Ärztin heimlich eine Zacke aus der Krone gefallen ist, weil sie der HEBAMME den Kittel irgendwann mal schloß. Und das dann als Geben-und Nehmen-Erwartung heimlich mitspielte. Sozusagen als Wiedergutmachung für den erlittenen quasi-Imageschaden, einer Hebamme die Schleife gebunden zu haben. Ich weiß es nicht.

Fakt ist aber, dass, wenn ein Team schon ein NEIN so schlecht wegstecken kann und dann anfängt, diesen Moment zu nutzen, um die Entscheidungsfreiheit einer Kollegin abzuwerten und zu shamen, wie es dann aussieht mit den großen Neins.

Dem Nein zum Einspringen, dem Nein zur Übernahme nicht pflegerischer Tätigkeiten oder – ich meine, es ist eine Gynäkologie! – dem NEIN HEISST NEIN gegenüber!

Genau das sind die toxischen Situationen, aus denen Pflege so schlecht herauskommt. Und ich meine, Ihr solltet das NEIN langsam aber sicher wieder üben. Und zwar das NEIN ohne Begründung, ohne Notlüge. Ihr trefft eine Entscheidung! Steht dazu. Ihr könnt das üben. Nicht nur auf die Frage, ob Ihr schon aufstehen wollt oder ob Ihr ein Fläschchen nicht präsentiert haben möchtet. NEIN!

Ihr könnt das Wort einfach so nutzen. Ja, die ersten male kribbelt es unangenehm, aber der Effekt verfliegt schnell. Wer über sich verfügen lässt, weil ihm irgendwann einmal die Entscheidungsfreiheit, die ihm obliegt, abgesprochen wurde, der muss damit anfangen, sie sich ganz schnell wieder zurückzuerobern. Sonst wird das kleine Verfügen weiterhin zum großen Verfügen über eine Verfügungsmasse!

My Body, my Choice gilt auch für alle Neins auf der Arbeit!

Viel Spaß beim Diskutieren. 🙂

Ob ich das nochmal mitdiskutiere? NEIN!

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Ein Kommentar zu „Weshalb „Nein“ im Job so oft Empörung hervorruft – und trotzdem so wichtig ist!Nein zu Nein-Shaming!

  1. Sehr schön gesagt, Monja!

    Ich finde es spannend, wie allergisch die Bubble bei Diskurs reagiert, der den ärztlichen Dienst auch nur ansatzweise kritisiert. De jure sind wir verschiedene Berufsgruppen. De facto wissen wir alle, welche Hierarchien immer noch im Gesundheitswesen vorliegen und wie diese in den Alltag verflochten sind. Wieso darf man diese Umstände auf gar keinen Fall öffentlich benennen? Wieso müssen wir uns immer und immer wieder beweisen, postulieren, betonen, wie viel intelligenter wir als die anderen pflegerischen Kollegen sind und es verdienen, von den Herren und Damen in Weiß ernst genommen zu werden? Seht her, ich bin Intensivfachpflegekraft, ich bin kein dummes Schwesterlein von der Peripherie oder – Gott bewahre! – der Altenpflege! Der Arzt kann mit mir über Diagnostik und Therapie sprechen und mir durchaus vertrauen!

    Die meisten von uns könnten Romane über unsere (teilweise sehr demütigenden) Erfahrungen mit dem ärztlichen Kollegium schreiben.

    Komischerweise begrenzen sich die meisten „hot takes“ von den Kollegen auf Twitter jedoch auf Grenzen ziehende Hebammen, „Krankenschwestern“, die irgendetwas Dummes sagen und über die sich 1000+ follower aufregen/amüsieren, „Schwestern“, die einem im Pflegepraktikum als Laufbursche benutzt haben und der 500.te Tweet über irgendeine „dumme Altenpflegerin“, die etwas Uninformiertes über (setze Topic der Woche ein) gesagt hat.

    Wir sind alle ein Team – as long as you do as I say.

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