„Geh zurück ans Bett, Miss Piggy!“ Der Mann den Fame, die Frau den Hate. Der kleine Unterschied.

Zwei sehr bekannte Pflegeaktivisten, ein Mann und eine Frau, unterstützen unabhängig voneinander eine pflegepolitische Performance. Pflegende stellen sich ans Kreuz und mahnen an, dass es mit der Nächstenliebe gegenüber Pflegenden nicht weit her sei. Passion Pflege heißt die Gruppe, die Protest zu Performanz umgearbeitet hat und sich in regelmäßigen Abständen an prominenten Orten der Hauptstadt sehen lässt.

Wenige Stunden später bricht die virtuelle Hölle über die Unterstützung herein. Hatespeech, übelste Beleidigungen, Drohungen, Drohungen auch gegen die Kinder. Die Frau muss den Post löschen, so übel wütet der Shitstorm in ihrem Postfach und unter ihrem Posting. Sogar Kollegen beteiligen sich hämisch.

Der Mann spürt davon nichts, außer wundervollsten Dank, dass er sich für die Pflege einsetzt. Er kommt davon. Was für ein Held.

Ein Mann und eine Frau setzen sich pflegepolitisch ein, sprechen öffentlich über die Missstände. Die Frau wird gekündigt. Monatelang bekommt sie keinen Job, denn sie hat ein Spiegelinterview gegeben. Es juckt genau keinen.

Der Mann wird als Zeitarbeiter von seiner Klinik nicht mehr gebucht. Das ist nicht weiter schlimm, denn er kann in anderen Kliniken arbeiten. Die Presse hakt aus ob der Ungerechtigkeit, obwohl der Mann nicht existentiell bedroht ist. Im Internet wird der Mann bedauert, dem so eine Ungerechtigkeit widerfährt. Katrin Göring-Eckhart von Die Grünen solidarisiert sich mit ihm. Die gekündigte Frau in Existenznot hat nie von wem gehört.

Die Frau, die das vorsichtig richtigstellt, dass eine Stornierung mitnichten eine Kündigung ist, erhält einen Shitstorm vom Kumpel des gar nicht so armen Opfers. Sie sei männerfeindlich, eine alte knurrige Frau, und sie solle den Mund halten, wenn sie was ändern will und zurück ans Bett zum Arbeiten gehen. Ricardo Lange „gefällt das „. Als sie den Mund nicht hält, wird ihr unterstellt, psychisch krank zu sein. Bipolar. Logisch, wer als Frau nicht hört, mit dem stimmt was nicht.

Schauspieler entern eine Klinik, um dort ein bisschen zu pflegen. Eine Frau findet, das kann man nicht bringen. Eine Klinik ist kein Zoo sagt sie. Zwei Tage später geht sie in eine Talkshow, der Mann setzt einen Tweet mit einem nun ähnlichen Wortlaut ab. Der Mann bekommt nicht nur die Schlagzeile, sondern auch die Zustimmung. DAS GEHT GAR NICHT mit den Schauspielern. Die Frau? Sieht aus wie Miss Piggy und soll den Mund halten. Das findet auch einer der Schauspieler aus dem Format. Sie soll den Mund halten. Als sie das nicht akzeptiert, emotionalisiert er sie. Voller Hass sei sie. So ist das, wenn Rapunzel sich selber retten will. Dem Ritter gefällt das nicht.

Interessant an den Geschichten ist, wie die Verteilung des öffentlichen Raums vor sich geht und wer für Pflege sprechen darf, wenn man das mal aus einer Genderperspektive betrachtet. Die Frau, die den Shitstorm für Passion Pflege bekam, ist jung und schön. „Die würde ich gerne mal bumsen“ schreiben User unter ihr Foto. Und fragen sie, warum sie sich überhaupt für Pflege einsetzt, warum sie das wagt. Sie hat doch einen Arzt geheiratet. Da darf man nicht mehr fordern. Als sei 2021 das Glück, einen Mediziner abbekommen zu haben und berufspolitische Ungerechtigkeit damit entschädigt. Die man eben nur bekommt, wenn man jung und schön und so ist.

Die zweite Frau ist älter. Sie darf nun nicht mehr für Pflege sprechen, weil sie ihre Fertilität hinter sich hat. Sprechen das dürfen Männer wie Sandro Pé, Alexander Jorde und Ricardo Lange. Arbeiten sollen die Frauen leise sein und sich fügen. Jede zweite dieser Frauen hat laut Statistiken Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt im Job.

Wenn zwei das Gleiche sagen dann ist es noch lange nicht das selbe. Die Frau soll nämlich gefallen, wenn sie schon den Mund aufmacht. Auch ihre Worte sollen gefallen.

2021 und die Frauen, die zu 80% in diesem Beruf arbeiten, werden gesilenced und Männer aus dem Beruf bemitleiden sich selbst als Opfer von Sexismus gegen Männer, wenn diese Problematik angesprochen wird. Wirrer wird es nicht mehr. Die Blonde hat nur ein Recht, nämlich zurück ans Bett, hopp hopp, oder den Shitstorm mit all seinen verbalen Konsequenzen abbekommen, samt den Vergewaltigungswünschen und der angekündigten Gewalt gegen ihre Kinder. Und bloß nichts benennen, denn das wäre Zickenterror, Hysterie, nicht rational und einfach creepy mimimi.

Das ist beachtlich, weil Männern so der öffentliche Raum überlassen werden soll, in dem sie genauso überproportional vertreten sind wie in Leitungspositionen. Schon das trägt die Misogynie vom Krankenbett hinaus in den öffentlichen Raum zurück, wo Frauen nichts zu suchen haben, wenn es nach der Öffentlichkeit geht. Wie im Altertum, als Frauen hinter Mauern pflegten und nur die Männer öffentlich reden sollen, hat sich dieses Prinzip bis heute erhalten.

Wir kommen nicht drumrum, das Ganze vielleicht einfach mal umzudrehen. Vielleicht hilft wirklich nur noch eine Quote der Frauen, die über den weiblich besetzten Beruf reden.

In Berlin streikten seit einem Monat Frauen für ihren Beruf. Sie wurden medial nicht gehört. Als ich das thematisierte, regten sich Genderkritiker auf, dass ich nur die Frauen nannte. „Da waren doch auch Männer! Das ist unfair!“ Ach, guck an, plötzlich ist „mitgemeint sein“ doch nicht so geil, wenn Männer mal mitgemeint sind. Da wird auch der toxischste Kerl gleich ganz vulnerabel.

Nein, dieser Raum um über Pflege zu reden, der wird nie wieder frei von Frauen sein. Es wird Zeit, dass wir auch das sichtbar machen. Es ist Teil des Problems.

Dr. Mai von der Pflegekammer sagte mir auf einem Pflegetag mal, es bräuchte keine Emanzipation in der Pflege. Gut, dass ein Mann das beurteilt.

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4 Kommentare zu „„Geh zurück ans Bett, Miss Piggy!“ Der Mann den Fame, die Frau den Hate. Der kleine Unterschied.

  1. ein bischen Selbstdarstellung braucht man um gehört zu werden, aber Sandro, Alex Jorde und dieser Ricardo sind doch nur am rumposen! Pe ist doch mehr auf Insta als am arbeiten! Jorde war damals schon Azubi im 1. Jahr und hat in Talkshows geredet, als ob er 10 Jahre Berufserfahrung hätte! Jeder Azubi im KH und im Pflegeheim kann ne Menge schlimme Geschichten erzählen! Was ist an Jorde so besonders?
    Und Ricardo? Der wirkt als ob er aus ner Nachmittags Assi Serie auf RTL2 entsprungen wäre! Klar, er will bessere Bedingungen, aber allein dass er Leiharbeiter ist, verschafft ihm ne bessere Position als vielen festangestellten Kollegen und Kolleginnen! Zumal so eine Frau behandeln jetzt für mich als MANN nicht so sozial rüberkommt! Wie soll ich ihm seine Rolle als Guter Mensch abnehmen?? Scheint mehr ein Assi zu sein!
    Schade, dass diese Vögel im Netz so viel Support erfahren!

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    1. Das Shitstormen ist weniger das Problem als der Rest. Bis zu den ersten Autos sind die Hater schon gekommen. Zack zerkratzt

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