Tschüß, Jens, es war nicht alles schlecht!

Wer den letzten Tag im Dienst schonmal hinter sich gebracht hat, der weiß, wie sich das anfühlt, dieses Gefühl, dass einem jetzt mal das Ganz geschmeidig den Buckel runterrutschen kann, dieses „Macht Euren Shice doch alleine, ey!“ und dieses „In meine Arme, Freiheit!“. Dieses Keine-Gefühl. Keine 21 Dienste am Stück mehr, keine Schichten, keine verbale Gewalt mehr, kein Gehetze sondern das pure Lebensglück a la Frederick Freiherr von Furchensumpf: „HETZ! MICH! NICHT!“

Ich frage mich, ob Bundesgesundheitsminister das auch haben. Ob die, nachdem sie ja angetreten waren, um diesen Beruf, den jeder kann, mal ordentlich aufzuräumen, mit einem Seufzer der Erleichterung die Tür runterrutschen bei der Wahl, wenn es keiner sieht. „Endlich raus hier!“, Gott sei Dank! Und ob sie heimlich still und leise ihre private Krankenversicherungskarte küssen, weil ihnen das, was sie da herausgefunden haben, niemals passieren kann. Manche sind gleicher.

Nach einer Weile weiß man, es war nicht alles schlecht. Ich könnte, wenn ich mich bemühen würde, ein paar Dinge aufzählen, die lustig waren. Aber auf 30 Jahre gerechnet waren das so wenige, dass die Rückkehr nicht lohnt. Wie ist das wohl beim BMG? Von BMG Gröhe haben wir nie wieder was gehört. Und vielleicht ist Euch das auch mal aufgefallen: Es äußert sich auch nie ein ehemaliger BMG, dass das alles nicht so schlimm war und dass nicht alles schlecht war. Scheinbar verdrängen sie, wo vergessen nicht reicht.

Es war nicht alles schlecht. Ok, Jens hatte da den Spruch mit den „wenn Pflegekräfte nur 3, 4 Stunden pro Woche mehr arbeiten würden, dann wäre schon viel gewonnen“ und dabei vergessen, dass Teilzeit arbeiten Vollzeit arbeiten mit Teilzeit-Bezahlung ist.

Und hey, er hat wirklich 13.000 neue Stellen in der Pflege geschaffen. Dass es niemanden gibt, der die besetzt, das war ja klar. Das hatte er aber auch nie versprochen. Und 270 sind halt in der Pandemie gestorben. Dann sind es jetzt 13270 Stellen.

Es war nicht alles schlecht, das bezeugen sicher auch die politischen Kollegen, die noch damit beschäftigt sind, ihre Maskenprämie gewinnbringend anzulegen und die Konzerne, die jetzt die Feldbetten, die sie als Intensivbetten verkauft hatten, langsam wieder einklappen – und auch die Kohle zählen.

Leistung, das hat sich ja bewiesen in der Pandemie, lohnt sich wieder. Jedenfalls, wenn man nicht in der Pflege arbeitet, sondern über sie verfügt.

Bundesgesundheitsminister erinnern mich an junge Ärzte, die selbstbewusst auf die ZNA kommen und glauben, sie könnten jetzt die Welt retten. Alles hört auf mein Kommando. Dass das Kommando meistens Schwachsinn ist, davon muss man sie in hartnäckiger Arbeit überzeugen und kaum können sie was, sind sie weg. So ähnlich ist es auch mit Pflegenden und dem BMG.

Jetzt wird es wahrscheinlich einen neuen Minister oder, Gott, steh uns bei, eine neue Ministerin geben. Esken liebt Debatten mit dem Pöbel nicht, wie Rüddel hat sie die meisten Pflegenden blockiert.

Wir sind allerdings darauf eingerichtet und verlagern unsere eindringlichen Botschaften auf andere Medien. Da ist kein Blockieren möglich.

Was oder wer auch immer kommt: es wird neue Imagekampagne geben, wieder werden Pflegende eingeladen werden, um die Selbstinzenierung der Minsiter*IN medial zu spreaden wie das Coronavirus. Alles nochmal von vorne. Und wieder wird ein Berufsfremder denen im Beruf erklären, dass sie von nix ne Ahnung haben und wieder werden 4 Jahre vergehen.

Folgen hat das Ganze nur für Pflegende. Die sind mental durch, werden krank. 4 Jahre, das ist eine halbe Berufsverweildauer. Alle 2 Legislaturperioden flüchtet eine Generation aus dem Job. Anders als in der Politik gibt es aber keine Pensionen in erheblicher Höhe und andere warme Sessel. Es ist ja nicht alles schlecht, als BMG. Die Ansprüche jedenfalls nicht.

Es tut mir auch ein bisschen leid und ich hätte gerne mal mit ihm über seine Desillusionierung geredet. Und ob er Pflegende jetzt politisch ernster nehmen kann, als vor 4 Jahren. Jetzt muss es ein neues Bullshit-Bingo geben und die neuen Ideen abgewartet werden.

Viel Neues ist nicht zu erwarten. Es würde mich nicht wundern, wenn wir das Bullshit-Bingo sogar recyceln könnten. Jedenfalls wäre ich mega neugierig darauf, ob die scheidenden und die ankommenden Minister auch eine Art Übergabe machen. Vor wem sie sich hüten sollen da draußen in der Pflege-Welt und mit wem sich auf Bildern gut lächeln lässt.

Bis all die Entscheidungen durch sind, die anstehen, sind schon die Kirschen reif. Mal gucken, ob mit uns gut Kirschen essen oder Saure-Gurken-Zeit kommt.

Ciao Jens, es war nicht alles schlecht.

Vorsicht, Privatpatient! ;)

Ich befürchte, dass die Leute langsam einfach am Rad drehen und nicht verstehen, dass ein Flatscreen keine Pflege ist.

Aber hört selbst. Das ist nicht von mir, aber ich veröffentliche es gerne.

„Seit Jahren poppen diese Privatstationen aus dem Boden. Ein Strohhalm gar, an den sich die Kliniken klammern, denn Privatstationen bringen richtig Geld in das marode System. Dafür werden tausende von Euro ausgegeben, ganze Trakte umgebaut zu Wellnessoasen – weil die Nachfrage da ist. Der Privatpatient von heute möchte, bitteschön, wenn er schon krank ist. das Ganze im Luxus genießen. Dabei ist völlig irrelevant, ob die pflegerische Qualität vorhanden ist. Der Komfort steht im Vordergrund auf der Komfortstation.

Steht das Shampoo an der richtigen Stelle? Kommt das Wahlmenü auch wohltemperiert? Dann wird sich auch bestimmt der Krebs verabschieden. So scheint es ihnen.

Extra geschulte Servicekräfte bevölkern die Stationen und bedienen die Damen und Herren. Pflegerische Leistungen von Fachkräften, die Notfälle verhindern könnten und therapeutisch Leiden lindern? Was sind die schon wert, wenn man sich in den hauseigenen Bademantel kuscheln kann, trist in die XXL-Glotze starren und bedient werden kann?

Während sich also auf den normalen Stationen das Volk von ausgebrannten Pflegekräften versorgen lässt, umschmeicheln Servicekräfte sanft unsere High-Society, die zufrieden sich räkelnd ihren Krebs besiegen.

Und das mit einer Anspruchshaltung, die weit entfernt von eine Wertschätzung für Pflegende ist.

Warum mich das so aufregt? Ich hatte heute eine nette Begegnung mit einem Privatpatienten, der sich echauffierte, dass die Decke, mit der ich ihn im OP zudeckte, eine so schlechte Qualität habe, dass sie „Zitat Seiner nicht würdig sei“.

Was ich erst als Scherz einordnete, entpuppte sich als purer Ernst, denn er erklärte mir, dass er sich nicht in die Klinik begeben hatte, um sich mit (Zitat) „Volk zu umgeben“.

Ich fragte ihn, was er denn meine. „Das kann ich Ihnen sagen. Von Personal wie Ihnen (erbeutete auf mich) habe ich mich freigekauft!“

Das ist sie denn wohl, unsere Zwei-Klassen-Gesellschaft.“

Anmerkung Monja: Dazu gehört entweder Chuzpe oder pure Blödheit, die OP-Nurse, die einen gleich von innen sieht, blöde anzumachen.

Die Sache mit dem fehlenden „l“!

Im Header meiner Facebookseite fehlt seit Jahr und Tag ein kleines l im Wort „Pflegephilosophie“. Eigentlich vergeht kein Tag, an dem ich via PN oder in den Kommentaren nicht darauf angesprochen werde und deshalb möchte ich Euch etwas über meine Sicht auf Fehlerkultur erzählen.

Manche Menschen, gerade Neue, schreiben mich in Nachrichten an.

„Sehr geehrte Frau Schünemann, es ist Ihnen vielleicht noch nicht aufgefallen, aber da fehlt ein l.“

Ich finde das sehr nett, bedanke mich und freue mich. Wie reizend, mich darauf aufmerksam zu machen. Oft unterhalte ich mich im Chat dann mit den Leuten. Was ich da schon alles rausgefunden habe über die Menschen, die mich lesen. Toll! Höfliche Leute mit ihren Sorgen und sie erzählen mir, wo sie arbeiten und wie es da so ist. Das alles wäre mir entgangen ohne das fehlende l. Was das kleine Kerlchen leistet! Ohne das fehlende l, also MIT l, hätte ich von all den lieben Menschen nie erfahren. Wenn das, was fehlt, zu mehr Kommunikation führt, dann ist das toll.

Manche machen es so:

„Sind Sie blöd! Sie können ja nichtmal Philosophie richtig schreiben!“

Ich persönlich halte das für eine steile These, denn spätestens in meinem Nutzernamen ist das l ja da. Ich bedanke mich trotzdem. Warum? Wer auch immer das so schreibt, der hat jetzt einen feinen Tag. Der muss unendlich viel Frust geladen haben. Ja, der habe ich es mal so richtig gezeigt. Hah! Mal so richtig bescheidgegeben! Tschakka! Tja, also, wenn das etwas ist, was Menschen glücklich macht, dann immer ran. Wer weiß, wie viele Menschen da schon ihren Druckkessel mal so richtig entlastet haben und was passiert wäre, wenn sie es nicht bei mir getan hätten! Danke, liebes l.

Oder, auch beliebt: „Das hätten Sie schon lange ändern können!“

Hm. Hätte ich. Dazu hätte ich mich einloggen müssen, die Einstellungen öffnen und die Änderung des Namens beantragen. In der Zeit hätte ich aber auch: meine Kinder anrufen können und ihnen sagen, wie lieb ich sie hab, meinem Mann einen Kuss geben oder meinen Freundinnen einen schönen Tag wünschen und ihnen sagen: „Halte durch!“ DAS finde ich viel wichtiger als das l.

Dazu kommt, dass das Anforderungen von völlig fremden Menschen sind, die eine Norm erfüllt haben wollen, weil es ihren inneren Monk triggert. Dann denke ich darüber nach, wieviele Normen ich von Fremden zu erfüllen habe, denn ich kenne die Leute ja nicht wirklich. Und dann komme ich drauf, dass ich eigentlich keine Lust habe, Normen bei so etwas Unwichtigem wie dem l zu erfüllen. das ganze Leben besteht aus Kompromissen zwischen mir und Normen. Wie ich aussehe, wie ich esse…. Ich GÖNNE mir das fehlende l.

Wie gehen wir mit Fehlern um? „Du hast einen Fehler gemacht!“ ist noch immer für viele ein ganz schlimmer Satz. Dabei ist ein Fehler nur das, was fehlt. Ich kann es, wie beim l, hinzufügen, und schon ist alles gut. Kann ich es nicht, ist es eine Katastrophe, vor allem, wenn der Fehler Auswirkungen auf das Leben anderer hat und so zur Katastrophe wird.

Das l ist jetzt aber nicht so ein Fehler wie aus Versehen Salz statt Zucker in den Sonntagskuchen geben, oder beim Einparken – wie peinlich- es nicht gleich in die Lücke schaffen. Es ist einfach nur ein Buchstabe, der auf Facebook fehlt. 7, 5 Milliarden Menschen auf dieser Welt kennen die Seite nicht. das fehlende L macht nichts Schlimmes mit ihrem Leben, es macht auch nichts Schlimmes mit dem Leben derer, denen der Fehler auffällt. Ist es dann ein Fehler oder ist es nicht einfach völlig egal?

Wir alle machen Fehler. Warum sollte ich nicht zu meinem gemachten Fehler stehen? „Schaut her! Ich bin Geisteswissenschaftlerin und mache Fehler! Ich stehe dazu, es passiert nichts Schlimmes, wenn man zu einem Fehler steht!“ ist doch eigentlich ne tolle Message. Würde ich den Fehler beheben, wäre sie kaputt.

Mittlerweile habe ich eine Beziehung zu dem fehlenden L. Vielleicht hat es gerade Besseres zu tun als in meinem Wort abzuhängen? Vielleicht ist es beschäftigt im Wort Liebeslied, Lust, Ladenhüter, Lappalie, Larifari, Liebe, Leben, Lachen! Da ist es auch viel wichtiger.

Magnetkrankenhaus- echte Magie oder fauler Zauber?

Gerade ist viel die Rede von einem europäischen Projekt, an dem ausnahmsweise auch Deutschland teilnimmt und das in den höchsten Tönen gelobt wird. Es heisst magnet4Europe und Ihr solltet darüber Bescheid wissen.

Alles Gute kommt aus Amerika. Coca-Cola, Mickey Mouse, Jeans und Kaugummi, Langstreckenraketen (aber das ist ein anderes Thema).

Auch die Pflege ist in den angloamerikanischen Ländern völlig anders aufgestellt. Die meisten haben studiert, die Tätigkeitsfelder sind andere, die Modelle sind anders und auch da kommt das Gute her.

Nun trug es sich zu, dass in den 1980ern Kliniken um Pflegende rangen. Soo beliebt war der Beruf dann doch nicht und das medizinische System in Amerika, das vollends kapitalisiert ist, bringt es mit sich, dass die Klinik da schon was bieten muss, wenn sie dem durchschnittlichen Privatzahler etwas bieten will. Die wenigsten Menschen dort haben eine KV (Insurance), die klaglos alles zahlt. Da nämlich geht Markt los (oder endet, je nach ethischem Verständnis).

Also sann man hin und her, denn manchen Kliniken ging es gut und manchen schlecht. Es wurde überlegt, was die Kliniken, denen es gut ging, anders machten als die, bei denen keiner arbeiten wollte. Es ist fast ein bisschen lustig, aber es kamen 14 Punkte heraus, die in 5 Gruppen mündeten. Wer das erfüllte, der hatte zufriedene Kunden und zufriedene Mitarbeiter. Beides wurde magnetisch angezogen. Magnetkrankenhäuser. Ja, das ist ein bisschen langweilig und deshalb kürze ich das stark ab.

  1. Die Führung darf kein Arschloch sein (wer hätte das gedacht?)
  2. Die Pflegenden haben ein Mitspracherecht an der Art und Weise, wie sie arbeiten, Ärzte sind nicht die Kings of Kotelett, alle sind hierarchisch gleich (ich spüre Montys Schmerzen 😉 )
  3. Alle arbeiten evidenzbasiert. Das ist logisch, es haben ja auch alle studiert.
  4. Schnell wird Neues in die Praxis mitgenommen.
  5. Es gibt Patientenbefragungsbögen (äh, klar)

Prima, dachte man sich, damit könnte man den Notstand in Europa ja auch beheben! Und los ging es. Es gibt weltweit 500 Magnetkrankenhäuser. Jetzt kommt de Wermutstropfen: es gibt nur EINES in Europa. Und das ist ganz gewiss nicht in Deutschland.

20 Kliniken in Deutschland ringen nun darum, den Titel zu bekommen. Es hört sich auch ZU fein an. Man muss nur diese Punkte irgendwie erfüllen und schon kann es losgehen mit der Mitarbeiter Zufriedenheit, dann kommen sicher alle zu einem arbeiten. Die Freude, vor allem die Vorfreude, ist groß.

In vielen Fortbildungen wird nun das europäische Projekt gepriesen wie der Heiland. Haltet durch und geht in Magnetkrankenhäuser, könnte man denken. Aber so einfach ist die Chose nicht und ich rate zu kritischem Mitdenken.

Rollt man die Sache nämlich nicht von Europa sondern von Amerika aus auf, wird aus dem tollen Projekt in Deutschland nämlich gar keine Coca-Cola, sondern eher ne abstandene Club_Cola, die gar nicht spritzig ist sondern muffig schmeckt.

Die Forderungen nämlich, die die amerikanischen Kollegen hatten, sind nicht nur völlig logisch, weil sie ja Akademikerinnen sind und selbstredend den Anspruch haben, auf ihren Stationen eigene Studien und evidenzbasierten Pflege zu machen, sondern sie sind auch noch ZUSÄTZLICH zu einer viel geringeren Belastung, als deutsche Pflege sie hat. Und die gilt auch in ganz Europa – außer in Deutschland natürlich.

In Deutschland versorgen Pflegende nämlich das DREIFACHE an Patienten. In ganz Europa versorgen Pflegende weniger Patienten, nur Deutschland ist eine Massenabfertigung.

Wenn also man in Amerika nur 1/3 der Patienten versorgt, ist das Arbeitsaufkommen einfach so gelagert, dass ZEIT vorhanden ist. Wenn aber 15 Patienten versorgt werden müssen, und der ganze Krempel (in Anführungszeichen) kommt da drauf, es GIBT GAR KEINE AKADEMIKERINNEN und auch keine Möglichkeit, die eigene Sachlichkeit umzusetzen, weil man eh durch den Tag hetzt, dann ist „Magnetkrankenhaus“ einfach ein Label, wie „Bio“ auf einem gespritzten Apfel. Sich mit DEM Schlüssel an dem Projekt zu beteiligen, ist einfach nicht lauter.

Deshalb rate ich Euch, nicht allzu euphorisch zu sein und das Ganze mal kritisch zu hinterfragen.

Noch mehr Arbeitsaufwand kann nicht zu Zufriedenheit beitragen.

Aber das ist natürlich nur eine Einzelmeinung.

Weshalb „Nein“ im Job so oft Empörung hervorruft – und trotzdem so wichtig ist!Nein zu Nein-Shaming!

Es gibt „Neins“, die fallen mir persönlich leicht. Zum Beispiel auf die Frage, ob ich schon aufstehen möchte? (NEIN!) Oder ob ich weiß, wo die Schokokekse geblieben sind (BEIM! *kauend gesendet*)? Oder ob ich Lust habe, im Regen die Gassirunde zu gehen (NEIN!)?

Nein ist ein so wichtiges Wort, das wir alle mal wie Gewehrfeuersalven beherrscht haben. Das war, als wir so ungefähr zwei Jahre alt waren und bemerkten, dass das Wort eine unfassbare Dynamik auslösen kann. (NEIN! NEIN! NEIN!) Diese Dynamik ist so irritierend, dass sie Kleinkinder oft selbst irritiert. Aber dann ist irgendwas passiert und die Dynamik des Wortes geriet in Vergessenheit.

Findige PR-Werbefuzzies wissen das und so manche Flasche Kosmetik und Parfum wurde schon verkauft, weil der netten Verkäuferin, die fragt, ob sie uns mal eben das Neueste vom Neuen zeigen (und letztlich dann einpacken) darf, kaum wer ein entschiedenes NEIN entgegnet. Wer will denn kleinlich sein? Das Nein wird zum Peinlichkeitsmoment und man fragt sich, wie man da wieder rauskommt. Die Antwort ist ganz einfach: NEIN!

Nein ist das Wort der Ablehnung, aber auch der Entscheidung. Nein bedeutet, dass ich etwas anders entschieden hatte, weil es eine Wahl gab. Und so ist nahezu jedes Nein legitim. Gerade das Nein von Frauen aber wird nicht grundsätzlich ernstgenommen. Nicht ohne Grund ist der Slogan gegen die sexualisierte Gewalt „Nein heißt NEIN!“.

Im Beruf, der ja von der Gesellschaft (und manchmal auch vom Team selbst) als ein Hort der Selbstaufopferung gesehen wird, kann man sich auch entscheiden. Aber merkwürdigerweise fällt ein Nein, das mit Helfen konnotiert ist, vielen schwer.

„Möchtest oder kannst Du an Deinem einzigen freien Tag einspringen, weil die Not gar so groß ist?“ wird fast immer zur moralischen Gratwanderung, denn es hat sich eingeschlichen, dass, wer NEIN sagt, das Team alleine lässt, die Patienten unversorgt lässt und überhaupt ein ganz schrecklicher Mensch ist. Das löst Gruppendynamik aus. Und macht das NEIN, das eine Selbstverständlichkeit ist, so für so manchen unmöglich. Da schnappt die Falle dann zu, denn so so oft werden dann Selbstpflege, der freie Tag, die wichtigen Termine mit der Familie gecancelt, um bloß nicht wie der letzte Arsch dazustehen. Gut, man steht dann im Privatleben da wie der letzte Arsch, aber das scheint dem Team nicht ganz so wichtig zu sein.

Die Tatsache, dass nach mehreren Jahren Beruf ein Nein wie eine Unverschämtheit daherkommt, haben nicht nur die einzelnen Teammitglieder gelernt, sondern auch das Management. So kommt es, dass oft genug plötzlich Tätigkeiten angeordnet werden, die gar nicht mit dem Vertrag vereinbart sind. Besonders bei pflegefremden Tätigkeiten scheiden sich die Geister, die da oben werden es schon wissen. So packen Pflegende oft genug Kisten aus, räumen Schränke auf und putzen Zimmer. Auch der Patient per se wird seltenst mit einem Nein konfrontiert. So kommt es, dass auch dem mobilsten Kandidaten noch der Tee gekocht und serviert wird – oft genug von Anfängern, die sich noch nicht trauen, ABEDL durchzusetzen.

Nein ist also eine der Auswahlmöglichkeiten auf eine Frage. Aber NEIN wird in der Pflege oft nicht akzeptiert. Das führt dazu, das man meint, seine Entscheidung noch begründen zu müssen. Diese, oft an den Haaren herbeigezogenen Begründungen (es haben wegen des NEINS des Nichteinspringend-Wollens mehr Großmütter Geburtstag, als überhaupt existieren!), können in Notlügen münden, weil das NEIN einfach keine Konjunktur hat und man hofft, so dem Shaming zu entgehen.

Gleichzeitig behaupten Teams, in denen genau diese Dynamik herrscht, oft, dass sie doch ein TEAM seien. Wie gut kann ein Team sein, dass meine Entscheidungen nicht respektiert? Genau!

So habe ich dieser Tage höchst interessiert einen Tweet verfolgt, in dem eine Ärztin eine Hebamme shamete, die Nein zu der Frage gesagt hatte, ob sie der Operateurin einfach mal den Kittel zur Sectio zumachen könne. NÖ! Das sei nicht ihre Aufgabe.

Die Empörung schlug hoch und zwar mit den altbekannten Mustern. Ja, man dürfe schon noch NEIN sagen, aber nicht IN DIESEM FALL! Es war keine Notsectio und die Springer anbei. Das nämlich sei GEGEN den TEAMGEDANKEN! Und ich fand das weird. Denn die Hebamme hatte recht: es IST nicht ihre Aufgabe. Sie konnte sich entscheiden. Sie hat sich entschieden. Aber zig Kollegen stimmten zu: SO EIN NEIN GEHE GAR NICHT!

Ich finde es spannend, weil die Dynamik so offen zutage tritt. Die ganze Toxizität der Situation liegt darin, dass auf der einen Seite behauptet wird, man sei ein Team, aber auf der anderen Seite spekuliert wurde, was denn die Hebamme dazu verleitet habe, NEIN zu sagen.

Ob sie sich zu fein sei? Ob ihr ein Zacken aus der Krone fallen würde? Ob sie hochmütig oder gar nicht teamfähig sei? Ob sie Menschen sterben lassen würde? Ob sie Ärzte hasst? Nein! Sie hatte ihre Entscheidung einfach sachlich begründet: mit: „Es ist nicht meine Aufgabe!“

Das Gegenargument war, dass die Ärztin ihr auch schonmal den Kittel geschlossen habe. Nun, da hat die Ärztin anders entschieden als die Hebamme und mir ist völlig unklar, weshalb das nun Role-Model sein soll. Noch spannender: Wer der Ärztin beipflichtete, der wurde gelobt. Wer sachlich dagegenargumentierte, wurde auf dem übelsten Niveau rundgemacht, das sich denken lässt.

Beispiel: „Mit so jemandem möchte ich nicht arbeiten müssen!“ Nun, Fakt ist, mit jemandem, der meine Entscheidungen nicht akzeptiert und im Netz dann beifallsheischend nach Legitimierung seiner eigenen Toxizität sucht, möchte ICH nicht arbeiten müssen. Man muss sich fragen, ob da auch der Hierarchiegedanke eine Rolle spielt. Ob gar der Ärztin heimlich eine Zacke aus der Krone gefallen ist, weil sie der HEBAMME den Kittel irgendwann mal schloß. Und das dann als Geben-und Nehmen-Erwartung heimlich mitspielte. Sozusagen als Wiedergutmachung für den erlittenen quasi-Imageschaden, einer Hebamme die Schleife gebunden zu haben. Ich weiß es nicht.

Fakt ist aber, dass, wenn ein Team schon ein NEIN so schlecht wegstecken kann und dann anfängt, diesen Moment zu nutzen, um die Entscheidungsfreiheit einer Kollegin abzuwerten und zu shamen, wie es dann aussieht mit den großen Neins.

Dem Nein zum Einspringen, dem Nein zur Übernahme nicht pflegerischer Tätigkeiten oder – ich meine, es ist eine Gynäkologie! – dem NEIN HEISST NEIN gegenüber!

Genau das sind die toxischen Situationen, aus denen Pflege so schlecht herauskommt. Und ich meine, Ihr solltet das NEIN langsam aber sicher wieder üben. Und zwar das NEIN ohne Begründung, ohne Notlüge. Ihr trefft eine Entscheidung! Steht dazu. Ihr könnt das üben. Nicht nur auf die Frage, ob Ihr schon aufstehen wollt oder ob Ihr ein Fläschchen nicht präsentiert haben möchtet. NEIN!

Ihr könnt das Wort einfach so nutzen. Ja, die ersten male kribbelt es unangenehm, aber der Effekt verfliegt schnell. Wer über sich verfügen lässt, weil ihm irgendwann einmal die Entscheidungsfreiheit, die ihm obliegt, abgesprochen wurde, der muss damit anfangen, sie sich ganz schnell wieder zurückzuerobern. Sonst wird das kleine Verfügen weiterhin zum großen Verfügen über eine Verfügungsmasse!

My Body, my Choice gilt auch für alle Neins auf der Arbeit!

Viel Spaß beim Diskutieren. 🙂

Ob ich das nochmal mitdiskutiere? NEIN!

Als Pflege wirklich cool war: Ein Liebesbrief an den ehrenamtlichen Rettungsdienst

Es sind Ferien. Und wenn im Sommer ganz früh am Morgen die Sonne über der Havel aufgeht, dann liegt noch ein kleiner Nebelschleier über der Havel, in dem sich die ersten Sonnenstrahlen brechen. Kein Lüftchen weht und im Schilf raschelt es, wenn der Wind durchweht und eine Stockente sich ihren Weg durch das Dickicht bahnt. Tiefe Ruhe liegt über dem See und es gibt einen Ort, an dem schon jetzt die Defis gecheckt werden, die Boote klargemacht und die Notfallkoffer geprüft werden. Die Wasserrettungsstationen. Sie alle sind ehrenamtlich besetzt.

Das Ehrenamt spielt eine tragende Rolle in der Notfallversorgung. Das ist nicht nur auf den Wasserrettungsstationen in Berlin so, sondern auch an der Küste, vor allem bei der Feuerwehr, im Landrettungsdienst und im Sanitätsdienst. Es sind Ehrenamtliche, die die Versorgung auf Massenveranstaltungen gewährleisten, den Freizeitspaß absichern und die dafür ihre Freizeit opfern.

Noch vor einigen Jahren waren das Orte voller Trubel, an denen sich feste Mannschaften formierten und wo man die Zeit gemeinsam sinnvoll verbrachte. Immer schon waren Menschen dabei, die das noch neben ihrem Beruf in der Feuerwehr oder im Krankenhaus ausübten. Sie organisierten in den Jugendgruppen auch den Nachwuchs, es gab Rescuecamps für Kinder aus benachteiligten Familien, die oft die einzige Sommerfrische für die Kinder boten. Die Großen hatten eine Vorbildfunktion, der die Jugendlichen oft nacheiferten und es kaum erwarten konnten, dann ihre Berufe zu ergreifen, die sie in Kliniken oder in der Feuerwehr, im Rettungsdienst oder in den Bereichen fanden, für die sie sich seit ihrer Jugend in der Hilfsorganisation interessiert hatten.

Aufbauend auf einer Stufenausbildung, die Ehrenamtlichen das Erreichen einer Kompetenzstufe ermöglichte, war so Freizeit nicht nur mit Kompetenzerwerb verbunden (Erste Hilfe, Funken, Bootsführerschein, Rettungsausbildung, Bergungsausbildung, Pädagogische Ausbildung zum Ausbilder, Großküche, Schwimmen, Löschen), sondern auch für viele der Ausgangspunkt, auf dem sie ihre Berufsziele gründeten. Die Berufsausbildung wurde so als Aufstieg verstanden und generierte nicht wenige, die so ihr Hobby zum Beruf machten. Damals war es noch cool, Pflege zu sein und dann endlich in den großen Rettungsstellen der Stadt (oder ganz woanders) zu arbeiten, um dann an den freien Tagen wiederum Ehrenamtler zu sein.

Die WRS Saatwinkel (Pic WRS Saatwinkel)

Dahinter stand bereits ein lernzentrierter Gedanke. Es gab Bundesjugendwettbewerbe (tatsächlich holte ich in den 1980ern die „Deutsche Meisterschaft“ nach Berlin), man konnte sich in Strategie der Katastrophenschutzorganisation üben und jeder fand seine Nische. Die Belohnung war die Gemeinschaft, das Erleben der Events (ich habe die Rolling Stones und mehr DFB Endspiele gesehen als die meisten eingefleischten Fans) und das große Essen im Schloß Bellevue.

Es ist merkwürdig, dass ich bei allen strategischen Planungen wie Werben für den Pflegeberuf und in allen Kampagnen nie davon höre, welch große Rolle das Ehrenamt für die Rekrutierung begeisterter Menschen gespielt hat und dass diese Karte niemand nutzt. Noch vergessener nämlich als professionelle Coronahelden sind die, die ihren Jahresurlaub dafür opfern, anderen beizustehen.

Ja, es gibt Nachwuchsprobleme. Aber ich sehe sie symptomatisch für unsere Gesellschaft. Es ist nicht mehr cool, anderen beizustehen und als Gemeinschaft füreinander ein. Wie mürbe das Konstrukt des gesellschaftlichen Miteinanders und der Wertschätzung gegenüber Heil- und Helfendenberufen geworden ist, ist ein Mentalitätsproblem.

Wenn wir junge Menschen wollen, die sich für ihr eigenes Können begeistern, dann sind es DIE Bereiche, die wir als Gesellschaft wieder stärken müssen, weil aus ihr die Berufe heranwachsen, die diese Gesellschaft dringend benötigt. Und die, die sich dafür noch einsetzen, erleben nun schon als Jugendliche am eigenen Leib, wie wenig Wertschätzung die Gesellschaft ihnen entgegenbringt. Da würde ich es mir heute auch nochmal anders überlegen mit dem Beruf, wenn ich am Wochenende auf dem Rettungswagen angepöbelt und angespuckt werde. All diese Probleme werden nicht thematisiert oder gar angegangen. Das ist schade, denn was gibt es Schöneres, als Kinder und Jugendliche, die in ihrer Freizeit etwas Sinnvolles mit ihrem eigenen Können gestalten, Sozialkompetenz erwerben und sich ausprobieren können?

Meine Kinder und die Kinder meiner ehrenamtlichen Leute sind so groß geworden. Mit uns in dieser Gemeinschaft. Sie sind heute beruflich in diesen Bereichen unterwegs und wir sind stolz auf sie. Ob sie aber, mit all dem negativen Erleben, ihre Kinder noch motivieren werden, diese Weg zu gehen, bleibt so unsicher, wie das Ehrenamt ins Gesellschaftliche Abseits abgedriftet ist.

Meine „Ms. Marple“ besucht die WRS und macht neben dem Schnellboot fest.

„Du heißt hier, wie wir wollen!“ – Wie eine Station Gulkaja ihren Namen nahm. Nurses eat their Young XXL.

Namen sind etwas Magisches. Schon bevor wir geboren werden, dreht sich alles um die Frage, wer wir sind. Unsere Eltern suchen -nicht selten mit etwas hilfloser Liebe- die Anrede für uns aus, die uns unser Leben lang begleiten wird und die uns ausmacht. Sie sind Bestandteil unserer Identität, wenn nicht gar unsere Identität selbst. Deadnames zeugen davon, dass mit einem Namen Rollen verbunden sind, die man ablegen kann. Namen verändern sich durch die Zeit, gewinnen Historizität, können zu unangenehmen Stereotypen werden, an denen Eigenschaften festgemacht werden, die uns gar nicht betreffen. So ist nicht nur das Phänomen des Kevinismus entstanden, mein Name ist zum Beispiel das spanische Wort für „Nonne“.

Namen können Freiheiten symbolisieren. So nannte eine Mutter in der DDR ihren Sohn stolz nach einem amerikanischen Schauspieler und – tragischerweise – war der Standesbeamte, der des Englischen nicht mächtig war, nicht in der Lage, „Burt“ zu schreiben, weshalb der nachmalige Mann Zeit seines Lebens Bört heißt.

In der Antike namen freigelassene Sklaven den Namen ihrer Herren an, Flavius Josephus kam so zu seinem (zweiten) Namen. Namen sind es auch, die wir schmachtend in Baumrinden schnitzen, auf Papiere malen, kalligraphieren und mit Schnörkeln versehen. Namen können verbrennen, wie das Theaterstück „Der Vorname“ zeigt, bei der eine Familie damit spielt, ihrem ungeborenen Kind den Namen „Adolf“ geben zu wollen. Namen zeigen Traditionslinien und Stammbäume auf. Namen zeigen, wer wir sind.

Namenlos hingegen sind Anonyme. Namenlose Tote, namenloses Grauen, das Unsagbare, das Unaussprechliche, das ohne Identifikation.

Unsere Namen kommen also aus aller Herren Länder, beweisen einen Kulturtransfer und verdeutlichen die Pluralität einer Gesellschaft. Sie sind nicht unwichtig.
In der Pflege wird seit Jahrzehnten darum gerungen, dass sich Pflegende mit ihrem Nachnamen als Ausdruck des Respekts ansprechen lassen, denn der Vorname ist ein sehr intimes Detail. Er steht im Privatleben nur engen Freunden und der Familie zu, er ist also Preisgabe, privat und das Nennen beim (Vor)Namen suggeriert eine Intimität, die der professionellen Distanz entgegensteht. Dazu kommt noch der unsägliche Pseudotitel Schwester, der bald zum ebenso unsäglichen Namensüberbegriff für alle Pflegenden wurde. „Schwester, kommen Sie mal!“. Nichts symbolisiert wohl stärker, wie aus hunderten Persönlichkeiten, die morgens in eine Klinik strömen, eine graue Masse gemacht wird, der jede Individualität abgesprochen wird.

Namen sind nicht immer einfach. Aber wer miteinander arbeitet und sich respektiert, der versteht bald, wie das Gegenüber angesprochen werden möchte.
Nicht so in einer Klinik.

Der Station war es nicht möglich, Gulkaja (die sich ohne l spricht), vernünftig anzureden. Die Kollegin bot einen Kompromiss an. Kaya würde ihr ja reichen. Doch auch das wollten die Kollegen nicht akzeptieren. Katja! Katrin! Und… ganz schlimm… „Du da!“.

Damit hatte man der jungen Kollegin schlicht ihren Namen genommen. Und das, ohne mit der Wimper zu zucken. Menschen, die sozial kompetent für andere Menschen dasein sollen, sprechen also im team jungen Kollegen die Identität ab. Weil sie -das klingt doch unglaublich – nicht in der Lage sind, einen Buchstaben NICHt zu sprechen. Ich frage mich, wie diese Leute Medikamente stellen.

Gulkaja sprach das Problem mehrfach an. Doch in einem Gespräch wurde ihr gesagt, sie habe die Namen zu akzeptieren, die man ihr gebe. Sie sei zum Arbeiten da und solle einfach ihren Job machen. Es durfte klar sein, dass jeder Mensch so nicht mit sich umgehen lässt. Eine Praxisanleiterin stand ihr bei. Sie solle auf ihren Namen bestehen.

Die Situation eskalierte weiter. Es gab nun eine Email, in der die Schule die Praxisanleiterin zurechtweist. Sie hätte das Vorgehen der anderen examinierten Kolleginnen zu akzeptieren.

„Sehr geehrte Frau….. , Sie haben innerhalb eines Beratungsgespräches Frau M. angeraten, auf nicht genehme Anreden schlicht nicht zu reagieren oder aber den korrekt ausgesprochenen Namen zu wiederholen und auf richtige Ansprache zu bestehen. Wir weisen darauf hin, dass es Schülern formal nicht zusteht, sich so über Weisungsberechtigte zu stellen.“ Ein Fortführen des Bestehens auf dem EIGENEN Namen könne als Arbeitsverweigerung ausgelegt werden und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“

Ich antworte hier stellvertretend für die junge Kollegin.

„Liebe Schule,

nicht nur verweigern Sie einer Schülerin, mithin einer Schutzbefohlenen, den Schutz und die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht, Sie berauben sie auch ihrer Identität und ihres Namens. Vor 150 Jahren im Kloster, als es bei Eintritt neue Namen gab, wäre Ihr Ansatz mit großem Erfolg zum Tragen gekommen.

Dramatisch ist es, dass es sich dabei noch dazu um einen einfach auszusprechenden Namen handelt. Das Bildungsniveau, vom sozialen Niveau Ihrer Mitarbeiter mal ganz abgesehen, scheint mir in einem desolaten Zustand zu sein. Sie verletzen also das Persönlichkeitsrecht der jungen Kollegin, und halten es für Ihr Recht als „Weisungsbefugter“. Ich halte das für ein NetY Ritual aus der Hölle, wobei ich aufgrund des nicht originär aus dem Deutschen kommenden Namen noch eine ordentliche Prise Rassismus und Diskriminierung sehe. Sollten Sie sich je fragen, weshalb Sie Personalnot haben, könnte es an Ihrem unzeitgemäßen mangelnden Respekt Menschen gegenüber liegen. Mitarbeitende sind keine Unfreien, dem man einen neuen Namen nach Gutsherrenart geben kann. Schüler sind schützenswerte Mitarbeitende und dass Sie in Ihrem Haus Ihre Gruppendynamik nicht unter Kontrolle haben, zeugt von einem gewalttätigen Führungsstil. Ich freue mich, Ihr unsägliches Verhalten breit zu publizieren und werde jedem, der es wissen möchte, den Namen Ihrer Einrichtung verraten. Namenlos sollte nicht Gulkaja werden, sondern Ihr Betrieb, der den Namen Hospital (von Hospes, GASTUNG) nicht zu verdienen scheint. es ist 2021. Passen Sie ihre Arbeitsweise gefälligst der Verfassung an, die die Würde über alles stellt. Diese nehmen Sie Menschen, denen Sie zu Arbeitszwecken ihren Namen rauben. Sie sind ein Fall für die Presse, ein schlechtes Beispiel für Machtmissbrauch und Gewalt und Führung durch Angst, für Entmenschlichung und für Hierarchien des Grauens, eine Blaupause für Berufsflucht. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das in der Öffentlichkeit nicht mehr ungesehen und umkommentiert bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

Monja Schünemann

DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR! Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.

Liebe Grüße unbekannterweise an Gulkaja. Sprechen Sie mir alle nach: Gu(l)kaja. Nicht, „Du da!“, nicht Katrin, nicht Kaya.

Pflegende mit Migrationshintergrund: meine diskriminierten Kollegen zwischen eifriger Fröhlichkeit und Islamophobie

Eifrige Fröhlichkeit, das sei ihre wichtigste Ressource, sagt in der Zeit PDL Volker Lange zu seiner neuen chinesischen Mitarbeitenden und niemand findet etwas dabei, wenn er der hochqualifizierten Kollegin mit Gesundheitsstudium dabei in den Arm kneift. So stand es in der Zeit zu lesen. Doch nicht nur körperliche Übergriffe waren auf den Seiten des Artikels zu lesen, sondern Rassismus pur.

„Lange hat in all den Jahren seine Erfahrungen mit den Mitarbeitern gemacht, er hat da keine Scheu vor Verallgemeinerungen. 

Männliche Pfleger vom Balkan: „Muttersöhnchen. Kannst du in der Regel in der Pfeife rauchen.“

Pflegekräfte aus muslimischen Ländern: „Schwierig – viele wollen wegen ihrer Religion keine Senioren des anderen Geschlechtes waschen.“

Aus Südeuropa: „Kommen ständig zu spät. Und finden es bei uns zu kalt.“ war dort zu lesen. Und dass das Netz nicht ob des Rassismus tobt, ist mir ein Rätsel. Warum ist in der Pflege gesellschaftlich kein Tabu, was außerhalb der Betreibermauern zu äußerster berechtigter Empörung führen würde? Eine Spurensuche.

Pflege und Migration gehören zusammen. Schon im 12. Jahrhundert finde ich nicht nur übersiedelnde Klosterbrüdern und -schwestern, die woandershin aufbrechen, um dort Kranke zu versorgen. Reisen und Pflegen, dort, wo es benötigt wird, gehören zusammen wie Butter und Brot. Florence und Mary reisten auf die Krim in den Krieg, Patienten pilgerten dorthin, wo sie sich Heilung erwarteten.

Deutschland bedarf der Pflegenden. Doch nirgendwo ist es so schwer anzukommen, wie in Deutschland. Wer je versucht hat, Kolleg*innen bei der beruflichen Anerkennung zu unterstützen, der begreift schnell, dass je Bundesland verschiedene Papierhürden zu nehmen sind, größer als der Mount Everest mit Schnee drauf.

Und selbst, wenn es geschafft ist, das bewiesen die 1960er Kollegen aus Korea, laufen Kollegen oftmals vor eine Wand der strukturellen Diskriminierung und des Rassismus – und danach meistens weg.

Pflege, ein Beruf, den zumeist Frauen ausüben, wurde oft von Männern geformt. Männer, die in Verwaltungen oder die in den oberen Hierarchien, wollen in Pflegenden ihre persönlichen Traumfrauen verkörpert sehen. Fleißig sollen sie sein, anspruchslos, folgsam, duldsam, gehorsam und – umsonst.

Nachdem nun Pflege immer mehr den Geruch des schlechten Berufs bekommt, nachdem sich mehr und mehr Kollegen professionell abgrenzen, scheint man zu hoffen, dass sich Menschen, bzw. Menschinnen mit Migrationshintergrund dankbar erweisen und ihre Rechte nicht einfordern.

Im Fall der von der Zeit erwähnten chinesischen Kollegin mangelt es nicht an rassistischen Stereotypen. Fleißig, fröhlich, folgsam. Dass sich mit dieser öffentlichen Äußerung ein rassistisches Stereotyp mit einem weiblichen vermengt, macht die Sache keineswegs einfacher. Ganze Arbeiten sind schon zu „Sexotic“ verfasst worden, zum vermeintlich Reiz des Anderen und wer sich einmal gruseln möchte, der googelt, was Männer über asiatische Frauen zu sagen haben.

Neben Pflege vermengen ich hier also durchaus sexistische Motive. Kein Wunder also, dass besagtem Herrn „Pfleger vom Balkan“ nicht gefallen. For obvious reasons.

Auch die Protagonistin auch China ist gegangen, vom Altenheim in eine Klinik. Denn körpernahe Arbeiten machen Akademikerinnen in anderen Ländern nicht. Das ist seit Jahren bekannt. Nur in Deutschland will, will, will man nicht wahrhaben, dass Pflege sich mit dem überkommenen Modell All in one deprofessionalisiert. Ich schäme mich für Menschen wie Herrn Lange fremd.

Ich schäme mich, weil ich aus multikulturellen Teams komme, in einer multikulturellen Stadt mit vielen Herkünften lebe und es nicht aushalte, dass wir wieder und immer noch Kopftuchdebatten, Herkunftsdebatten, Religionsdebatten haben, wenn wir über Profis in der Pflege reden. Von „meine Polin“ über diese unsäglichen Sprüche da oben, trieft der Diskurs vor Ressantiments und Frauenfeindlichkeit über. Noch immer also dürfen Frauen nichts ein, wer sie wollen, wenn sie in der Pflege sind. Sie sollen einem längst schon untergegangenem Idealbild entsprechen und obgleich es Personalmangel gibt, finden Leiter nichts dabei, diese unheilige Mischung aus allem, wo sich das Suffix – phobie dranhängen lassen kann, voll auszuleben.

In keinem anderen Beruf werden Akademikerinnen degradiert, spielt die Frage nach „welche Form von Frau“ bist Du eine Rolle. Es riecht. Es riecht nach der Frage, wann man in der Pflege wen einstellt? Erhofft man sich von migrantischstämmigen Frauen Gehorsam, weil man einen patriarchalisch geprägten familiären Hintergrund vermutet, durch dessen Sozialisierung man sich fügsame Mitarbeiter erhofft? Oder was verbirgt sich hinter dem Ressentiment des Nicht-waschen-wegen-der Religion-Arguments des Herrn Lange? Es ist doch bitte jedem klar, dass selbstbestimmt sein keine Frage der Religion ist. (Und wem das nicht klar ist, der kann gerne einen Nachtdienst mit meinen Kolleginnen Hatice und Fatma auf der ZNA verbringen, die bringen ihm das flugs bei)

Es besorgt mich, diese Entwicklung von außen zu sehen. Zu sehen, wie Frau als Human Ressource mit stereotypen Zuschreibungen als Mitarbeitende ausgewählt werden. Das können wir alle gemeinsam nicht zulassen.

Neben der strukturellen Diskriminierung von Frauen muss dringend auch die strukturelle Diskriminierung von Frauen mit Migrationshintergrund Thema in der Pflege werden.

China wollte von uns lernen. Sie haben nun gelernt, dass wir eines nicht sind: was sie brauchen, um ihren eigenen Pflegenotstand zu beherrschen. Und wie man hier mit Frauen umgeht.

Vielleicht liest das ja ein Mensch aus China, der Lust am Entwickeln von Strategien hat. Wir haben sie. Wirklich. Es will sie nur niemand hören. Und diese Strategien beinhalten nicht Übergriffigkeit und Täuschen von Frauen.

Potsdam: Wenn Helden morden.

Es ist etwas Furchtbares geschehen, das steht außer Frage. Eine Pflegehelferin hat in einer Potsdamer Einrichtung 4 Schutzbefohlene erschlagen, eine 5. Person schwer verletzt. Die Medien sind vergleichsweise leise, die Community betroffen. Für Pflegende ging der Alltag schon längst weiter, keine Zeit. Ob man Betroffenen nicht mehr Raum einräumen müsste? Doch wer ist eigentlich betroffen? Die Antwort ist schwierig, und Zeit zum Betroffensein gibt es eigentlich nicht, denn solange das System nicht geändert ist, ist die Gefahr vielleicht größer, als wir ahnen.

2005: Irene Becker ermordet auf der Intensivstation der Charité fünf Menschen. In einem Interview sagt sie: „Ich bereue nichts!“

Zwischen 1999-2005 ist Niels Högel in deutschen Kliniken tätig. 335 Verdachtsfälle, 85 bestätigte Morde. Der Fall war noch nicht abgeschlossen, da wurde gegen Mitarbeiter eines Pflegedienstes ermittelt, die nicht nur eine Seniorin mit Insulin umbrachten, sondern Gewalt gegen Schutzbefohlene auch noch filmten.

2019: Eine Wachkomapatientin, bei der angeblich niemand vom Team etwas gemerkt hat, wird von einem Sohn entbunden. Nach Vergewaltigung durch einen Krankenpfleger.

Gewalt ist, das wissen wir, nicht selten in Einrichtungen, wer von den Mitarbeitern sie meldet, wird dagegen oft abgestraft, berichtete Die Zeit.

Und weil diese Form von Gewalt offenbar eine Unterhaltungsdoku wert war, kann sich jeder, aus welcher Motivation auch immer, auf Netflix die Serie „Nurses who kill“ angucken.

Wer ist Opfer?

Kein Zweifel, die Opfer dieser Gewaltformen sind in erster Linie die direkt Betroffenen! Nichts relativiert das, nichts, gar nichts.

Doch in der zweiten Reihe der Betroffenen stehen mittelbar Betroffene und die befragt niemand, weil sie gar nicht wahrgenommen werden. Die, die weitermachen müssen.

Ich war Leasingkraft auf Irenes Station zu der Zeit und habe danach mit dem Team weiterarbeiten müssen. Es ist zersplittert und nichts blieb ohne Folgen für jeden Einzelnen. Der Oberarzt vertraute niemandem mehr, es war kaum möglich, einen ZVK zu spülen, ohne dass er Mordabsichten vermutete. Er brüllte uns an, was wir da spritzen und er hätte eigentlich in eine Therapie gehört. Die Situation war unerträglich, wenn unter den hehrsten pflegerischen Absichten das Furchtbarste vermutet wird. Und das bedeutet, bei jedem Spülen moralisch verletzt zu werden, wenn Dein OA das Team und jeden der Mordabsicht verdächtigt! Zigmal am Tag! Am Ende vertraute niemand niemandem und auch das neue Team zersprang in seine Einzelteile, verließ das Haus und hinterließ personelle Lücken. An Aufarbeitung der Situation war niemandem gelegen, es war ja nicht in DIESEM Haus geschehen und man wollte sich nicht besudeln. Medizin ist ein Markt, mit diesem Thema möchte sich niemand konfrontieren. Ich habe über das Thema tatsächlich auch nichts gefunden.

Vertrauen untereinander ist der Klebstoff, der in der Personalnot das Unmögliche möglich macht. Doch Burnout und Coolout schließen jeden Einzelnen in sich ein. Nicht nur, dass man kaum fühlt, was in einem selbst abgeht, es wird auch unmöglich, das Gegenüber, den Kollegen zu spüren. Irene Becker wird als freundlich und nett und hilfsbereit beschrieben, tüchtig. Ich kann das bestätigen. Ich hätte ihr mein Leben anvertraut. Mit jedem Tag, den Pflege unter der emotionalen Wucht weiterarbeitet, wird es unmöglicher, auf sich selbst und schon gar nicht auf den anderen zu achten.

Und es ist halt auch außerhalb der Wahrnehmung, zu vermuten, der Kollege könnte töten. Ist es innerhalb der Wahrnehmung, dann wird der Wahrnehmende abgestraft. Es bleibt: Angst.

Angst ist sowieso der ständige Begleiter. Angst, etwas zu vergessen, etwas zu übersehen, etwas nicht zu schaffen. Daneben wird Pflege unfassbar emotionalisiert. Pflege mit Herz. Das sind die Lieben. Pflege, so haben wir es in der Pandemie gelernt, werden Helden genannt.

Aus den Fällen ersehen wir aber: jeder, den sie heute noch Held nennen, kann ein Mörder sein. Nicht, dass es jeder wird. Keinesfalls. Aber schon Lauterbach äußerte eine Form des Generalverdachts. Wie, frage ich, soll ich betroffen sein, wenn niemand ein System erschafft, in dem ich mir selbst sicher sein kann, sicher zu sein? Weshalb sagt niemand, was zu tun ist, wie man das Team absichern könnte?

Mental health IST ein Thema in den Pflegeberufen. Coolout und Burnout sind Themen. Wie kann ich sicher sein, dass niemand von jetzt auf sofort….. und ab da hören Worte auf.

In den Führungsschulen hat dieses Thema niemand berührt. Ob ein Team gefährdet ist, wie ich Mitarbeiter schützen kann, wie ich das Elementare, die Sicherheit für den Patienten, mit ausgebrannten Teams sicherstellen kann: Ich weiß es nicht.

30% der Pflegenden wollen ihren Job verlassen. Ist das der einzige Weg zur Sicherheit? Was geschieht mit der Belastung der anderen, die dann steigt? Wie wird das Gesundheitssystem sicherstellen, dass das nicht zu einer unfassbaren Kaskade wird? Ich finde dazu nichts.

Wie sind die Verhältnisse von Moral Injury und Gewaltbereitschaft?

Ich finde dazu nichts.

Was ich fand, sind Antworten von Menschen, die glauben, Pflege habe kein Recht auf ein Trauma, sei Erfüller. Das erschreckt mich. Der Tenor? Wenn Dir etwas nicht passt, dann geh doch. Andere würden auch verletzt und Ihr könnt ja gehen. Das ist mir zu einfach. Es liest sich immer, als habe ein Pflegender kein Recht auf Würde, weil er ja das Privileg der Gesundheit habe.

Tatsächlich sind nur wenige der Pflegenden gesund, wie der Gesundheitsreport beweist. Doch es scheint einen Unterschied zu geben, zwischen Krankheit von außerhalb der Medizinberufe stehenden Menschen und kranken Pflegenden, die als gesund gelesen werden. Ich finde das verachtend.

Ich finde es auch verachtend, dass niemand die Frage stellt, wie all diese Kollegen von Tätern weitermachen, weiterleben sollen? Wie sie ihr Vertrauen wiederfinden können, in einer Welt, in der Supervision zu teuer und Personalausfall abfangen mit Überstunden das höchste Gut ist.

Ich bin nicht einverstanden mit der Studienlage. Ich will wissen, ganz konkret, ob Überforderung, moralische Verletzung durch Patienten/Gesellschaft und diese Morde und Taten in Verbindung stehen. Nicht als Vermutung. Ich will wissen, ob alle gefährdet sein können. Aber es gibt keine Antwort, denn auch heute geht es immer weiter und weiter, sind die Dienstpläne zu erfüllen und „die Arbeit geht vor“. Nach Überforderung hat Irene Becker niemand gefragt und nicht, was ihren Wertekanon so durcheinandergebracht hat, dass das Furchtbare geschehen konnte.,

Sehen wir weg, weil es jeder von uns sein könnte? Vom Helden zum Täter in nur einer Sekunde?

Pflexit XXL. Was passiert, nachdem die Kliniktür zugegangen ist?

30 % aller Beschäftigten in der Pflege denken darüber nach, aus dem Beruf auszusteigen. In Deutschland hat das Phänomen einen Namen: Pflexit. Exit aus der Pflege.

Viele sind sich einerseits unsicher, was sie danach machen sollen, aus vielen Kommentaren aber lese ich auch, dass sich auch Berufsfremde nicht vorstellen können, dass Pflegende zu irgendwas anderem in der Lage sein sollen, als zu pflegen.

Sicher, es gibt diese klassischen Austeigemodelle, MDK, PDL, Referent. Doch es gibt ja auch ganz andere Möglichkeiten, auf dem, was man hat, aufzubauen.

Ich bin letztlich eines davon. Nach dem Studium der Geschichte/Kunstgeschichte und Archäologie bin ich nun in der Medizingeschichte tätig und beäuge das Gesundheitssystem aus einem anderen Blickwinkel.

Eine andere Kollegin von mir, Katharina, hat hingegen einen Pflexit XTREME hingelegt. Weil sie die Menschen einfach nicht so versorgen konnte, wie sie es gerne gewollt hätte, stieg sie aus, lebte im Coronajahr 1 in Kolumbien im Dschungel (!!), arbeitet als Künstlerin und wandte sich alternativer Heilung zu.

Einen Mittelweg zwischen Theorie und völliger Umdeutung hingegen hat Astrid hingelegt. Warum das passiert ist, wie sie ihre neue Leidenschaft entdeckt hat und was sich nun geändert hat, erzählt sie uns hier.

„Ich stand gegen 2 Uhr morgens vor der Tür des psychiatrischen Wohnheims, in dem ich seit einem Jahr als Dauernachtwache arbeitete. Hinter mir die komplett manische Patientin, die ganz ihrer Erkrankung gemäß seit Tagen nicht geschlafen hatte, aufgekratzt durch die Straßen zog, laut schimpfend die Zimmer ihrer Mitbewohner durchpflügte und alles an sich nahm, was nicht niet-und nagelfest war. Ich hatte sie gehindert, einen ganzen Trolley voll gläserner Pfandflaschen, die sie aus diversen Zimmern im Heim zusammengesammelt hatte, mit zu nehmen um sie in einem nahen Supermarkt, dessen Pfandautomat 23 Stunden lang zugänglich war, zu entsorgen und das daraus entstammende Geld an sich zu nehmen. Die Flaschen gehörten dem Heim, was meine Patientin da tat, war schlicht Diebstahl, und es lag in meinem Aufgabenbereich, das zu verhindern. Nach viel hin und her hatte sie schließlich eingelenkt und erlaubt, dass ich ihren Trolley mit den Glasflaschen wieder mit reinnehmen konnte.

Während unserer Debatte war die Haustür zu gefallen. Ich griff nach meinem Schlüssel, um aufzuschließen. Er fiel mir runter. Ich bückte mich, um ihn aufzuheben, und aus irgendeinem Grund wich ich beim Aufheben seitlich aus. Ich weiß bis heute nicht warum, aber es war mein Glück: als ich mich ganz aufrichtete und mich dabei umdrehte, stand Frau M. mit einer zum Schlag erhobenen Glasflasche vor mir. Weil sie sich ertappt fühlte, ließ sie die Flasche gleich wieder sinken, und mir passierte nichts. Ich war auch so perplex, dass ich gar nicht weiter über die Situation nachdachte. Dem Frühdienst übergab ich das Ereignis, und selbstverständlich dokumentierte ich es auch, mit der Bitte, die Heimleitung möge sich mit Frau M. auseinandersetzen. Am nächsten Abend ging ich wieder zur Arbeit. 6 Monate später ließ ich mich in einem KH stationär psychiatrisch aufnehmen. Meine ohnehin vorhandene endogene Depression hatte sich so verstärkt, dass ich meinen normalen Alltag nicht mehr schaffen konnte. Ich blieb 4 Wochen. Danach kündigte ich.

Heute arbeite ich in einer Praxisgemeinschaft für Menschen mit Drogenkonsum. Wie ich hier gelandet bin? Ich habe 2019 das Masterstudium „Tropical Medicine and International Health“ begonnen und dort den Dozenten getroffen, der meine Masterarbeit betreuen wird, und mich hier her geholt hat. Ich weiß nicht, ob es an meiner anderen Stellung zum Chef liegt, aber ich habe hier (nicht zum allerersten Mal, aber es kam selten vor, dass es mir auffiel) endlich das Gefühl: „Hey, da sind Leute echt richtig froh, dass ich da bin! Die finden es richtig geil, dass ich weiß, was ich weiß, und die wollen wirklich wissen, wenn ich eine weitere Befähigung habe, und darauf auch zugreifen, die wollen auch mehr wissen.“ Natürlich ist die Arbeit mit Drogenkonsumenten im ambulanten Bereich weniger körperlich belastend, und ja, das ist ein angenehmer Teil der Arbeit. Die psychische Anstrengung ist aber eine ganz andere. Das muss man können und mögen. Beides ist bei mir der Fall. Wie fast überall im psychiatrischen Bereich liegt viel verborgen in der Kommunikation, sei sie verbal oder nonverbal. Die hier beteiligten Ärzte sehen ihre Patienten mitunter nur alle paar Wochen. Weil wir aus der Pflege (und die MFA-Kolleginnen) hier die sogenannte „Vergabe“, also die Ausgabe der Substitutionsmedikation machen und viele Patienten täglich oder wöchentlich kommen müssen, sehen wir sie deutlich häufiger, wir sind näher dran. Das ist an sich kein Unterschied zum Krankenhaus, denn auch dort ist Pflege näher am Patienten dran als Medizin. Der Unterschied: wenn wir weitergeben, dass uns ein Patient im Verhalten oder im Äußeren auffällig verändert erscheint, dann wird uns regelmäßig rückgemeldet, dass das wichtig ist. Wir haben als Pflege was zu sagen und wir finden Gehör. Mein Gehalt ist besser, ich habe keine Schichten wir im Krankenhaus, vor allem keine Nachtdienste. Wochenenddienste gibt es, aber höchstens einen im Monat.

Ich habe hier auch mit Hierarchien zu tun, und das mag ich hier genauso wenig wie im Krankenhaus. Der Unterschied ist, ich kann das ansprechen, und – vielleicht der größte Unterschied – es wird ernst genommen. Ich werde gefragt. Und es wird mir zugehört. 

Studium

(Pflege war noch nie meine Berufung. Als ich noch sehr jung war, wollte ich, wie so viele junge Frauen, Schauspielerin werden. Meine Eltern hatten nicht genug Geld, als dass sie mir ein Leben plus Studium hätten finanzieren können, und Pflege war in meiner Familie immer präsent: meine Großmutter war Pflegehelferin, meine Tante langjährige Psychiatriepflegefachkraft, die zweite Frau meines Vaters Pflegefachfrau. Der Schritt in die Pflegeausbildung war einfach, und der Plan war, dass mir ein Teilzeitjob in der Pflege ein Schauspielstudium finanzieren sollte. Im Nachhinein bin ich froh, dass aus der Schauspielerei nichts wurde; ich fand andere Themen, die mich faszinierten, die ich studieren wollte, und die mir die Pflege finanzierte. Dafür bin ich dankbar. Pflege ist mein langjähriger Brotberuf, und das ist okay. Es gibt schlechtere Jobs, jedenfalls, wenn man sie so ausführen kann, wie man sie eigentlich gelernt hat.)

Seit zwei Jahren studiere ich Tropenmedizin und internationale Gesundheit im Master an der Charité. Ich wollte schon immer meinen Horizont erweitern, auch in der Pflege (vielleicht gerade in der Pflege), und die üblichen Fachweiterbildungen haben mich nie so sehr angesprochen, weil sie mir den Fokus immer weiter zu verengen schienen, anstatt die Perspektive zu erweitern. Das Masterprogramm gibt mir die Möglichkeit, mit Kommiliton:innen aus der ganzen Welt und mit den unterschiedlichsten Hintergründen Erfahrungen auszutauschen, mehr über die verschiedenen Gesundheitssysteme und ihre jeweiligen Vorteile und Schwierigkeiten zu erfahren, und – ganz wichtig – meine Position als Pflegefachfrau vor einem globalen Hintergrund einzuordnen. Meine Kommiliton:innen kommen aus Brasilien, Indien, Aserbaidschan, Kenia, Nigeria, Taiwan, Frankreich, den USA, Ägypten, Australien, Syrien, Kolumbien. Sie sind Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen, Pflegefachfrauen, Pharmazeut::innen, Zahnärzt::innen. Unterrichts- und Umgangssprache ist Englisch. Uns allen gemeinsam ist der unbedingte Wille, neues zu lernen, das Gelernte in die Praxis zu überführen und sowohl gemeinsam (wo es sich ergibt) als auch jeder für sich (zB im Heimatland) dafür zu sorgen, dass evidenzbasierter medizinisch-pflegerischer Fortschritt und Wissen ein noch festeres Standbein haben können als bisher schon. 

Das Studium begann mit einem dreimonatigen Grundkurs, in dem wir täglich unter der Woche von 9 bis 16 Uhr (prä-Corona) Präsenzunterricht hatten. Aufgeteilt waren diese drei Monate in drei Themenblöcke à ca. 4 Wochen: Medizin-Anthropologie und Epidemiologie, Gesundheitsproblematiken und Labor, und Gesundheitssysteme und politik. Zum Abschluss jedes Blocks gab es eine Klausur, und zum Abschluss der drei Monate (der „Core Kurs“) eine mündliche Prüfung über alle drei Blöcke im Mix. Ich habe ganz ehrlich noch nie so viel so intensiv für eine Universitätsgeschichte geackert – meist war ich nach dem Unterricht noch in der Bibliothek, um Dinge nachzulesen oder vorzubereiten, die Wochenenden saß ich in einer anderen Bibliothek, um auf dem Stand zu bleiben und Klausurstoff einzupauken, zwischendrin begann ich, auf Englisch zu träumen, und gegen Ende der drei Monate war ich, wie die Kommiliton:innen auch, am Rande des Nervenzusammenbruchs. Trotzdem habe ich es sehr geliebt, ich habe dermaßen viel gelernt, und hatte verboten viel Spaß. Es gab Zeiten, da konnte ich zwölf verschiedene Fadenwürmer aus dem Stand herunterbeten, ich erkannte das Ultraschallbild einer tanzenden Wurmlarve in einer Leberverkapselung selbst bei halb geschlossenen Augen, und ganz sicher werde ich nie mehr in meinem Leben barfuß über Sand laufen, oder in tropischen Gewässern schwimmen. Das Gute an dieser Tour de Force: der Lehr- und Werbespruch, „Ivermectin macht alles hin“ wird mir bis mindestens zum Renteneintritt ein Go-To zur Parasitenbehandlung von allem Möglichen im Gedächtnis bleiben. 

In diesen drei Monaten habe ich auch den Betreuer meiner Masterarbeit kennen gelernt, in dessen Praxis ich jetzt arbeite, und der sich lt. eigener Aussage geehrt fühlt, dass ich ihn als Betreuer gewählt habe. Hand aufs Herz: von welchem Mediziner habt Ihr, Kolleg:innen, schon mal gehört, dass er sich geehrt fühlt, weil Ihr mit ihm arbeiten wollt?

Pflexit: Ich bin mittlerweile unsicher, ob ich mich als Pflexiter betrachten soll. Meine Arbeit dreht sich ja weiterhin um Medizin und Patienten, nur nicht mehr am Bett. Ich schreibe meine Masterarbeit über psychedelische/psycholytische Therapieansätze zur Drogenentwöhnung mit halluzinogenen Substanzen. Dieser Bereich der Suchttherapie bringt mich realistischerweise weniger mit Kolleg:innen als mit Ärzt::innen in Kontakt, das ist mir bewusst. Aber es ist mir wichtig, dass ich diesen Ansatz auch aus einer spezifisch pflegerischen Sicht betrachte – medizinisch-pharmazeutisch gibt es dafür bereits ausreichend Menschen, die sich um das Thema kümmern. Aus pflegerischer Perspektive nicht. Aber auch Pflegefachpersonen werden über kurz oder lang mit dieser Art von Therapie konfrontiert werden, und wir brauchen Handlungsleitlinien, welche Besonderheiten im Umgang mit genau dieser Therapieform wir für unsere Profession beachten müssen. Und so ist Pflege, auch wenn sie nicht meine Leidenschaft war, doch zu einem zentralen und wichtigen Thema in meinem Leben geworden. Durch den Ausstieg aus der Pflege am Bett wiederum (der sich über mehrere Phasen zog, mit Ausflügen in telefonbasierte Patientenbegleitprogramme, eine Flüchtlingsunterkunft, und eine Corona-Untersuchungsstelle) habe ich mich befreit aus der oft so giftigen Arbeitsumgebung, die Pflege so oft mit sich bringt. Durch eine Stelle in der Leiharbeit habe ich gespürt, wie wenig ich die ungesunden Teamdynamiken, die in der Pflege gang und gebe sind, vermisse. Ich möchte nicht mehr in Teams eingebunden sein, die so unreflektiert über ihre Dynamiken und den daraus entstehenden Konflikten sind, und die darüber hinaus Reflexion darüber als unnötig oder, schlimmer noch, als bedrohlich empfinden. Ich möchte auch nicht mehr mit Kolleg:innen arbeiten, die das Streben nach Horizonterweiterung ( sprich: Bildung) lächerlich machen und die in einem ewigen „hamwa schon immer so gemacht“ ihre Jahre bis zur Rente abreißen. Ich habe einfach keine Lust mehr, Kolleg:innen erklären zu müssen, dass lebenslanges Lernen kein absurdes, lebensfremdes Theoriekonstrukt ist, sondern dass es das aufregendste, befriedigendste ist, was ein so vielfältiger Job wie Pflege zu bieten hat. Ich möchte mich auch nicht mehr mit hochnäsigen Medizinern auseinandersetzen, die „Schwestern“ als bloßen Assistenzberuf unter ihrer Weisungsbefugnis ansehen. Dass wir eine eigene Profession auf Augenhöhe mit den Medizinern sind, hat sic“h nach wie vor nicht weit genug herum gesprochen, und das muss sich dringend ändern. Zu guter Letzt will ich auch nicht mehr mit Patienten zu tun haben, die all ihre abstrusen Phantasien auf mich projizieren, nur weil ich weiße Dienstkleidung trage. Weder bin ich Dienstmädchen, noch bezahlte Händchenhalterin, noch Engel in Weiß. Ich bin eine professionelle Pflegefachfrau, ich weiß, was ich tue, und ich weiß, warum ich es tue. Das ist auch bei Patienten weitgehend nicht klar. Daraus entstehen mir zu oft ungut anstrengende Situationen. Und weil wir Pflegenotstand haben, kann ich es mir leisten, mich dem nicht mehr aussetzen zu müssen. Denn etwas Besseres als das habe ich gefunden. Und ich nutze es. „

(Beitragsbild Quelle: GIP)