„Du heißt hier, wie wir wollen!“ – Wie eine Station Gulkaja ihren Namen nahm. Nurses eat their Young XXL.

Namen sind etwas Magisches. Schon bevor wir geboren werden, dreht sich alles um die Frage, wer wir sind. Unsere Eltern suchen -nicht selten mit etwas hilfloser Liebe- die Anrede für uns aus, die uns unser Leben lang begleiten wird und die uns ausmacht. Sie sind Bestandteil unserer Identität, wenn nicht gar unsere Identität selbst. Deadnames zeugen davon, dass mit einem Namen Rollen verbunden sind, die man ablegen kann. Namen verändern sich durch die Zeit, gewinnen Historizität, können zu unangenehmen Stereotypen werden, an denen Eigenschaften festgemacht werden, die uns gar nicht betreffen. So ist nicht nur das Phänomen des Kevinismus entstanden, mein Name ist zum Beispiel das spanische Wort für „Nonne“.

Namen können Freiheiten symbolisieren. So nannte eine Mutter in der DDR ihren Sohn stolz nach einem amerikanischen Schauspieler und – tragischerweise – war der Standesbeamte, der des Englischen nicht mächtig war, nicht in der Lage, „Burt“ zu schreiben, weshalb der nachmalige Mann Zeit seines Lebens Bört heißt.

In der Antike namen freigelassene Sklaven den Namen ihrer Herren an, Flavius Josephus kam so zu seinem (zweiten) Namen. Namen sind es auch, die wir schmachtend in Baumrinden schnitzen, auf Papiere malen, kalligraphieren und mit Schnörkeln versehen. Namen können verbrennen, wie das Theaterstück „Der Vorname“ zeigt, bei der eine Familie damit spielt, ihrem ungeborenen Kind den Namen „Adolf“ geben zu wollen. Namen zeigen Traditionslinien und Stammbäume auf. Namen zeigen, wer wir sind.

Namenlos hingegen sind Anonyme. Namenlose Tote, namenloses Grauen, das Unsagbare, das Unaussprechliche, das ohne Identifikation.

Unsere Namen kommen also aus aller Herren Länder, beweisen einen Kulturtransfer und verdeutlichen die Pluralität einer Gesellschaft. Sie sind nicht unwichtig.
In der Pflege wird seit Jahrzehnten darum gerungen, dass sich Pflegende mit ihrem Nachnamen als Ausdruck des Respekts ansprechen lassen, denn der Vorname ist ein sehr intimes Detail. Er steht im Privatleben nur engen Freunden und der Familie zu, er ist also Preisgabe, privat und das Nennen beim (Vor)Namen suggeriert eine Intimität, die der professionellen Distanz entgegensteht. Dazu kommt noch der unsägliche Pseudotitel Schwester, der bald zum ebenso unsäglichen Namensüberbegriff für alle Pflegenden wurde. „Schwester, kommen Sie mal!“. Nichts symbolisiert wohl stärker, wie aus hunderten Persönlichkeiten, die morgens in eine Klinik strömen, eine graue Masse gemacht wird, der jede Individualität abgesprochen wird.

Namen sind nicht immer einfach. Aber wer miteinander arbeitet und sich respektiert, der versteht bald, wie das Gegenüber angesprochen werden möchte.
Nicht so in einer Klinik.

Der Station war es nicht möglich, Gulkaja (die sich ohne l spricht), vernünftig anzureden. Die Kollegin bot einen Kompromiss an. Kaya würde ihr ja reichen. Doch auch das wollten die Kollegen nicht akzeptieren. Katja! Katrin! Und… ganz schlimm… „Du da!“.

Damit hatte man der jungen Kollegin schlicht ihren Namen genommen. Und das, ohne mit der Wimper zu zucken. Menschen, die sozial kompetent für andere Menschen dasein sollen, sprechen also im team jungen Kollegen die Identität ab. Weil sie -das klingt doch unglaublich – nicht in der Lage sind, einen Buchstaben NICHt zu sprechen. Ich frage mich, wie diese Leute Medikamente stellen.

Gulkaja sprach das Problem mehrfach an. Doch in einem Gespräch wurde ihr gesagt, sie habe die Namen zu akzeptieren, die man ihr gebe. Sie sei zum Arbeiten da und solle einfach ihren Job machen. Es durfte klar sein, dass jeder Mensch so nicht mit sich umgehen lässt. Eine Praxisanleiterin stand ihr bei. Sie solle auf ihren Namen bestehen.

Die Situation eskalierte weiter. Es gab nun eine Email, in der die Schule die Praxisanleiterin zurechtweist. Sie hätte das Vorgehen der anderen examinierten Kolleginnen zu akzeptieren.

„Sehr geehrte Frau….. , Sie haben innerhalb eines Beratungsgespräches Frau M. angeraten, auf nicht genehme Anreden schlicht nicht zu reagieren oder aber den korrekt ausgesprochenen Namen zu wiederholen und auf richtige Ansprache zu bestehen. Wir weisen darauf hin, dass es Schülern formal nicht zusteht, sich so über Weisungsberechtigte zu stellen.“ Ein Fortführen des Bestehens auf dem EIGENEN Namen könne als Arbeitsverweigerung ausgelegt werden und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“

Ich antworte hier stellvertretend für die junge Kollegin.

„Liebe Schule,

nicht nur verweigern Sie einer Schülerin, mithin einer Schutzbefohlenen, den Schutz und die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht, Sie berauben sie auch ihrer Identität und ihres Namens. Vor 150 Jahren im Kloster, als es bei Eintritt neue Namen gab, wäre Ihr Ansatz mit großem Erfolg zum Tragen gekommen.

Dramatisch ist es, dass es sich dabei noch dazu um einen einfach auszusprechenden Namen handelt. Das Bildungsniveau, vom sozialen Niveau Ihrer Mitarbeiter mal ganz abgesehen, scheint mir in einem desolaten Zustand zu sein. Sie verletzen also das Persönlichkeitsrecht der jungen Kollegin, und halten es für Ihr Recht als „Weisungsbefugter“. Ich halte das für ein NetY Ritual aus der Hölle, wobei ich aufgrund des nicht originär aus dem Deutschen kommenden Namen noch eine ordentliche Prise Rassismus und Diskriminierung sehe. Sollten Sie sich je fragen, weshalb Sie Personalnot haben, könnte es an Ihrem unzeitgemäßen mangelnden Respekt Menschen gegenüber liegen. Mitarbeitende sind keine Unfreien, dem man einen neuen Namen nach Gutsherrenart geben kann. Schüler sind schützenswerte Mitarbeitende und dass Sie in Ihrem Haus Ihre Gruppendynamik nicht unter Kontrolle haben, zeugt von einem gewalttätigen Führungsstil. Ich freue mich, Ihr unsägliches Verhalten breit zu publizieren und werde jedem, der es wissen möchte, den Namen Ihrer Einrichtung verraten. Namenlos sollte nicht Gulkaja werden, sondern Ihr Betrieb, der den Namen Hospital (von Hospes, GASTUNG) nicht zu verdienen scheint. es ist 2021. Passen Sie ihre Arbeitsweise gefälligst der Verfassung an, die die Würde über alles stellt. Diese nehmen Sie Menschen, denen Sie zu Arbeitszwecken ihren Namen rauben. Sie sind ein Fall für die Presse, ein schlechtes Beispiel für Machtmissbrauch und Gewalt und Führung durch Angst, für Entmenschlichung und für Hierarchien des Grauens, eine Blaupause für Berufsflucht. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das in der Öffentlichkeit nicht mehr ungesehen und umkommentiert bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

Monja Schünemann

DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR! Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.

Liebe Grüße unbekannterweise an Gulkaja. Sprechen Sie mir alle nach: Gu(l)kaja. Nicht, „Du da!“, nicht Katrin, nicht Kaya.

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Pflegende mit Migrationshintergrund: meine diskriminierten Kollegen zwischen eifriger Fröhlichkeit und Islamophobie

Eifrige Fröhlichkeit, das sei ihre wichtigste Ressource, sagt in der Zeit PDL Volker Lange zu seiner neuen chinesischen Mitarbeitenden und niemand findet etwas dabei, wenn er der hochqualifizierten Kollegin mit Gesundheitsstudium dabei in den Arm kneift. So stand es in der Zeit zu lesen. Doch nicht nur körperliche Übergriffe waren auf den Seiten des Artikels zu lesen, sondern Rassismus pur.

„Lange hat in all den Jahren seine Erfahrungen mit den Mitarbeitern gemacht, er hat da keine Scheu vor Verallgemeinerungen. 

Männliche Pfleger vom Balkan: „Muttersöhnchen. Kannst du in der Regel in der Pfeife rauchen.“

Pflegekräfte aus muslimischen Ländern: „Schwierig – viele wollen wegen ihrer Religion keine Senioren des anderen Geschlechtes waschen.“

Aus Südeuropa: „Kommen ständig zu spät. Und finden es bei uns zu kalt.“ war dort zu lesen. Und dass das Netz nicht ob des Rassismus tobt, ist mir ein Rätsel. Warum ist in der Pflege gesellschaftlich kein Tabu, was außerhalb der Betreibermauern zu äußerster berechtigter Empörung führen würde? Eine Spurensuche.

Pflege und Migration gehören zusammen. Schon im 12. Jahrhundert finde ich nicht nur übersiedelnde Klosterbrüdern und -schwestern, die woandershin aufbrechen, um dort Kranke zu versorgen. Reisen und Pflegen, dort, wo es benötigt wird, gehören zusammen wie Butter und Brot. Florence und Mary reisten auf die Krim in den Krieg, Patienten pilgerten dorthin, wo sie sich Heilung erwarteten.

Deutschland bedarf der Pflegenden. Doch nirgendwo ist es so schwer anzukommen, wie in Deutschland. Wer je versucht hat, Kolleg*innen bei der beruflichen Anerkennung zu unterstützen, der begreift schnell, dass je Bundesland verschiedene Papierhürden zu nehmen sind, größer als der Mount Everest mit Schnee drauf.

Und selbst, wenn es geschafft ist, das bewiesen die 1960er Kollegen aus Korea, laufen Kollegen oftmals vor eine Wand der strukturellen Diskriminierung und des Rassismus – und danach meistens weg.

Pflege, ein Beruf, den zumeist Frauen ausüben, wurde oft von Männern geformt. Männer, die in Verwaltungen oder die in den oberen Hierarchien, wollen in Pflegenden ihre persönlichen Traumfrauen verkörpert sehen. Fleißig sollen sie sein, anspruchslos, folgsam, duldsam, gehorsam und – umsonst.

Nachdem nun Pflege immer mehr den Geruch des schlechten Berufs bekommt, nachdem sich mehr und mehr Kollegen professionell abgrenzen, scheint man zu hoffen, dass sich Menschen, bzw. Menschinnen mit Migrationshintergrund dankbar erweisen und ihre Rechte nicht einfordern.

Im Fall der von der Zeit erwähnten chinesischen Kollegin mangelt es nicht an rassistischen Stereotypen. Fleißig, fröhlich, folgsam. Dass sich mit dieser öffentlichen Äußerung ein rassistisches Stereotyp mit einem weiblichen vermengt, macht die Sache keineswegs einfacher. Ganze Arbeiten sind schon zu „Sexotic“ verfasst worden, zum vermeintlich Reiz des Anderen und wer sich einmal gruseln möchte, der googelt, was Männer über asiatische Frauen zu sagen haben.

Neben Pflege vermengen ich hier also durchaus sexistische Motive. Kein Wunder also, dass besagtem Herrn „Pfleger vom Balkan“ nicht gefallen. For obvious reasons.

Auch die Protagonistin auch China ist gegangen, vom Altenheim in eine Klinik. Denn körpernahe Arbeiten machen Akademikerinnen in anderen Ländern nicht. Das ist seit Jahren bekannt. Nur in Deutschland will, will, will man nicht wahrhaben, dass Pflege sich mit dem überkommenen Modell All in one deprofessionalisiert. Ich schäme mich für Menschen wie Herrn Lange fremd.

Ich schäme mich, weil ich aus multikulturellen Teams komme, in einer multikulturellen Stadt mit vielen Herkünften lebe und es nicht aushalte, dass wir wieder und immer noch Kopftuchdebatten, Herkunftsdebatten, Religionsdebatten haben, wenn wir über Profis in der Pflege reden. Von „meine Polin“ über diese unsäglichen Sprüche da oben, trieft der Diskurs vor Ressantiments und Frauenfeindlichkeit über. Noch immer also dürfen Frauen nichts ein, wer sie wollen, wenn sie in der Pflege sind. Sie sollen einem längst schon untergegangenem Idealbild entsprechen und obgleich es Personalmangel gibt, finden Leiter nichts dabei, diese unheilige Mischung aus allem, wo sich das Suffix – phobie dranhängen lassen kann, voll auszuleben.

In keinem anderen Beruf werden Akademikerinnen degradiert, spielt die Frage nach „welche Form von Frau“ bist Du eine Rolle. Es riecht. Es riecht nach der Frage, wann man in der Pflege wen einstellt? Erhofft man sich von migrantischstämmigen Frauen Gehorsam, weil man einen patriarchalisch geprägten familiären Hintergrund vermutet, durch dessen Sozialisierung man sich fügsame Mitarbeiter erhofft? Oder was verbirgt sich hinter dem Ressentiment des Nicht-waschen-wegen-der Religion-Arguments des Herrn Lange? Es ist doch bitte jedem klar, dass selbstbestimmt sein keine Frage der Religion ist. (Und wem das nicht klar ist, der kann gerne einen Nachtdienst mit meinen Kolleginnen Hatice und Fatma auf der ZNA verbringen, die bringen ihm das flugs bei)

Es besorgt mich, diese Entwicklung von außen zu sehen. Zu sehen, wie Frau als Human Ressource mit stereotypen Zuschreibungen als Mitarbeitende ausgewählt werden. Das können wir alle gemeinsam nicht zulassen.

Neben der strukturellen Diskriminierung von Frauen muss dringend auch die strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Migrationshintergrund Thema in der Pflege werden.

China wollte von uns lernen. Sie haben nun gelernt, dass wir eines nicht sind: was sie brauchen, um ihren eigenen Pflegenotstand zu beherrschen. Und wie man hier mit Frauen umgeht.

Vielleicht liest das ja ein Mensch aus China, der Lust am Entwickeln von Strategien hat. Wir haben sie. Wirklich. Es will sie nur niemand hören. Und diese Strategien beinhalten nicht Übergriffigkeit und Täuschen von Frauen.

Potsdam: Wenn Helden morden.

Es ist etwas Furchtbares geschehen, das steht außer Frage. Eine Pflegehelferin hat in einer Potsdamer Einrichtung 4 Schutzbefohlene erschlagen, eine 5. Person schwer verletzt. Die Medien sind vergleichsweise leise, die Community betroffen. Für Pflegende ging der Alltag schon längst weiter, keine Zeit. Ob man Betroffenen nicht mehr Raum einräumen müsste? Doch wer ist eigentlich betroffen? Die Antwort ist schwierig, und Zeit zum Betroffensein gibt es eigentlich nicht, denn solange das System nicht geändert ist, ist die Gefahr vielleicht größer, als wir ahnen.

2005: Irene Becker ermordet auf der Intensivstation der Charité fünf Menschen. In einem Interview sagt sie: „Ich bereue nichts!“

Zwischen 1999-2005 ist Niels Högel in deutschen Kliniken tätig. 335 Verdachtsfälle, 85 bestätigte Morde. Der Fall war noch nicht abgeschlossen, da wurde gegen Mitarbeiter eines Pflegedienstes ermittelt, die nicht nur eine Seniorin mit Insulin umbrachten, sondern Gewalt gegen Schutzbefohlene auch noch filmten.

2019: Eine Wachkomapatientin, bei der angeblich niemand vom Team etwas gemerkt hat, wird von einem Sohn entbunden. Nach Vergewaltigung durch einen Krankenpfleger.

Gewalt ist, das wissen wir, nicht selten in Einrichtungen, wer von den Mitarbeitern sie meldet, wird dagegen oft abgestraft, berichtete Die Zeit.

Und weil diese Form von Gewalt offenbar eine Unterhaltungsdoku wert war, kann sich jeder, aus welcher Motivation auch immer, auf Netflix die Serie „Nurses who kill“ angucken.

Wer ist Opfer?

Kein Zweifel, die Opfer dieser Gewaltformen sind in erster Linie die direkt Betroffenen! Nichts relativiert das, nichts, gar nichts.

Doch in der zweiten Reihe der Betroffenen stehen mittelbar Betroffene und die befragt niemand, weil sie gar nicht wahrgenommen werden. Die, die weitermachen müssen.

Ich war Leasingkraft auf Irenes Station zu der Zeit und habe danach mit dem Team weiterarbeiten müssen. Es ist zersplittert und nichts blieb ohne Folgen für jeden Einzelnen. Der Oberarzt vertraute niemandem mehr, es war kaum möglich, einen ZVK zu spülen, ohne dass er Mordabsichten vermutete. Er brüllte uns an, was wir da spritzen und er hätte eigentlich in eine Therapie gehört. Die Situation war unerträglich, wenn unter den hehrsten pflegerischen Absichten das Furchtbarste vermutet wird. Und das bedeutet, bei jedem Spülen moralisch verletzt zu werden, wenn Dein OA das Team und jeden der Mordabsicht verdächtigt! Zigmal am Tag! Am Ende vertraute niemand niemandem und auch das neue Team zersprang in seine Einzelteile, verließ das Haus und hinterließ personelle Lücken. An Aufarbeitung der Situation war niemandem gelegen, es war ja nicht in DIESEM Haus geschehen und man wollte sich nicht besudeln. Medizin ist ein Markt, mit diesem Thema möchte sich niemand konfrontieren. Ich habe über das Thema tatsächlich auch nichts gefunden.

Vertrauen untereinander ist der Klebstoff, der in der Personalnot das Unmögliche möglich macht. Doch Burnout und Coolout schließen jeden Einzelnen in sich ein. Nicht nur, dass man kaum fühlt, was in einem selbst abgeht, es wird auch unmöglich, das Gegenüber, den Kollegen zu spüren. Irene Becker wird als freundlich und nett und hilfsbereit beschrieben, tüchtig. Ich kann das bestätigen. Ich hätte ihr mein Leben anvertraut. Mit jedem Tag, den Pflege unter der emotionalen Wucht weiterarbeitet, wird es unmöglicher, auf sich selbst und schon gar nicht auf den anderen zu achten.

Und es ist halt auch außerhalb der Wahrnehmung, zu vermuten, der Kollege könnte töten. Ist es innerhalb der Wahrnehmung, dann wird der Wahrnehmende abgestraft. Es bleibt: Angst.

Angst ist sowieso der ständige Begleiter. Angst, etwas zu vergessen, etwas zu übersehen, etwas nicht zu schaffen. Daneben wird Pflege unfassbar emotionalisiert. Pflege mit Herz. Das sind die Lieben. Pflege, so haben wir es in der Pandemie gelernt, werden Helden genannt.

Aus den Fällen ersehen wir aber: jeder, den sie heute noch Held nennen, kann ein Mörder sein. Nicht, dass es jeder wird. Keinesfalls. Aber schon Lauterbach äußerte eine Form des Generalverdachts. Wie, frage ich, soll ich betroffen sein, wenn niemand ein System erschafft, in dem ich mir selbst sicher sein kann, sicher zu sein? Weshalb sagt niemand, was zu tun ist, wie man das Team absichern könnte?

Mental health IST ein Thema in den Pflegeberufen. Coolout und Burnout sind Themen. Wie kann ich sicher sein, dass niemand von jetzt auf sofort….. und ab da hören Worte auf.

In den Führungsschulen hat dieses Thema niemand berührt. Ob ein Team gefährdet ist, wie ich Mitarbeiter schützen kann, wie ich das Elementare, die Sicherheit für den Patienten, mit ausgebrannten Teams sicherstellen kann: Ich weiß es nicht.

30% der Pflegenden wollen ihren Job verlassen. Ist das der einzige Weg zur Sicherheit? Was geschieht mit der Belastung der anderen, die dann steigt? Wie wird das Gesundheitssystem sicherstellen, dass das nicht zu einer unfassbaren Kaskade wird? Ich finde dazu nichts.

Wie sind die Verhältnisse von Moral Injury und Gewaltbereitschaft?

Ich finde dazu nichts.

Was ich fand, sind Antworten von Menschen, die glauben, Pflege habe kein Recht auf ein Trauma, sei Erfüller. Das erschreckt mich. Der Tenor? Wenn Dir etwas nicht passt, dann geh doch. Andere würden auch verletzt und Ihr könnt ja gehen. Das ist mir zu einfach. Es liest sich immer, als habe ein Pflegender kein Recht auf Würde, weil er ja das Privileg der Gesundheit habe.

Tatsächlich sind nur wenige der Pflegenden gesund, wie der Gesundheitsreport beweist. Doch es scheint einen Unterschied zu geben, zwischen Krankheit von außerhalb der Medizinberufe stehenden Menschen und kranken Pflegenden, die als gesund gelesen werden. Ich finde das verachtend.

Ich finde es auch verachtend, dass niemand die Frage stellt, wie all diese Kollegen von Tätern weitermachen, weiterleben sollen? Wie sie ihr Vertrauen wiederfinden können, in einer Welt, in der Supervision zu teuer und Personalausfall abfangen mit Überstunden das höchste Gut ist.

Ich bin nicht einverstanden mit der Studienlage. Ich will wissen, ganz konkret, ob Überforderung, moralische Verletzung durch Patienten/Gesellschaft und diese Morde und Taten in Verbindung stehen. Nicht als Vermutung. Ich will wissen, ob alle gefährdet sein können. Aber es gibt keine Antwort, denn auch heute geht es immer weiter und weiter, sind die Dienstpläne zu erfüllen und „die Arbeit geht vor“. Nach Überforderung hat Irene Becker niemand gefragt und nicht, was ihren Wertekanon so durcheinandergebracht hat, dass das Furchtbare geschehen konnte.,

Sehen wir weg, weil es jeder von uns sein könnte? Vom Helden zum Täter in nur einer Sekunde?

Pflexit XXL. Was passiert, nachdem die Kliniktür zugegangen ist?

30 % aller Beschäftigten in der Pflege denken darüber nach, aus dem Beruf auszusteigen. In Deutschland hat das Phänomen einen Namen: Pflexit. Exit aus der Pflege.

Viele sind sich einerseits unsicher, was sie danach machen sollen, aus vielen Kommentaren aber lese ich auch, dass sich auch Berufsfremde nicht vorstellen können, dass Pflegende zu irgendwas anderem in der Lage sein sollen, als zu pflegen.

Sicher, es gibt diese klassischen Austeigemodelle, MDK, PDL, Referent. Doch es gibt ja auch ganz andere Möglichkeiten, auf dem, was man hat, aufzubauen.

Ich bin letztlich eines davon. Nach dem Studium der Geschichte/Kunstgeschichte und Archäologie bin ich nun in der Medizingeschichte tätig und beäuge das Gesundheitssystem aus einem anderen Blickwinkel.

Eine andere Kollegin von mir, Katharina, hat hingegen einen Pflexit XTREME hingelegt. Weil sie die Menschen einfach nicht so versorgen konnte, wie sie es gerne gewollt hätte, stieg sie aus, lebte im Coronajahr 1 in Kolumbien im Dschungel (!!), arbeitet als Künstlerin und wandte sich alternativer Heilung zu.

Einen Mittelweg zwischen Theorie und völliger Umdeutung hingegen hat Astrid hingelegt. Warum das passiert ist, wie sie ihre neue Leidenschaft entdeckt hat und was sich nun geändert hat, erzählt sie uns hier.

„Ich stand gegen 2 Uhr morgens vor der Tür des psychiatrischen Wohnheims, in dem ich seit einem Jahr als Dauernachtwache arbeitete. Hinter mir die komplett manische Patientin, die ganz ihrer Erkrankung gemäß seit Tagen nicht geschlafen hatte, aufgekratzt durch die Straßen zog, laut schimpfend die Zimmer ihrer Mitbewohner durchpflügte und alles an sich nahm, was nicht niet-und nagelfest war. Ich hatte sie gehindert, einen ganzen Trolley voll gläserner Pfandflaschen, die sie aus diversen Zimmern im Heim zusammengesammelt hatte, mit zu nehmen um sie in einem nahen Supermarkt, dessen Pfandautomat 23 Stunden lang zugänglich war, zu entsorgen und das daraus entstammende Geld an sich zu nehmen. Die Flaschen gehörten dem Heim, was meine Patientin da tat, war schlicht Diebstahl, und es lag in meinem Aufgabenbereich, das zu verhindern. Nach viel hin und her hatte sie schließlich eingelenkt und erlaubt, dass ich ihren Trolley mit den Glasflaschen wieder mit reinnehmen konnte.

Während unserer Debatte war die Haustür zu gefallen. Ich griff nach meinem Schlüssel, um aufzuschließen. Er fiel mir runter. Ich bückte mich, um ihn aufzuheben, und aus irgendeinem Grund wich ich beim Aufheben seitlich aus. Ich weiß bis heute nicht warum, aber es war mein Glück: als ich mich ganz aufrichtete und mich dabei umdrehte, stand Frau M. mit einer zum Schlag erhobenen Glasflasche vor mir. Weil sie sich ertappt fühlte, ließ sie die Flasche gleich wieder sinken, und mir passierte nichts. Ich war auch so perplex, dass ich gar nicht weiter über die Situation nachdachte. Dem Frühdienst übergab ich das Ereignis, und selbstverständlich dokumentierte ich es auch, mit der Bitte, die Heimleitung möge sich mit Frau M. auseinandersetzen. Am nächsten Abend ging ich wieder zur Arbeit. 6 Monate später ließ ich mich in einem KH stationär psychiatrisch aufnehmen. Meine ohnehin vorhandene endogene Depression hatte sich so verstärkt, dass ich meinen normalen Alltag nicht mehr schaffen konnte. Ich blieb 4 Wochen. Danach kündigte ich.

Heute arbeite ich in einer Praxisgemeinschaft für Menschen mit Drogenkonsum. Wie ich hier gelandet bin? Ich habe 2019 das Masterstudium „Tropical Medicine and International Health“ begonnen und dort den Dozenten getroffen, der meine Masterarbeit betreuen wird, und mich hier her geholt hat. Ich weiß nicht, ob es an meiner anderen Stellung zum Chef liegt, aber ich habe hier (nicht zum allerersten Mal, aber es kam selten vor, dass es mir auffiel) endlich das Gefühl: „Hey, da sind Leute echt richtig froh, dass ich da bin! Die finden es richtig geil, dass ich weiß, was ich weiß, und die wollen wirklich wissen, wenn ich eine weitere Befähigung habe, und darauf auch zugreifen, die wollen auch mehr wissen.“ Natürlich ist die Arbeit mit Drogenkonsumenten im ambulanten Bereich weniger körperlich belastend, und ja, das ist ein angenehmer Teil der Arbeit. Die psychische Anstrengung ist aber eine ganz andere. Das muss man können und mögen. Beides ist bei mir der Fall. Wie fast überall im psychiatrischen Bereich liegt viel verborgen in der Kommunikation, sei sie verbal oder nonverbal. Die hier beteiligten Ärzte sehen ihre Patienten mitunter nur alle paar Wochen. Weil wir aus der Pflege (und die MFA-Kolleginnen) hier die sogenannte „Vergabe“, also die Ausgabe der Substitutionsmedikation machen und viele Patienten täglich oder wöchentlich kommen müssen, sehen wir sie deutlich häufiger, wir sind näher dran. Das ist an sich kein Unterschied zum Krankenhaus, denn auch dort ist Pflege näher am Patienten dran als Medizin. Der Unterschied: wenn wir weitergeben, dass uns ein Patient im Verhalten oder im Äußeren auffällig verändert erscheint, dann wird uns regelmäßig rückgemeldet, dass das wichtig ist. Wir haben als Pflege was zu sagen und wir finden Gehör. Mein Gehalt ist besser, ich habe keine Schichten wir im Krankenhaus, vor allem keine Nachtdienste. Wochenenddienste gibt es, aber höchstens einen im Monat.

Ich habe hier auch mit Hierarchien zu tun, und das mag ich hier genauso wenig wie im Krankenhaus. Der Unterschied ist, ich kann das ansprechen, und – vielleicht der größte Unterschied – es wird ernst genommen. Ich werde gefragt. Und es wird mir zugehört. 

Studium

(Pflege war noch nie meine Berufung. Als ich noch sehr jung war, wollte ich, wie so viele junge Frauen, Schauspielerin werden. Meine Eltern hatten nicht genug Geld, als dass sie mir ein Leben plus Studium hätten finanzieren können, und Pflege war in meiner Familie immer präsent: meine Großmutter war Pflegehelferin, meine Tante langjährige Psychiatriepflegefachkraft, die zweite Frau meines Vaters Pflegefachfrau. Der Schritt in die Pflegeausbildung war einfach, und der Plan war, dass mir ein Teilzeitjob in der Pflege ein Schauspielstudium finanzieren sollte. Im Nachhinein bin ich froh, dass aus der Schauspielerei nichts wurde; ich fand andere Themen, die mich faszinierten, die ich studieren wollte, und die mir die Pflege finanzierte. Dafür bin ich dankbar. Pflege ist mein langjähriger Brotberuf, und das ist okay. Es gibt schlechtere Jobs, jedenfalls, wenn man sie so ausführen kann, wie man sie eigentlich gelernt hat.)

Seit zwei Jahren studiere ich Tropenmedizin und internationale Gesundheit im Master an der Charité. Ich wollte schon immer meinen Horizont erweitern, auch in der Pflege (vielleicht gerade in der Pflege), und die üblichen Fachweiterbildungen haben mich nie so sehr angesprochen, weil sie mir den Fokus immer weiter zu verengen schienen, anstatt die Perspektive zu erweitern. Das Masterprogramm gibt mir die Möglichkeit, mit Kommiliton:innen aus der ganzen Welt und mit den unterschiedlichsten Hintergründen Erfahrungen auszutauschen, mehr über die verschiedenen Gesundheitssysteme und ihre jeweiligen Vorteile und Schwierigkeiten zu erfahren, und – ganz wichtig – meine Position als Pflegefachfrau vor einem globalen Hintergrund einzuordnen. Meine Kommiliton:innen kommen aus Brasilien, Indien, Aserbaidschan, Kenia, Nigeria, Taiwan, Frankreich, den USA, Ägypten, Australien, Syrien, Kolumbien. Sie sind Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen, Pflegefachfrauen, Pharmazeut::innen, Zahnärzt::innen. Unterrichts- und Umgangssprache ist Englisch. Uns allen gemeinsam ist der unbedingte Wille, neues zu lernen, das Gelernte in die Praxis zu überführen und sowohl gemeinsam (wo es sich ergibt) als auch jeder für sich (zB im Heimatland) dafür zu sorgen, dass evidenzbasierter medizinisch-pflegerischer Fortschritt und Wissen ein noch festeres Standbein haben können als bisher schon. 

Das Studium begann mit einem dreimonatigen Grundkurs, in dem wir täglich unter der Woche von 9 bis 16 Uhr (prä-Corona) Präsenzunterricht hatten. Aufgeteilt waren diese drei Monate in drei Themenblöcke à ca. 4 Wochen: Medizin-Anthropologie und Epidemiologie, Gesundheitsproblematiken und Labor, und Gesundheitssysteme und politik. Zum Abschluss jedes Blocks gab es eine Klausur, und zum Abschluss der drei Monate (der „Core Kurs“) eine mündliche Prüfung über alle drei Blöcke im Mix. Ich habe ganz ehrlich noch nie so viel so intensiv für eine Universitätsgeschichte geackert – meist war ich nach dem Unterricht noch in der Bibliothek, um Dinge nachzulesen oder vorzubereiten, die Wochenenden saß ich in einer anderen Bibliothek, um auf dem Stand zu bleiben und Klausurstoff einzupauken, zwischendrin begann ich, auf Englisch zu träumen, und gegen Ende der drei Monate war ich, wie die Kommiliton:innen auch, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Trotzdem habe ich es sehr geliebt, ich habe dermaßen viel gelernt, und hatte verboten viel Spaß. Es gab Zeiten, da konnte ich zwölf verschiedene Fadenwürmer aus dem Stand herunterbeten, ich erkannte das Ultraschallbild einer tanzenden Wurmlarve in einer Leberverkapselung selbst bei halb geschlossenen Augen, und ganz sicher werde ich nie mehr in meinem Leben barfuß über Sand laufen, oder in tropischen Gewässern schwimmen. Das Gute an dieser Tour de Force: der Lehr- und Werbespruch, „Ivermectin macht alles hin“ wird mir bis mindestens zum Renteneintritt ein Go-To zur Parasitenbehandlung von allem Möglichen im Gedächtnis bleiben. 

In diesen drei Monaten habe ich auch den Betreuer meiner Masterarbeit kennen gelernt, in dessen Praxis ich jetzt arbeite, und der sich lt. eigener Aussage geehrt fühlt, dass ich ihn als Betreuer gewählt habe. Hand aufs Herz: von welchem Mediziner habt Ihr, Kolleg:innen, schon mal gehört, dass er sich geehrt fühlt, weil Ihr mit ihm arbeiten wollt?

Pflexit: Ich bin mittlerweile unsicher, ob ich mich als Pflexiter betrachten soll. Meine Arbeit dreht sich ja weiterhin um Medizin und Patienten, nur nicht mehr am Bett. Ich schreibe meine Masterarbeit über psychedelische/psycholytische Therapieansätze zur Drogenentwöhnung mit halluzinogenen Substanzen. Dieser Bereich der Suchttherapie bringt mich realistischerweise weniger mit Kolleg:innen als mit Ärzt::innen in Kontakt, das ist mir bewusst. Aber es ist mir wichtig, dass ich diesen Ansatz auch aus einer spezifisch pflegerischen Sicht betrachte – medizinisch-pharmazeutisch gibt es dafür bereits ausreichend Menschen, die sich um das Thema kümmern. Aus pflegerischer Perspektive nicht. Aber auch Pflegefachpersonen werden über kurz oder lang mit dieser Art von Therapie konfrontiert werden, und wir brauchen Handlungsleitlinien, welche Besonderheiten im Umgang mit genau dieser Therapieform wir für unsere Profession beachten müssen. Und so ist Pflege, auch wenn sie nicht meine Leidenschaft war, doch zu einem zentralen und wichtigen Thema in meinem Leben geworden. Durch den Ausstieg aus der Pflege am Bett wiederum (der sich über mehrere Phasen zog, mit Ausflügen in telefonbasierte Patientenbegleitprogramme, eine Flüchtlingsunterkunft, und eine Corona-Untersuchungsstelle) habe ich mich befreit aus der oft so giftigen Arbeitsumgebung, die Pflege so oft mit sich bringt. Durch eine Stelle in der Leiharbeit habe ich gespürt, wie wenig ich die ungesunden Teamdynamiken, die in der Pflege gang und gebe sind, vermisse. Ich möchte nicht mehr in Teams eingebunden sein, die so unreflektiert über ihre Dynamiken und den daraus entstehenden Konflikten sind, und die darüber hinaus Reflexion darüber als unnötig oder, schlimmer noch, als bedrohlich empfinden. Ich möchte auch nicht mehr mit Kolleg:innen arbeiten, die das Streben nach Horizonterweiterung ( sprich: Bildung) lächerlich machen und die in einem ewigen „hamwa schon immer so gemacht“ ihre Jahre bis zur Rente abreißen. Ich habe einfach keine Lust mehr, Kolleg:innen erklären zu müssen, dass lebenslanges Lernen kein absurdes, lebensfremdes Theoriekonstrukt ist, sondern dass es das aufregendste, befriedigendste ist, was ein so vielfältiger Job wie Pflege zu bieten hat. Ich möchte mich auch nicht mehr mit hochnäsigen Medizinern auseinandersetzen, die „Schwestern“ als bloßen Assistenzberuf unter ihrer Weisungsbefugnis ansehen. Dass wir eine eigene Profession auf Augenhöhe mit den Medizinern sind, hat sic“h nach wie vor nicht weit genug herum gesprochen, und das muss sich dringend ändern. Zu guter Letzt will ich auch nicht mehr mit Patienten zu tun haben, die all ihre abstrusen Phantasien auf mich projizieren, nur weil ich weiße Dienstkleidung trage. Weder bin ich Dienstmädchen, noch bezahlte Händchenhalterin, noch Engel in Weiß. Ich bin eine professionelle Pflegefachfrau, ich weiß, was ich tue, und ich weiß, warum ich es tue. Das ist auch bei Patienten weitgehend nicht klar. Daraus entstehen mir zu oft ungut anstrengende Situationen. Und weil wir Pflegenotstand haben, kann ich es mir leisten, mich dem nicht mehr aussetzen zu müssen. Denn etwas Besseres als das habe ich gefunden. Und ich nutze es. „

(Beitragsbild Quelle: GIP)

Was die Kammer sich nicht anhören wollte. Nun hier

Wie angemerkt, ist das kein Blog, sondern eine Rede, die die Kammer SH sich für ihre Klausurtagung gewünscht hatte – und nun nicht hören möchte. Deshalb ist es lang.

Streisand, do your thing.

Kammerklausurrede

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

als Historikerin ist es der traurigste denkbare Anlass, bei einer Veranstaltung zu erscheinen, um zu bereden, dass das, was doch eine Epoche hätte werden sollen, ein Aufbruch, nun nur ein Wimpernschlag in der Pflegegeschichte geworden ist. Als Analytikerin, die ich nunmal bin, sehe ich, wie wohl auch Sie, zwei Seiten. 92% der Pflegenden auf der einen, der gegnerischen Seite, die Kammer selbst und 8% der Pflegenden auf der anderen. Als die Mediävistin, die ich auch bin, kommt mir da die moderne Fassung einer alten Minne, der Schwimmersage, aus dem 15. Jahrhundert in den Sinn, die Sie wohl ebenfalls alle kennen. Dort heißt es: „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten beisammen nicht kommen. Das Wasser war viel zu tief.“ Unfähig, das, was sie trennt, zu überwinden, muss der, der den Schritt auf den anderen zumacht, sterben und lässt den anderen in einer solchen Not zurück, dass auch diese elend zugrunde geht.  

Was mag es gewesen sein, was bei Ihnen nicht zu überwinden war? Welcher Abgrund ist im 21. Jahrhundert so tief, welche Haltung lässt das Einsetzen eines Pontifex, eines Brückenbauers nicht zu, dass nun die Gefahr droht, dass alles Aufgebaute zu Staub zerstritten wurde?

Die Frage, wie Dinge zu kommunizieren seien und zwar so, dass sie Gräben überwinden, beschäftigt nicht erst unsere Zeit, sondern schon die Antike. Dort ist eine Cicero zugeschriebene Rhetorik zeitlich zu verorten, die genau das erwähnt. Oratoris officium est de iis rebus posse dicere, quae res ad usum civilem moribus ac legibus constitutae sunt, cum assensione auditorum, quo ad eius fieri poterit. Ich nehme an, dass viele von Ihnen den Satz nicht verstehen, denn er ist auf Latein. Sie könnten von mir verlangen, ihn für Sie zu übersetzen, damit Sie ihn verstehen. Ich könnte von Ihnen verlangen, Latein zu beherrschen, sich Informationen zu holen, gerade, wenn sie diplomatisch wichtig sind, ich könnte voraussetzen und läge damit gar nicht falsch. Schließlich schreibt noch Obamas Redenschreiber Reden nach dieser Rhetorik und Sie wollten doch auf das politische Parkett. Bei Ihnen würde sich dann ein schales Gefühl im Bauch breit machen und Sie könnten mir Arroganz vorwerfen, schon würde es gar nicht mehr um den Satz gehen, wenn ich Ihnen kopfschüttelnd rate, doch Latein zu lernen, damit Sie sich nicht selbst verzwergen. Der Graben wäre vollkommen. Pflegekammerproblematik in a nutshell, könnten wir sagen. 

Setze ich beruflich Sprache so ein, dass sie andere nicht verstehen, schreibe ich für einen inner circle, der andere bewusst ausschließt. Schließlich gehöre ich zu einem äußerst exklusiven Kreis bibliophiler und historiophiler Nerds, der gerne unter sich bleibt und sich von Dinkelbrot nach Hildegard von Bingen mit Grauen und Abscheu abwendet. Doch kommuniziere ich nach außen, muss ich die Tür öffnen zu dem, was mir vorbehalten zu sein scheint. Das gebietet das, was wir unter akademischer Ehre verstehen, denn, so wurde es mir gezeigt, wir sind die Brückenbauer, die Pontifices zwischen den Problemen der Gesellschaft in der Welt und der Academia und müssen die Hände reichen, wo es nur geht. Und so ist es mir selbstverständliche Pflicht und Ehre, Ihnen durch Cicero zu sagen: „Aufgabe des Redners ist es, über die Angelegenheiten sprechen zu können, welche um die Wohlfahrt der Bürger willen durch Sitten und Gesetze festgelegt sind, und zwar mit der Zustimmung der Zuhörer, soweit diese erlangt werden kann.“  Die Zustimmung, meine Damen und Herren, der anderen zu erlangen, für deren eigenes Wohl ist die Aufgabe desjenigen, der die Sache vertritt.

Zustimmung zu erreichen ist in der heutigen Zeit nicht allzu schwer, denn sogenannte Soziale Medien sind das Einfallstor neuer Ideen zu den Häusern und Herzen derjenigen, deren Zustimmung wir benötigen. Sie zu nutzen, scheint für Kammern eine Kunst. Der Erfolg misst sich dabei an Followerzahlen, was letztlich ein Euphemismus für Zustimmung und pseudo Individualismus und Pseudoanhängerschaft ist und wiederum nichts weiter als utilitaristischer virtueller Kapitalismus. Sie dienen dem Vernetzen und dem Transportieren von Botschaften. Sie haben dabei ganze 686 Follower auf Twitter, 584 auf Facebook. Zum Vergleich hat ein Laberkopf wie ich 3200 und es dürfte sich dabei um die gleiche Gemeinde handeln und glauben Sie mir, ich kenne Ihren Schmerz. Alleine die Masse aber ist es nicht. Auch hier lehrt die Geschichte. Hitler hatte Millionen, die ihm folgten, Jesus nur 12. 

Die Geschichte unseres Berufes ist einzigartig in der Welt. Wir waren und sind geboren aus und mit hierarchischen  Strukturen und noch vor 100 Jahren genau war es der Arzt, der ansagte, dass  für eine Krankenschwester Zitat „ Ihr Herz ihr Tarifvertrag gewesen ist“, was nichts anderes bedeutete, als sich aufzuopfern bis in den Tod, der meist 4 Jahre nach Berufseintritt erfolgte. Während alle modernen Betriebe und Startups auf flache Hierarchien setzen, arbeiten wir noch mit per ordre de Mufti, mit Dienstanweisungen und Anordnungen. Doch wir haben eine Generation erzogen, die sich daraus befreit hat. Die ganz klar ihre Arbeit gelöst von einer ärztlichen Berufstätigkeit sieht, die im Arzt nicht mehr ihren Boss, sondern einen interdisziplinären Kollegen vor sich hat. Was dachten Sie also, was die Reaktion und was die Botschaft ist, wenn Sie Artikel verlinken, in denen der Ärztekammerpräsident für die Pflegekammer ist? Es muss Ihnen klar gewesen sein, dass Sie damit einen Reflex auslösen, von dem wir Dekaden träumten, dass wir ihn auslösen können. Der Arzt hat darüber nicht zu befinden.  Die Dinge sind nicht mehr richtig, nur „weil es ein Arzt sagt“. Im Gegenteil, es bedeutet Schwäche, sich zur Verteidigung hinter einer Pseudohierarchie zu verstecken. Gerade so, als habe man den Mund zu weit aufgemacht, als wenn man den großen Bruder holte., weil man der Situation allein nicht Herr wird. Dass 98% der Pflegenden das lächerlich fanden, dass genau dieser Reflex ausgelöst wurde, muss Sie nicht kränken. Es darf Sie stolz machen, so selbstbewusste Menschen in den Pflegenden zu haben. Sie hätten das nur sehen müssen. Und es braucht auch gar nicht viel Empathie, um zu v erstehen, dass der, den man der Selbstverzwergung zeiht, und sei das Medium noch so gut, aufstehen und Ihnen beweisen wird, dass von Verzwergung keine Rede ist, wenn er gegen Sie antritt. Sie können mir glauben, dass es einfach ist, Pflegende zu schützen und sich vor sie zu stellen. Ich habe das im selben Medium (die Zeit) mit „weiße Wut“ geschafft. Ein Artikel, der in Stationszimmern hängt. Aber er war halt auch von einer Pflegenden geschrieben und nie nie nie hätte sich die Vertretung der Pflegenden gegen Pflegende stellen dürfen. Schon gar nicht im Jahr, als Pflegende gesellschaftlich ausgebeutet, mental erkrankt, verschlissen und verheizt gegen das Virus kämpften, starben, eingesperrt wurden, um zu arbeiten und mit nichts als Plastiktüten ihr Leben schützen mussten.  Mary Beard, die bekannte Althistorikerin und Feministin sagte zur Christenverfolgung im Kolosseum einmal. „This was Romans against Romans“ und was da bei Ihnen passierte, war im Transfer: Das war Pflegende gegen Pflegende.

Immer wieder verwiesen Sie auf sich selbst, stellten sich vor. Sie verwiesen nie auf andere, nie auf einen Dialog. Es ging immer nur um Sie. Doch es muss Ihnen doch klar gewesen sein, dass eine Legitimation nie durch einen selbst erfolgen kann, dass die Legitimierung immer durch den anderen erfolgen muss. Schauen Sie sich um. Nie ist eine Legitimation durch einen, den man als Usurpator und Tyrannen empfunden hat, geglückt. Falls Sie es je vergessen, schauen Sie sich die abgeschlagene Hand von Rudolph von Rheinfelden an, der als Gegenkönig zu Heinrich IV. rangierte oder den Absolutismus, den eine Katharina die Große aufrechterhalten musste, obwohl sie doch aufgeklärte Monarchin war. Warum haben Sie sich niemanden ins Boot geholt in einer Welt, in der Sie Millionen Pflegende mit Videos zweifelhafter Komplexität auf Instagram erreichen können? Nie werde ich das verstehen. Ihr Facebookaccount ist eine Klausur, eine Kammer im wahrsten Sinne des Wortes, der andere aussperrt und erinnert mich sehr an einen gruseligen Satz auf dem deutschen Pflegetag, wo die Veranstalter riefen: Und nun feiert Euch selbst. Was für ein furchtbarer Satz, nichtmal zu sagen, dass WIR uns selbst feiern oder wir Euch. Macht das doch selbst. Und Sie, sie feierten sich selbst. Es gab kein wir. 

Doch ich glaube, das eigentliche Aus kam mit dem, was Sie Kampagne nannten und als Kunsthistorikerin möchte ich diese Bilder mit Ihnen besprechen. Ich weiß nicht, wer das initiiert hat, aber nie war deutlicher, für wen Sie sich stark machen werden, nie kam der Adressat so eklatant hervor. Adressiert wurde einzig der Patient. Weil Sarah es wert ist, sollen. Pflegende Geld für eine Kammer zahlen, die sie nicht wollen. Weil Lea es wert ist, soll sie noch mehr Unterstützung, Eigenständigkeit und Wertschätzung erfahren. Haben Sie sich nie gefragt, wie das auf Pflegende wirkt, die täglich durch emotionale Erpressung zu Mehrarbeit gezwungen werden, weil „man die Patienten nicht alleine lassen kann“ und die Überlastung des Einzelnen das einzige Rezept ist, um ein kaputtes System zu flicken, wenn man sie auffordert, NOCH MEHR für Patienten zu tun? Sie stellten Kinder in den Vordergrund. Kranke Kinder. Und das in dem Jahr, in dem Kliniken ihren Mitarbeitenden schrieben, wenn sie selbst Covid-Quarantäne-Kinder hätten, sollten sie doch zusehen, wer die betreut, aber nicht die Eltern, die in der Pflege tätig sind, weil „die Bevölkerung“ Vorrang habe? Vorrang von Fremden vor den eigenen Kindern? Menschen, die weit über die Grenzen hinaus leisten, sollen NOCH MEHR leisten, damit es anderen gut geht? Ich möchte an dieser Stelle eine junge Schwedin zitieren. „HOW DARE YOU?“ und Ihnen verraten, dass es einen immensen Unterschied zwischen Ingroup und Outgroup gibt. Pflege, Pflegende und Patienten sind nur in der Vorstellung von Werbefirmen in einem Topf. Sie propagierten da gelebte Aufopferung, Selbstlosigkeit, noch mehr leisten. Vielleicht in guter Absicht, aber man muss schon arg verliebt in die Idee einer Kammer gewesen sein, die nicht mal öffentlich zu ihren Pflegenden stand, sondern hinter dem Patienten. Dabei hätten Sie wissen sollen, dass es gerade die Werbe- und Imagekampagnen sind, die Pflegende entlarvt haben.  Grenzdebile männliche Elfen im dämlichen rosa Tutu, Kuchenessende sabbernde Gestalten, Helden im Cape obwohl es nicht mal PSA für alle gab, Engel, Feen über all das hatte Pflege sich erregt erbost und öffentlich empört. Und doch, wieder und wieder stellten Sie klar, dass nicht die Pflegenden es sind, für die Sie agieren wollen. Da wäre ich auch nicht für Geld und gute Worte eingetreten. Allein der Satz „Unsere Pflegeprofis kümmern sich rund um die Uhr, damit andere die nötige Ruhe finden“ suggeriert doch, dass von der Ruhe der Profis gar nicht die Rede ist.

Dabei war es doch einfach. Mütend, Pflexit, Wut, Verzweiflung. All das kam doch vor in diesem Jahr, wurde an die Kameras gezerrt und durch die Radiosendungen getrieben. Ich fand auch keine Zeile, in denen Sie die toten Kollegen betrauerten, eine Zeile des Mitgefühls für deren Familien, einen Hinweis auf Selbstschutzstrategien zu Moral Injury nach Greenberg. Ich nannte dieses Verhalten, dass im Coronajahr nahezu alle Kammern und BVs an den Tag legten „aus dem sicheren Homeoffice nutzlose Positionspapierchen durch den virtuellen Briefschlitz schieben“. Sie wünschen, Sie fordern, sie wollen. Doch wünschen, das sagte schon meine Oma (meine Großeltern waren übrigens Pflegende), kann man sich viel. Sind Sie eventuell mal auf die Idee gekommen, selbstbewusst zu sagen: Ich setze mich dafür ein, Ich stehe für, Ich sorge für….? Oder wenigstens pseudomäßig nach den Wünschen der Pflegenden zu fragen? Nein? Wie schade. 

Auch das Zitat „Zusammen lassen wir niemanden einsam sein“ meinte letztlich nicht den Pflegenden per se, der sich gerade vor Weihnachten nichts sehnlicher wünscht, als einsam mit seiner Familie zu sein. Und wie man im Dezember 2020 noch nach gesellschaftlicher Wertschätzung nach all dem Geklatsche, das schnell als Verhöhnung empfunden wurde, plädieren konnte, werde ich nie verstehen. Und da sind wir noch nicht bei Inhalten, da sind wir einzig auf der emotionalen Ebene. 

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten als Adressaten die Pflegenden gehabt. Das Königskind auf der anderen Seite ist nicht mehr der Patient, auch wenn der Kunde König sein mag. Die Phrase des Verkaufs ist dabei in der Politik der Gesundheitsfürsorge keine. Denn der König ist Souverän in einer Monarchie, doch der Patient ist auch Bürger in einer Demokratie und somit Souverän dieses Landes, dessen Gesetze er mitgestaltet und es wäre weder ressourcenorientiert zu vertreten, sondern sogar ableistisch, ihn seiner politischen Mündigkeit zu berauben, indem man ihn aus seiner Verantwortung in der Makroebene entlässt. Der deutsche Bürger kennt bezüglich Pflege zwei politische Aggregatzustände. Für ihn ist Pflege und Daseinsfürsorge so selbstverständlich wie Wasser aus dem Hahn und Strom aus der Steckdose. Wird er mit der Realität konfrontiert, durch eigenes Erleben oder Joko und Claas, zeigt er sich betroffen und weiter geht’s. Oder, das zeigen eine halbe Million minderjährige angehörige Pflegende, die mindestens einen Stundenwochenumfang von 20 h leisten sowie geschätzte 330.000 osteuropäische Pflegeprofis verschiedener Coleur, er verlegt sich auf noch üblerere Ausbeutung und ist sich nicht zu schade, die Menschenwürde, die er für sich selbst einfordert, bei denen, die ihn pflegen, völlig außeracht zu lassen, sperrt sie in Keller ein und missbraucht sie als Dienstmädchen mit den entsprechenden Folgen bezüglich sexualisierter Gewalt. Die Googlebewertungen der Kliniken bieten das Bild der Urteilskraft des Grauens, wenn Patienten das Dreisternehotel auf Malle mit Kliniken verwechseln, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass Pflege weder Service, noch Klinik ein Hotel ist. 

Pflegenden bieten wir heute noch Florence Nightingale und Agnes Karll als Vorbilder an, weil wir seit 100 Jahren keine Nachrücker auf dieser Position herangezogen haben. Das ist so absurd, als würden wir den Torwart der WM 1954, Toni Turek, Manuel Neuer vor die Nase halten, wohl wissend, dass schon Oliver Kahn out ist. Pflege will Vorbilder, und sie sucht sie sich da, wo sie sie findet, bei denen, die die Aufgaben erledigen, Wissen und Pflegelivestyle möglichst bündig zu vermitteln und sie zu vertreten. Wir alle kennen das Prinzip der Girl- und Boyband, die genauso viele verschiedene Typen und Charaktere aufnimmt, dass sich jeder vertreten fühlt. So ist es kein Wunder, dass sich 260.000 Kollegen lieber den Style von Franzi anschauen und sich, dem nacheifernd, gerne noch eine Sonnenbrille bei ihr im Sale anschaffen, oder sich 8.3000 Menschen fragen, was passiert, wenn man wie Ugur Cetinkaya studiert oder ihre Wut vermeidlich stellvertretend  von mir kommuniziert fühlen wollen, wenn sie einen Rant lesen und gar nicht mitbekommen, dass sie dabei Adorno, Plato und Arendt untergeschoben bekommen (auch ein Sale, wenn man so will).  Wir sind dabei alle nicht losgelöst vom Problem der Bildungsnivellierung in der Gesellschaft. Die Aufmerksamkeitsspannen werden immer kürzer, gelesen wird kaum noch, die Message muss knackig sein. Diesem Circus of Entertainment kann sich heute auch nicht entziehen, wer sich zur Elite zählt. Doch gerade bei der Selbstdefinition gibt es ein Problem. Nie haben Pflegende sich definiert, es wurde immer aufgedrückt und übergestülpt, was und wie Pflegende zu sein haben. Nun definieren sie sich, angeleitet von Influencern. 

Eine Kammer, die darauf baut, irgendwer würde nach 12 h Dienst noch eine Zeitung lesen, agiert am Zeitgeist vorbei. Dabei ist es umso dramatischer, wenn Akademikern den Pflegenden auf einer selbstentlarvenden Ebene begegnen. Beispiele, die Pflegende abstoßen, wären zu nennen. Die Bücher, die Nina und Franzi schrieben, als bedauerlich zu framen, ist schwer zu unterbieten, weil damit eine otherness und eine Minderwertigkeit suggeriert wird. Es ist auch für Pflegende äußerst lächerlich, wenn Professoren, beispielsweise in meinem Blog, sich als unfähig erweisen, zwischen einem Blog und einer wissenschaftlichen Arbeit zu unterscheiden. Elite, die GEGEN die agiert, denen sie die Hand reichen muss, ist keine. Weshalb ich auf die Frage, was ich vom Konstrukt der Kammern halte, Mitgliedern des Gesundheitsausschusses freimütig die Antwort gab, es handele sich dabei um ein geschlossenes Karrierekarussell, bei dem andere zuschauen dürfen.

Dessen sind sich Pflegende vollends bewusst. Es ist ein gutes Selbstbewusstsein und ich wünsche mir von Herzen Menschen, die für sie, die Pflegenden, kämpfen, vorreiten, vorangehen und Vorbild sein können. Was ich mir nicht wünsche, ist ein Gehorsamkeitsversprechen und Worte, die niemand versteht, gesprochen von Funktionären, die die Emotionalität und die Sprengkraft nicht verstehen oder, schlimmer noch, sie nicht verstehen können, wollen oder sich nicht die Ehre geben, das Königskind auf der anderen Seite abzuholen, damit nicht beide ertrinken müssen. 

Ich bin freiwilliges Mitglied der Kammer und Befürworter der Institution. Jedoch ich bin ein Gegner. Ein Gegner des Wortes Entschuldigung. Die Schuld kann allein der Gläubiger erlassen, nicht der, der schuldet. Aber ich bin ein Freund des Verzeihens. Und ich fordere vehement, dass Sie sich einander verzeihen, dass Sie die Worte nicht fanden, vielleicht auch, wenn Sie ehrlich zu sich sind, auf der falschen Seite standen, sich überlegen wähnten oder ein Pflegeselbstverständnis haben, das dem aktuellen an der Basis vielleicht nicht voraus sondern regressiv ist. Vielleicht kommen Sie aus hierarchisch geprägten Strukturen, vielleicht haben Sie vergessen, dass die ABEDL auch für Pflegende gelten. Sinn finden richtet sich nicht nach dem, der plant, sondern nach dem, der Sinn finden muss. Dass nicht ins Boot kommen kann, wen man mit dem Bade auskippt. 

Nein, eine ganz ähnliche Rede könnte ich den Gegnern halten, von denen ich Morddrohungen bekam, weil ich die Kammer verteidigte. Die oft ausgestattet mit großem Ego und unterkomplexem Wissen die emotionale Sprache sprachen, die mehr Wut als Konstruktion transportierte. Aber, und so ist das eben, Sie waren die, die die Ehre hatten. Sie hätten sich Hilfe holen können und eigene Kompetenzen ausschöpfen. Was bleibt?

„Da hört man die Glöcklein läuten, da hört man Jammer und Not, hier liegen zwei Königskinder, die sind alle beide tot.“

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass aus der jetzigen Situation eine neue Generation entspringt und dass, um Lichtenberg zu zitieren, ich nicht weiß, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 

Young carers -Kinderarbeit mitten in Deutschland – und die Politik findet es ganz, ganz toll

Text @Donnarabiata

Vor einigen Wochen wurde ich auf Twitter mit folgender Tatsache konfrontiert: Zum „größten Pflegedienst Deutschlands“ gehören Kinder und Jugendliche, die ihre Angehörigen pflegen und nebenbei Haushalt und Schule schmeißen. Ich glaub, mein Schwein pfeift! 

Diese Kinder, die so viel Verantwortung übernehmen (müssen), nennen sich nach britischem Vorbild „Young Carer“. Alleine in Deutschland sind das ca. 480 000 (JA, fast eine halbe MILLION, Herrgottscheiße) Minderjährige, die in einem Umfang von mindestens 20 Wochenstunden ihre Angehörigen Pflegen und Versorgen. 

Und wir reden hier nicht von der 7-jährigen Enkelin, die samstags für ihre Oma ein bisschen Milch und Brot einkauft, weil sie schon groß genug ist und zeigen möchte, dass sie Verantwortung übernehmen kann. Nein, wir sprechen hier von Kindern und Jugendlichen, die knallharte Pflegetätigkeiten übernehmen, wie sie in SGB V und SGB XI für professionelle Pflege bzw. berufliche Pflegehelfer definiert sind.

Um an dieser Stelle mal bei den Lesern einzuspringen, die gerade mit geschwollenen Klötzen einen Kommentar bezüglich normaler Familientätigkeiten in die Kommentare rotzen möchten: 

 Von Haushaltsarbeiten, wie sie jedes Kind und jeder Jugendliche übernehmen sollte, um sich zu einem reifen und verantwortungsvollen Erwachsenen entwickeln zu können, kann man schon alleine bei diesem Stundenumfang nicht mehr sprechen. 20 Wochenstunden als Minimum bedeutet konkret, das etwa 5% aller Kinder und Teenis, die sich eigentlich damit beschäftigen sollten, welche Spielzeuge sie sich zum nächsten Geburtstag wünschen, oder ob der süße Mitschüler aus der Nachbarklasse einen evtl. auch gut findet, neben der Schule noch einen Halbtagsjob wuppen (müssen), der weder physisch noch psychisch auch nur annähernd altersgerecht genannt werden kann. 

Sie ARBEITEN und das, obwohl es ihnen qua Jugendschutzgesetz verboten ist!!! Der familiäre Kontext und die damit verbundene emotionale Abhängigkeit und Loyalität gegenüber der Familie machen es möglich.  Es ist halt „Familienangelegenheit“. Dass die zu Pflegenden einen Anspruch darauf haben, professionell gepflegt zu werden, ändert nichts daran, dass dieser Anspruch in manchen Gegenden, auch vor dem Hintergrund des sich verstärkenden Pflegenotstandes, nicht geltend gemacht werden kann oder nicht geltend gemacht wird. Toxische Familienkonstellationen und/oder Suchterkrankungen bei denen im Vordergrund steht, diese möglichst zu verheimlichen, machen Hilfe praktisch unmöglich, obwohl es sich bei einem Anteil von ca. 5% um einen erheblichen Anteil der Kinder und Jugendlichen handelt, auch wenn einige sagen, dass sie diese Arbeit gerne machen.

 5% hört sich erst einmal nicht viel an, ist aber – politisch gesehen, die magische Grenze, ab der man mitregieren kann, wenn man diesen Anteil an Wählerstimmen erreicht. Ja ja, der Vergleich hinkt ein bisschen, weil Kinder und Jugendliche praktischerweise nun mal nicht wählen dürfen und auch keine Partei sind, weshalb sie wenig bis keinen Druck aufbauen können. Es geht jetzt aber darum, dass diese Zahl – 480 000 bzw. 5% eine gesellschaftliche Relevanz hat. Auch mit Blick auf den Pflegenotstand- schließlich bedeutet 480 000 x 20 Std./Woche Minimum, dass hier von Minderjährigen 240 000 Vollzeitstellen Pflege MINIMUM abgedeckt werden. Praktischerweise auch noch Gratis und obendrein unsichtbar, denn es wird von ca. 180 000 fehlenden Pflegekräften gesprochen.  

Diese 480 000 Kinder und Jugendlichen, die unentgeltlich und praktisch unsichtbar für die Öffentlichkeit um eine unbeschwerte Kindheit gebracht werden, sind der Politik indes wohlbekannt. Auf der Seite Young-carers.de kann man sich selbst davon überzeugen. Politiker über Politiker überschlagen sich förmlich dabei, den Kindern zu bescheinigen, dass „man“ etwas tun müsste und sie das alles ganz ganz toll machen. Immer abwechselnd mit Erfahrungsberichten von Kindern, die einem beim Lesen schon das Herz brechen. Lesen Sie es selbst nach: young-carers.de Persönlich dafür zuständig fühlt sich von der Regierung indes niemand. Einige lassen sich zwar dazu herab, wenigstens nicht im Konjunktiv zuschreiben, sprechen aber immer nur von Unterstützung.

Keine einzige der Altparteien hat die Young Carer in ihrem Parteiprogramm stehen. Obwohl aus allen Parteien von MdL bis MdB das who is who ihre pseudoempathischen Textbausteine in die Kommentare w….

Diese, aus meiner Sicht, wischiwaschi geseierte Kackscheisse seitens der Politiker gipfelt in der Gründung der Seite „Pausentaste“ auf der die Politik ihre Untätigkeit mit viel Herziherzi tarnt, indem sie eine Plattform geschaffen hat, auf der betroffene Hilfe finden sollen. Bei genauerem Hinschauen erkennt man jedoch schnell, dass diese Seite als eine Art Sammelbecken für Hilfsangebote dient, die in aller Regel aus Spenden finanziert werden und sich – im Moment noch zwangsläufig, eher um Gesprächsangebote drehen, obwohl Young Carer FREI brauchen, schon alleine, damit sie unbelastet zur Schule gehen können. MP über MP salbadert davon, dass wir die Schulen ganz dringend öffnen müssen, weil sonst eine ganze Generation vor die Hunde geht und keine Chance hat, ihr volles Potential zum Wohle der deutschen Zukunft zu entfalten, aber bei einer halben Million young Carer ist das plötzlich egal. Egal, ob sie selbst krank werden, egal, ob sie ihr Potential entfalten, egal, ob sie vor die Hunde gehen. Das Foto mit Jana (Gründerin der Young Carer) ist gemacht, das Lob im Internet verhallt, vielen Dank, der nächste Bitte.  

Einer Regierung würdig wäre ja imho, würde sie sich ehrlich machen und das Problem auch öffentlich benennen, indem sie die Young Carer in allen Zahlen und Statistiken explizit als solche nennt, Maßnahmen zu ihrem Schutz erarbeitet und ausnahmsweise mal selbst als Lobbyist tätig wird, indem sie den Anbietern für Pflege davon erzählt, dass da weitere so ca. 480 000 Pflegebedürftige zu versorgen sind, weil Kinder NICHT ARBEITEN DÜRFEN! Unpraktischerweise würde das aber eine Menge Geld kosten und Kinderarbeit in der Familie ist nicht so wichtig wie die Lufthansa, denn die Kinder mucken ja nicht und dürfen nicht wählen. Außerdem ist Wahljahr und Pflegenotstand und Kinderarbeit finden die meisten Menschen genauso widerlich, wie sie ist. Also demonstriert man empathische Machtlosigkeit, die sich erstaunlicherweise umgekehrt proportional zum Aufstieg in der Regierungshierarchie zu verhalten scheint. Verrückt. 

Übrigens hat sich das ZQP ebenfalls mit dieser Problematik beschäftigt und in einem 116 Seiten Report zusammengefasst und damit klargestellt, dass Young Carer Pflegearbeit im Rahmen der Laienpflege leisten. Aufgeführt sind unter anderem pflegerische Leistungen von 12 – 17-Jährigen, die harte Arbeit umfassen wie Körperpflege, Lagerungen, Haushaltsführung etc. Der Report ist auf der Seite des ZQP als PDF für Interessierte frei zugänglich und sehr zu empfehlen

Das einzige Hilfsangebot, das ich auf die Schnelle finden konnte, das öffentliche Förderung (über den Berliner Senat) erhält, ist das Projekt „echt unersetzlich“, bei dem ich alleine schon den Titel bezeichnend finde. Immer schön im Kontext des „Du musst“ bleiben. Nicht das noch jemand sein Recht auf Kindheit entdeckt. Nein, man presst die Kinder in einen Helden/Engel/Unersetzlichkeit Kontext, der Imho nur eines bedeuten kann: Man wird den Kindern vielleicht mal eine Kur oder „wohlverdiente Pause“ bezahlen, wenn die Öffentlichkeit Alarm schlägt, aber man denkt im Traum nicht daran, die Kinder daraus zu befreien. Warum sonst sollte man sie als unersetzlich bezeichnen und sich weigern, die Situation als das zu bezeichnen, was sie ist: Kinderarbeit. Egal, ob es sich um Familie handelt, es beeinträchtigt ihre Kindheit und sehr oft auch ihre Entwicklung. Viele sacken in der Schule ab und können dann mit ihren Abschlüssen nicht das werden, was sie werden möchten. Oder sie werden selbst krank. Weil sie in einem Job arbeiten, in dem es selbst erwachsene Menschen durchschnittlich weniger als 10 Jahre aushalten. Ohne Ausbildung. Alleine. Als Kinder.

Pflege-Influenzer: Die Seuche des Für-Dumm-Verkaufs

Pflege hat zwei Probleme, auf denen sie wie auf zwei Schienen, die parallel miteinander zu tun haben, in den Abgrund rast. Auf der einen Seite haben die alten Vorbilder, Florence Nightingale und Agnes Karl ausgedient. Niemand kann heute seinen Alltag noch nach Frauen aus dem 19. Jahrhundert ausrichten, mit der Laterne kann man heute auch nicht mehr rumlaufen und für Eulen, wie sie Florence hatte, braucht man einen Greifvogelschein. Die Profession hat versäumt, Vorbilder nachrücken zu lassen, die alltagstauglich sind und die Werbebotschaften, die irgendwas zwischen durchgeknallter Elfe und Superheld im Cape versinnbildlichen, taugen auch nicht für das moderne Leben.

Auf der anderen Seite möchte Pflege gerne ernstgenommen werden. Wie so ein richtiger Beruf, bei dem Fachwissen vonnöten ist. Und es gibt innerhalb dieses Fachwissens eben den Personalmangel. Warum nicht beides miteinander verbinden? So wurde der Pflege-Influencer geboren. Die Geburt der Karikatur eines Pflegenden fand hinter unserem Rücken statt und wurde den Pflegenden dann als quasi-Messias präsentiert. Die Zeitarbeitsfirma, die sich hinter dem „Pfleger des Jahres“ Herz und Mut verbarg, gebar mit Sandro Pé den Archetyp des Boris (über den wir bei Giffey dann alle wütend waren) und alle alle folgten der nichtssagenden Lichtgestalt, deren einzige Botschaft es war, dass Pflege etwas ganz Besonderes ist, irgendwas mit ganz viel Liebe, aber ganz wenig Wissen und auf jeden Fall viel viel Gefühl. Hosianna! Als ein Jahr später eine neue Lichtgestalt dazukommen sollte, war das Bonding bereits so stark, dass der Plan nicht mehr aufging. An die Nachfolger erinnert sich niemand. War ja auch egal, Hauptsache, man trat, ganz dem Messias folgend, in diese grandiose Zeitarbeitsfirma ein. Hosianna! Follower sind fast schon Geld, wenn man sie nur dazu bringen kann, nicht ihre Seele, wohl aber ihre Arbeitskraft an den Nächstbietenden zu verkaufen. Und welch wunderbares Schicksal winkte auf dem Pflegetag nicht den Gesegneten, wenn sie sich mit Sandro, den man in einen schlecht sitzenden Anzug gesteckt hatte, ablichten lassen konnten.

Die Wechselwirkung war enorm. Denn seine zig Follower suggerierten den Medien, dass der Mann fachlich etwas auf der Pfanne hätte. Zeitweise war Jens Spahn sogar Schirmherr der Firma. Naja, wie das halt so ist. Später konnte Sandro dann mit zu kreierendem Content gar nicht hinterherkommen, es folgte Meme auf Meme und je flacher die geistige Wurzel, desto weiter ihre Ausläufer. Puh.

Eine unfassbare Sogwirkung hatte Franzi. Die macht Qualitätscontent, interviewt zu aktuellen Themen, schmiss ein Buch auf den Markt und ja, auch Hanftropfen und wahrscheinlich auch Gewürze. Ich verfolge das nicht, denn ich mag sie. Und ab da muss sich ein Großteil der Pflegenden gedacht haben, Ja, das kann ich auch. Sorry, nein, könnt ihr nicht.

Pflege indes, auf der Suche nach dem Messias, der alle erlöst, folgt und folgt und kreiert und kreiert. Und selten habe ich in meinem Leben Dinge gesehen, die ich peinlicher fand, als das.

Während sich Franzi auf physische Artikel spezialisiert hat, kopieren nun Zeitarbeitsfirmen das Model Herz und Mut und senden Influenzer aus. Ja, so beginnt das neue Leben. So bewundern 30.000 Follower Schwester Lena, die die Zeitarbeitsfirma Pacuramed vertritt und sich mit dem Content noch schwertut. Denn, das ist das große Problem am Content: Wenn Du nichts hast, als dich und keine Botschaft, wird die Sache schwerer als gedacht. So sah man Lena dann auch in einem mittlerweile gelöschten Beitrag, denn Content muss man üben.

Wenn Du beim Weinen noch ein Selfie schaffst. Quelle: Schwester Lena.

In scheinbar völliger Verzweiflung, was nun werden solle, postete sie ein Bild von sich, wie sie sich ein Taschentuch an die rotgerubbelten Augen hält. 5.938 Leuten „gefiel das“ ( was ist falsch mit Euch?). es fragte sich nicht ein einziger Mensch, wie inszeniert das Bild ist, wenn sie es schafft, dass beim Weinen noch ein Selfie zu schießen ist. Großes Mitgefühl aus der Bubble. Hier sind Emotionen am Werk, hier verkauft man noch das ganz große Gefühl und nicht nur Zeitarbeitsverträge. Oder… wait? Weitere interessante Botschaften, ohne die unser aller Leben weniger reich wären, sind, dass es eine „Work-Life-Balance“ braucht. Die demonstriert sie, indem sie hintereinander von sich ein Bild am Gerätewagen und ein Video schick aufgebrodelt beim Walk am Fluss (Highheels) postet. Das Video machte offenbar ein völlig unerfahrener Mensch, dessen Schatten man sehen kann, ich nehme an, es war ihr Freund. Ja, das hätten wir alle nie geahnt, dass zu einer ordentlichen WLB ein nerviger Videodreh auf Hackenschuhen gehört. Wer weiß, wie viel Work-Life-Balance ich schon verpasst habe, weil ich nach stressigen Schichten einfach auf der Couch gelümmelt habe, statt mich nochmal aufzuhübschen und mich mit pseudo Botschaften hab filmen lassen.

Ich frage mich, ob Ihr das mal von außen betrachtet und ob Ihr wirklich glaubt, irgendwer außerhalb der eigenen Bubble mit sehr viel Langeweile nähme das ernst? das also sind die cleveren Pflegenden im Hochkomplexberuf, dem die Gesellschaft dringend Respekt zollen soll? Ich bin nicht sicher.

Weiter geht es dann mit der next Generation. Die besteht zu 100% aus Schwesterndasein. es unterscheidet sich nichts von nichts.

Schwester Leni
Schwester Anna

Und bei Anna, die nach eigenen Angaben Bloggerin ist, gibt es auch gleich cute Armbänder.

Denn die Welt der Influenzier ist nichts, wenn man nicht über einen Rabattcode irgendeinen Murks an den Mann oder die Frau bringen kann.

Der Markt ist heiß umkämpft. Denn noch immer sind von außen Menschen auf der Suche nach denen, die eine Botschaft haben, und da geht es denn heiß zu.

Schon bei 7000 Follower wähnt sich Schwester Gabi (hinter dem sich Ralf irgendwas verbirgt, der seinen Auftritt bei Joko und Claas genoss) als King of Kotelett und fuhrwerkt seit Tagen wütend im Internet rum. Der nämlich hatte nicht damit gerechnet, dass es im Universum der Lebenden noch andere Menschen außer ihm gibt und meine Leser aufgerüttelt, als er einen Satz fallenließ, den sie aus meinem Blog entnommen wähnten oder identifizierten.

Nun geht das Stalking ab, denn weder wollte ich einen Livetalk, einen Livechat oder irgendeinen anderen Driss, den man sich im Netz so anbietet, wenn man Langeweile hat. Ralle schließt daraus, dass ich ein Problem mit Männern hätte.

Für ihn peinlich ist, dass er von Mansplaining und Genderquoten noch nie gehört hat, sich aber anmaßt, da gehörig mitzureden. Mansplaining, da ist er sicher, das ist, wenn Frauen Männer hassen, das muss dieser Sexismus gegen die Männer sein. Ich hoffe inständig, dass sie ihn letztlich Hanftropfen verkaufen lassen, damit er sich beruhigen kann, dass die Soziologie mittlerweile hier weiter ist, als er.

Denn klar, jetzt geht das Leben für ihn los, und nichts bringt schneller Follower als ein guter selbstinszenierter Shitstorm. Der bringt überdies noch Mitleid und wiegelt die gelangweilten Massen richtig auf. Dagegen ist ein Glaubenskrieg ein feuchter Kehricht. Content, content, koste es, was es wolle. Nur keine Follower.

Der ganze Kram spiegelt nicht nur geistige Flachwurzelei, sondern infantilen Narzissmus der Wohlstandsverwahrlosung.

Ich bin übrigens das Opfer dieses Irrsinns. Ich habe jetzt auf Instagram 150 Follower mehr. einem Medium, das ich traditionell nicht bespiele.

Denn ich bin keine Influencerin. Ich bin leider weder hohl, noch zeige ich Menschen mein Wohnzimmer, meine Kinder oder wie ich morgens Kaffee trinke. Auch Nina Böhmer weigert sich strikt, zu influencen. Wir wollen echten Einfluss. Und wir verkaufen unsere Gedanken nicht, wir operieren mit ihnen. Und um ein Zitat von Nina mal abzuwandeln: Eure Likes und Rabattcodes könnt Ihr Euch sonstwohin stecken. Wir wollen keinen Klamottenvertrag, wir wollen ein Mandat.

Fetisch erschöpfte Pflege. Schluss mit dem Almosenjournalismus.Steckt Euch Euer Mitleid sonstwohin

Seit Beginn der Pandemie, bei der anscheinend ein Großteil der Gesellschaft ihren moralischen Kompass in den Müll geworfen hat, gibt es Artikel, die schon in den Headern, genau wie hier, erschöpfte Pflegende zeigen und appellieren, wie furchtbar das für die Pflege sei. Ich bin es leid.

Ein wenig beachteter Titel zum Beginn der Pandemie dealte mit einer gewissen Schwester Teresa, die so erschöpft sei und jetzt keine Kraft für politische Kämpfe habe. Der Beginn eines zutiefst unmoralischen Journalismus. Seitdem poppen diese Artikel aus der timeline wie Pilze aus dem feuchten Boden. Pflege ist erschöpft. Das Symbolbild ist immer das Gleiche. Nurses, die auf dem Boden kauern, verzweifeln. Heute kam ein Artikel, den die Journalistin mit „Ich habe noch nie mit weinenden Menschen ein Interview geführt“ bewarb. Mir kommt der Kaffee hoch.

Ja, Pflege ist erschöpft. Das ist sie seit Jahrzehnten. Dazu braucht es keine Artikel mit weinenden Kollegen, denn alleine die Statistiken sprechen Bände. Pflege ist seit Jahren erschöpft und es interessiert Euch einen feuchten Dreck. Jetzt aber werden Kollegen in die Artikel und Sendungen gezerrt, um diese Erschöpfung vorzuführen. Als müssen man sich vergewissern, dass diese Erschöpfung wirklich wahr ist. Man führt sie vor wie exotische Tiere. Sie weinen, können nicht mehr. Doch Lösungsansätze bieten sie nicht und deshalb sind sie zutiefst unethisch, diese Artikel. Jahrelang, eigentlich die ganze Geschichte der Pflege, ist Mitleid einer der Komponenten, die man Pflege zuschreibt. Während die Pflege verzweifelt versucht, sich aus diesen Zwängen zu befreien, sexualisieren sie andere, machen sie zu Frauen, die Erfüllung finden, Befriedigung. Dass die Realität ganz anders aussieht, interessiert genau niemanden. Ausgerechnet jetzt also, zeigt man nicht den Schaden, man führt diese Kollegen vor, wie Brot für die Welt die Bilder von hungernden Kindern mit Fliegen in den Augen. Wem hilft man damit eigentlich? Niemandem, außer sich selbst.

Fakt ist: je mehr Patienten eine Pflegeperson betreuen muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man stirbt. Das ist statistische Realität. Entlastung der Pflege, endlich vernünftige Schlüssel zu schaffen, ist also keineswegs ein Almosen, das die Pflege sich mit der Zurschaustellung ihrer eigenen Verzweiflung durch die Gnade des geneigten Lesers verdienen muss. Es ist eine Logik, wenn man nicht selbst an einer Lappalie in Kliniken sterben möchte.

Es ist eine Art eines perversen Voyeurismus, den fertigen Menschen zuzusehen, wie sie unter der Last der Pandemie bei ihrer Arbeit dahinwelken und zusammenbrechen. Man kann sich dabei moralisch überlegen vorkommen, wenn man eine Spur Mitleid empfindet, während draußen Demos stattfinden, weil es, das, was die Pflegenden fertig macht, angeblich gar nicht gibt, während sich Abgeordnete an deren Leid und Not, nicht selbst zu sterben, bis zum Gehtnichtmehr bereichern. Aber hey, ich habe schlechte Neuigkeiten für Euch. Dieser voyeuristische Move spricht Euch nicht frei. Jeder und ich meine wirklich jeder, hat seit Jahrzehnten weggeguckt, als die Statistiken sagten, dass nach 7 Jahren Pflege zusammenbricht, wenn sie den Beruf begonnen hat. Jeder von Euch. Und das, obwohl wir in einer Demokratie leben. Ihr habt eure Krankenversicherungskarten gezückt, Ihr seid die, die unter Respectnurses die waren, die Pflege angreifen, anspucken, aus Supermärkten warfen, begrabschten, demütigten. Seit Jahren schon. Also kommt mir jetzt nicht mit dem „Oh, ich wusste nicht, dass alles so schlimm ist. Die ARMEN!“

Denen könnte es schon lange besser gehen, würdet Ihr begreifen, dass IHR durch deren verbesserte Lage profitiert. Aber dann müsstet Ihr Euch mit Eurem eigenen Fehlverhalten auseinandersetzen und Euch ernsthaft die Frage stellen, was IHR SELBST dazu getan habt, dass die Situation in Kliniken nicht so weit hätte kommen können. Und ab da wird es schwierig, denn bei allen Demos gingt Ihr vorbei. Ihr dachtet, es beträfe Euch nicht.

Ihr habt kein Recht, Euch jetzt die zerstörten Kollegen anzuschauen und Euch an deren verzweifelten Geschichten zu berauschen, um mal ein bisschen Emotionalität in Euer Leben zu lassen und Euch gut zu fühlen, denn Ihr fühlt Euch bei diesen Artikeln auf deren Kosten gut.

Ihr seid die selben, die bei jedem Streik geschrieben haben, dass der auf dem Rücken von Patienten stattfände. Ihr missbraucht also mit Eurem Almosenjournalismus schon wieder Pflege, beutet sie nun noch emotional für Eure Arbeit aus. Das macht Euch nicht zu besseren Menschen, das zeigt auch nichts auf, denn alles ist bekannt. Es macht Euch zu den gleichen Ausbeutern, die Pflege schon immer ausgebeutet haben. Die verrückt vor Wut werden, wenn die Realität nicht dem Sr. Stefanie-Image entspricht. Die Google Bewertungen über jeden Dreck schreiben.

IHR BEKOMMT UNSEREN ABLASS NICHT!

Covid und Psyche. Wie Polonaisen in Innenstädten Pflegenden den Rest geben. ICN nennt es „Massentrauma“

Die Folgen von Corona bezüglich mentaler Gesundheit der Pflegenden werden regierungsseitig noch immer stark vernachlässigt. Während andere Länder sich fieberhaft wenigstens der Untersuchung des Phänomens widmen, fragt man sich hierzulande, wie man die Massenflucht aus dem Beruf aufhalten könne. Vor dem Hintergrund der bereits laufenden Studien erscheint die Ignoranz dem Problem gegenüber absurd.

Shaukat et al. beschrieben bereits im Juli 2020 eine erhöhte Exposition von Mitarbeitenden der Gesundheitsberufe, in der Pandemie an Angstzuständen, Depressionen und Schlaflosigkeit zu erkranken. Laut dem ICN stehen Pflegende vor einem Massentrauma. „

„Angesichts der anhaltend hohen Infektionsrate in der Pflegekraft leiden überlastete Mitarbeiter angesichts der ständig steigenden Arbeitsbelastung, des anhaltenden Missbrauchs und der Proteste gegen Impfstoffe unter zunehmender psychischer Belastung“, heißt es in einer Erklärung des ICN.

„Wir erleben ein einzigartiges und komplexes Berufstrauma, das die Pflegenden weltweit betrifft“, sagte Howard Catton, CEO von ICN.“

Das bedeutet, dass nicht allein die Überlastung die mentale Gesundheit der Kollegen schädigt, sondern vor allem auch die Coronaleugner und ihre irrwitzigen Proteste. So liefen gerade am Wochenende hunderte Menschen tanzend und johlend durch die Straßen, während nur wenige Meter weiter Kollegen völlig erschöpft schon wieder eine Welle (die Dritte) abfangen müssen. Wieder und wieder wird dabei von Pflege am Limit gesprochen, doch das Limit des Erträglichen ist längst überschritten.

Überhaupt hatte und hat Pflege mental viel zu schultern. Ich möchte, dass Sie sich vorstellen, wie Sie nach Tagen Nachtdienst erschöpft und müde aus dem Dienst kommen. Nicht wissend, ob Sie das tödliche Virus mit heim zu Ihren Kindern nehmen. PSA gibt es kaum oder sie ist mangelhaft. Zeit zum Händedesinfizieren gibt es nicht, das wären 30 Sekunden zu viel (es gibt Studien, die beweisen, dass Pflege 2h am Tag mit der Desinfektion ihrer Hände beschäftigt sein müsste. Diese Zeit gibt es schon lange nicht mehr, es wird stillschweigend hingenommen). Und am Ende sehen Sie Videos, in denen ein gut ausgeschlafener Boris Becker in den Sonnenauf- oder – Untergang klatscht, Sie kämpfen sich zum Wochenenddienst durch einen Autocorso, der Ihnen weismachen will, dass das, was Sie tagtäglich auf Ihrer Station erleben, nicht existiert. Sie erleben, wie Sie beim Einkaufen entweder aus dem Supermarkt geworfen werden (weil es nämlich doch existiert und Sie sind der Überbringer), wie Sie diskriminiert werden oder wie Ihnen Nasenpimmel dreist ins Gesicht hauchen, wenn Sie an der Kasse stehen.

Ich möchte, dass Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn Sie keinen Mundschutz bekommen, und später hören, dass an Ihrer Not, während 230 Kollegen verstarben, Abgeordnete Millionenbeträge mit Ihrer Angst gemacht haben. Die dann auch im Bundestag aufstanden und klatschten und die Ihnen dreist erklären, wie „erfüllend“ Ihr Beruf sei und wie systemrelevant, aber leider zu teuer. Und dann lassen sie sich für ein Lobbyisten pro Teilnehmer 9999Euro bezahlen. Die Welt verliert ihren moralischen Kompass und erwartet von Ihnen, den Ihren strikt aufrechtzuerhalten. Die Welt ist aus den Fugen.

Während also auf der Welt Studien laufen und man überlegt, wie man Pflegenden helfen kann, läuft in Deutschland nichts. Doch ganz nichts trifft es nicht. Denn eine überaus männliche Idee tritt auf den Plan. Der Pflegerat folgt nun der Idee, dass ein Einstiegsgehalt von 4000 Euro gut wäre. Sie lesen richtig. Nicht von Hilfe ist die Rede, nicht von. Behandlung, nicht von Entlastung. Nichtmal von Berufsunfähigkeitsrente in Höhe des Gehalts für die unfassbare Leistung in der Pandemie. Die KOMMENDEN sollen ein besseres Gehalt bekommen. Nach Ihnen selber und Ihrem Leben, das Sie in der Pandemie geopfert haben, kräht kein Hahn. Motivationsstudien beweisen, dass Geld kein langfristiges Instrument ist, um die Motivation zu erhalten, wenn die Arbeitsbedingungen nicht stimmen. Doch man hofft, sich freikaufen zu können, spricht von der Attraktivitätssteigerung für Neueinsteiger, während man demonstriert, wie egal einem das Leid derer ist, die gerade am Ende sind. Die sind ausgerechnet, Heldenschnee von gestern. Die Verantwortung, die man gegenüber gerade denen hätte, die man zynisch als Coronahelden bezeichnete, sie will niemand tragen.

Niemand möchte die Polonaisen aufhalten, niemand die Schulen schließen, niemand die Welle aufhalten. Man möchte vergessen und kauft sich frei, als sei nichts gewesen. Man lamentiert, weshalb ein Massenexodus aus der Pflege stattfindet. Doch um das Trauma kümmert sich niemand.

Auch bei uns sind Pflegende deshalb hospitalisiert. Die psychiatrischen Einrichtungen sind dabei keinen Deut besser dran, als die Somatik. Seit 50 Jahren ist die Psychiatrieenquête nicht umgesetzt, die stationsäquivalenten Behandlungsmöglichkeiten sind sogar noch in der Finanzierung unklar. Gleichzeitig ist aber klar, dass Kinder und Erwachsene Plätze brauchen. Und für Pflegende hört die Belastung einfach nicht auf.

Wer noch kann, erlebt nicht selten, wie daheim die Partner nicht mehr können, denn niemand ist mit seinem Problem eine Insel. Dann wird man 24/7 Pflegende*r, der noch Familienmitglieder mit psychischen Folgen begleitet.

Die WHO alarmiert: Die psychiatrischen Dienste sind unterfinanziert, nicht besetzt und vernachlässigt. Jahrelang dachte man, Psychiatrie sei das „Aschenputtel“ unter den Behandlungsformen, so Catton vom ICN. Und ausgerechnet jetzt, wo der Bedarf steigt, rächt sich das systemische Problem. „Die WHO-Umfrage zeigt , dass psychosoziale Dienste in 93% der 130 untersuchten Länder zu einem Zeitpunkt, an dem die Nachfrage steigt, unterbrochen oder eingestellt wurden.“

Nein, auch das regeln keine 4000 Euro. Geld hat nicht die Eigenschaft, zu heilen, die Kraft wieder herzustellen, damit die, die wir verschlissen haben, weiter für die Daseinsfürsorge der Bevölkerung da sein können. Doch von all dem möchte niemand etwas hören. Wieder ist Deutschland im Umgang mit Pflege weit hinter den anderen Ländern zurück.

Impfdebakel, Pflegemassenexodus, Rehabilitationen, Pflexit, Unterversorgung.

Dabei wäre es so einfach gewesen, Prävention zu betreiben, Greenberg zu implementieren und Schutz anzubieten. Doch all das stand weit hinter dem „Durchhalten, Ihr Helden“ zurück, denn professionelle Versorgung ist keine Option im „besten Gesundheitssystem der Welt“, das gewinnmaximiert arbeitet. Vielleicht liegt es daran, dass bislang noch niemand wem eine Million angeboten hat, um die Pflegenden zu retten und etwas zu unternehmen.

Pic: Mark Plötz

Nicht nur ‚Maskendeals‘, Herr Löbel

910.000 Euro. Auf Twitter hat es jemand zusammengerechnet. 910.000 Euro haben Praxen, Heime und Kliniken also zusätzlich zu den sowieso schon steil in die Höhe geschossenen Kosten für Masken zahlen müssen, damit sie ihre Mitarbeiter schützen können. An eine Handvoll Bundestagsabgeordnete. Für die freundliche Vermittlung. „Maskendeals“ wird das in der Presse genannt. Aber es waren nicht nur Maskendeals. Es war weit mehr als das.

Ich erinnere mich an das Frühjahr 2020. Ich erinnere mich an den # #KeinIsomaterialfürCorona, mit dem die Pflege darauf aufmerksam machen wollte, dass sie gefährdet ist. Es hat niemanden interessiert. Ich erinnere mich an zugesperrte Schränke, damit man sich nicht einfach eine lebensrettende Maske aus dem Schrank nehmen kann. Ich erinnere mich an Bilder, wie Kollegen das infizierte Zeug mit nachhause nehmen und dort ausbacken mussten. Ich erinnere mich an Kollegen, die nach 12 Stunden Schichten Stoffmasken für andere Kollegen nähten und an wieder andere Kollegen, die diese Masken dann bügelten, damit sie eine Chance hatten, das verflixte Virus zu töten.

Ich erinnere mich an völlig fertige Pflegedienstleitungen, die den ganzen Tag damit zubrachten, Masken besorgen zu wollen, telefonierten, an Lieferketten scheiterten oder schlicht daran, dass in den IT Systemen nur dort bestellt werden kann, wo die Firma als Lieferant hinterlegt ist. Ich erinnere mich an Bilder, wo nur ein paar Masken auf der Station hingen und die mussten sich dann alle teilen. Alle. Die selben! Tagelang! Ich erinnere mich an Rationalisierung, eine Maske musste 1 Woche reichen. Bei 12 Stunden-Diensten. Bei Kontakt mit Corona. Ich erinnere mich, wie die Statistiken des RKI anfingen, täglich mehr tote Kollegen aufzulisten.

Ich erinnere mich, wie sie dann anfingen, die Pflege „Helden“ zu nennen und im Bundestag aufstanden und klatschten und von Wertschätzung erzählten. Und ich habe Fragen, Herr Löbel.

Ich möchte wissen, ob Sie selber, als niemand etwas hatte, beim Einkaufen Maske trugen und ihre Familie und vielleicht Ihre Kinder. Ich möchte wissen, ob Sie auf die Uhr schauten, alle 12 Stunden, wenn Pflegepersonal die Schichten wechselte, weil dann die Hoffnung bestand, dass die neue Masken zugeteilt bekommen würden. Katsching in die eigene Tasche immer um 6.00. Ich möchte wissen, was Sie dachten, als Sie da im Bundestag standen und klatschten? Was war es? “ Applaus Ihr Deppen, Ihr verdient gerade für mich Geld! Höhöhö!“ ? Ich möchte wissen, was Sie dachten, wenn wieder einmal eine Bild-Schlagzeile aufpoppte, wenn in einem Pflegeheim Corona ausgebrochen war. Als man der Pflege die Schuld gab, als Angehörige wütend vor den Heimen tobten, Pflegende anspuckten, sie aus den Supermärkten schmiss, ihre Autos zerkratzte? Was war es? Vorfreude, weil das Heim sicher so verzweifelt sein würde und bei Ihnen die Kasse bald klingelte?

Ich möchte wissen, ob Ihr Euch da im Bundestag beim Lachen auf die Schenkel klopft, weil Pflege gutmütig in der Pandemie alles mit sich machen lassen muss, während Ihr, jeder für sich, innerhalb eines halben Jahres den Wert eines Einfamilienhauses verdient habt, mit der Arbeit der Pflege? Während Pflege oftmals nicht in der Lage ist, ein Einfamilienhaus in ihrem ganzen Leben abzubezahlen. Ich möchte wissen, wer dann beschließt, in Pressekonferenzen etwas von Wertschätzung zu erzählen, und wie „WERTVOLL“ (lacht Ihr, wenn Ihr das aussprecht?) die Arbeit der Pflege ist. Wertvoll ist sie, die Arbeit. Schließlich verdient Ihr dran.

Ich möchte wissen, wie sich das anfühlt. 1,3 Millionen Pflegende. Die Euch mit in dieses Haus, den Bundestag, gewählt haben. Auf deren Leben Ihr jetzt also ungebührlich Kohle verdient. „Marktgerecht“ habt Ihr das genannt. „Der marktgerechte Patient“ heißt auch der Film, der beschreibt, wie menschenunwürdig Medizin unter Gewinnmaximierung geworden ist. Ich bin sicher, Ihr kennt den Film und auch den Wortzusammenhang. Ihr verarscht uns doch.

Ich möchte wissen, was Ihr über die Opfer der Pflege denkt. „Pech gehabt, keine Lösesumme für Masken bezahlt, höhö.“ ?

Sie ziehen sich aus der Politik zurück, sagen Sie. Doch das ist schon wieder gelogen. Sie bleiben nämlich auf dem gut bezahlten Sitz sitzen bis August. Ein halbes Jahr also muss ich Sie noch durchfüttern. In einem Monat bekommen Sie soviel Geld wie 5 meiner Kollegen. Wenn die Glück haben.

Währenddessen erzählt Ihr uns weiter, dass Ihr nichts ändern könnt. Und verlasst Euch drauf, dass die Leute ihren Job machen. Gefährdet. Überstunden. Die Kinder der Pflege, die ihre Eltern kaum sehen. Mitarbeiter, die müde sind.

Was werdet Ihr machen mit der ganzen Kohle? Erstmal schön in den Urlaub, wenn es vorbei ist? Eine Beraterfirma gründen? Euch auf die Schultern klopfen, dass Ihr „wenigstens das noch mitgenommen habt“? Euch bedauern, weil alles so gemein ist?

All das weiß ich nicht. Leider. Aber ich weiß, was das Gemeinste an der Sache ist. Ihr könnte jederzeit Eure Krankenversicherungskarte zücken und in ein Krankenhaus gehen. Und dann müssen die, die Ihr so derbe verarscht habt, Euch behandeln, als wenn nichts gewesen sei.

Warum sie das müssen? Sie haben einen Ethikkodex. Das werden Sie nicht kennen, Herr Löbel. Hätten Sie mal besser Pflege gelernt. Hätte Pflege mal besser auf Ihrem Platz gesessen.