Altenpflege und Ausbildung.

Ich weiß nicht, ob Ihr das mitbekommen habt, aber wie die Jungfrau zum Kind bin ich Interimslehrerin an einer Altenpflegeschule geworden. Mittlerweile unterstütze ich sieben Kurse – von Sozialassistenten bis hin zu PDL Schülern. Nicht alle Kurse haben die gleiche Ausbildungsstufe. Aber alle haben ähnliche Lerninhalte. Ich war ehrlich und habe von vornherein gesagt, dass ich das nicht klassisch frontal mache und an diese Form müssen sie sich erst gewöhnen. So sind wir beim schönsten Sonnenschein auf den Grünstreifen vor dem Haus gegangen, um dort in Zweiergruppen den Gang des jeweiligen Partners zu beobachten und ein Lied zu suchen, das seinem Gehtakt entspricht (Parkinson Freezing- Auflösung). Wir haben gelernt, ein Schlüsselbund gekonnt auf den Boden zu werfen, damit es scheppert (ebenfalls Freezing) und tatsächlich musste ich mit allen das Thema „Knochen und Prothesen“ abarbeiten.

Ich habe mir fest vorgenommen, zehn Minuten pro Einheit mit Kultur zu bestücken. Also sprachen wir beim Thema Knochen auch über Reliquien, Vodoo und Einhörner („Frau Schünemann! Das GIBT es nicht!“ „Ach? Das gibt es nicht? Googlen Sie mal „Einhorn-Horn Wiener Schatzkammer“! – Alles googelt, große Augen, Fragen ….. und eine grinsende Dozentin *kichert* . „Reliquien… maaan, das war doch damals!“ „Ach ja? Googeln Sie mal Ebay Reliquien!“ – Alles googelt …. „Iiiiiiiiiih!“

Bildergebnis für Einhorn Wiener SChatzkammer
(Es gibt kein Einhorn? Soso! … Bild Wiener Kunsthistorisches Museum)

Prothese bedeutet „das Angefügte“ und zu meiner großen Erleichterung kamen sie sofort auf Extensions, falsche Wimpern, Silikonbrüste….. und ja, TEPS haben wir auch besprochen 😉

So nebenbei ich eben kann, binde ich Bilder in den Unterricht ein. Sie sollen verstehen, dass Pflege in der Gesellschaft sichtbar ist, dass ABEDL mehr ist, als nur das Abarbeiten von Häkchen, dass ABEDL wirklich bedeutet, „das, was jeder immer tut“ und dass eben das zu sehen ist. Manchmal erzähle ich dann nicht das Thema des Blocks, sondern lasse sie über ein Bild reden. Zuerst hat das nicht gut geklappt. Aber nun wissen sie, dass es bei Bildern kein „richtig oder falsch“ gibt und einige öffnen sich diesem Zugang. Eines Morgens knallte ich ihnen also Frida Kahlo auf die Linse.

Bildergebnis für Kahlo Säule
Kahlo: Die zerbrochene Säule, Museo Dolores Olmedo

Es dauerte bestimmt fünf Minuten, bis sie den Inhalt zusammengepurzelt haben. Das hat mich erstaunt, denn für mich war der Schmerz sehr sichtbar. Dann aber dachte ich mir, dass das genau das Problem mit Schmerz und Pflege wiedergibt. Wir sehen ihn nicht. Eine Untersuchung ergab, dass Menschen mit Demenz nach TEP nur 1/3 der Schmerzmedikamente bekommen, die ein Mensch bekommt, der sich kognitiv äußern kann. Aber auch, obwohl 80% aller Menschen in Pflegeeinrichtungen unter chronischen Schmerzzuständen leiden, werden nur 60% behandelt. Woher kommt das? War die Frage.

Es war ein guter Moment, ihnen das mittelalterliche Hospital in Beaune zu zeigen. Dort stand, für alle sichtbar, ein Retabel, das sogenannte Weltgerichtsretabel.

Bildergebnis für Weltgericht Retabel Weyden
von der Weyden: Weltgericht, Hospital Beaune

Die Guten sind rechts von Jesus zu sehen, die Bösen links. Den Guten geht es gut, die Bösen leiden. Zu leiden war also im Umkehrschluss, böse zu sein und “ es verdient“ zu haben. Ein Problem, das tief in unserer Kultur verwurzelt ist.

Dann haben wir eine Seite einer Krankenpflegezeitschrift gemeinsam gelesen. Von 1926. Dort steht, dass der Patient bei guter Pflege (durch nette, liebevolle Schwestern) gar keine Schmerzen haben kann. Schmerzen zu melden war demnach, zu betonen, schlecht gepflegt zu sein und wurde offenbar mit persönlicher Kritik verknüpft. Ja, sagte der Kurs. Das sei ja noch heute so, dass die Leute sich nicht melden, um „keine Umstände“ zu machen, oder „keine Arbeit“. Ach guck. Spannenderweise gab es genau an diesen Tag einen Artikel zum rassistisch gemeinten „Morbus Mediterrané“, das sich auf „wehleidige“ Südländer bezieht. Dass es sich hierbei um eine stigmatisierende Schublade handelt, die schlichtweg dumm ist, ist klar. Aber klar ist auch, dass wir uns mit den verschiedenen kulturellen Zugängen zum Thema Schmerz besser auseinandersetzen müssen. Es hilft nicht, nur das Assessment und die Nationalstandards rauszugeben. Ich finde, wir müssen Pflege besser an die Wurzel der Schmerzkultur heranführen und sie vertraut machen mit dem kollektiven Gedächtnis bezüglich Pflegephänomenen. Nur dann sind sie wirklich in der Lage, sich zu sensibilisieren. Und so schwer war das eigentlich jetzt gar nicht. Wie habt Ihr Zugang zum Thema Schmerz bekommen und was haltet Ihr davon? Ich bin gespannt.

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